Foto: Presse (Sabine Hoffmann)

Ohne Menschen wie Sabine Hoffmann gäbe es unsere Szene überhaupt nicht. Ob als DJ, Verkäuferin bei Oye oder Veranstalterin der Frauengedeck-Partys ist die Berlinerin voll und ganz dem Underground verpflichtet. Nicht nur seinem Erhalt allerdings, sondern auch seinem Fortschritt: Frauengedeck feierte vor Kurzem dritten Geburtstag und nahm das nicht etwa zum Anlass für eine ausgedehnte Nabelschau, sondern eine Tour, die Hoffmann nach unter anderem Aserbaidschan, Armenien und Georgien führte. Das spiegelt auch ihr Beitrag zu unserem Groove-Podcast wider, der sich fast ausschließlich aus Produktionen von Künstler*innen aus der Region zusammensetzt.


Du bist mit Hip Hop, Funk und anderen Genres aufgewachsen und hast um die Jahrtausendwende zu House und Techno gefunden. Gab es bestimmte Clubs, DJs oder Platten, die für dich als Türöffner fungiert haben?
Ich bin in Ostberlin aufgewachsen und hatte nach der Wende einiges aufzuholen, auch im musikalischen Bereich. In den 90er Jahren war ich sehr von Hip Hop, Rap und Crossover beeinflusst und hatte gar keine große Lust auf Techno und House. Meinen ersten Kontakt mit der elektronischen Musikszene hatte ich so etwa 1996, als ich das erste Mal den Bunker besuchte. Ein guter Freund, der Zodiak, war damals Resident dort und wir sind immer mit, um ihn zu supporten. Jedoch war ich noch nicht ganz und gar verliebt, das kam etwas später. So gegen 1998 besuchte ich relativ regelmäßig den Tresor, diese besondere Atmosphäre catchte mich sofort. Nachdem ich dann anfing im XS Club an der Bar zu arbeiten, war ich infiziert und vollkommen im Berliner Nachtleben versunken. Neben Bunker, Tresor, Ostgut und XS besuchten wir auch oft das KitKat, in dem viele meiner Freunde Resident-DJs waren. So um die Jahrtausendwende fing ich an mich mit der Musik genauer zu beschäftigen, mit den verschiedenen Labels und auch mit dem Auflegen. DJ Scout zeigte mir damals das erste Mal, wie man mit Platten mixt. Meine erste Mix CD war Ben Sims’ Escapism, das war der Start und hat auch die musikalische Richtung vorgegeben. Auch eine meiner ersten CDs, bevor ich mir Platten kaufte, war Pascal Feos’ Self Reflexion. Davon beeinflusst spielte ich am Anfang eher härteren Techno, wie zum Beispiel Marco Bailey, Cristian Vogel, DJ Rush, Joel Mull, Chris Liebing, Samuel L. Session und James Ruskin. In meiner Plattensammlung findet man daher viel Prime Evil, Primate Recordings, Tresor, Intec Records, SLS und CLR. Das war der Anfang einer großen Liebe!

Du bist studierte Tontechnikerin, als Produzentin bist du abgesehen von einer Kollaboration mit Matt Nowak auf einer Zaijenroots-Compilation allerdings kaum in Erscheinung getreten. Bist du zu perfektionistisch?
Ich habe damals Tontechnik studiert, weil ich eigentlich Kinderhörspiele produzieren wollte, meine Diplomarbeit hatte das Thema Hörspiele und Hörbücher und auch meine Abschlussarbeit war ein Kinderhörspiel. Das Schicksal leitete mich dann aber in eine andere Richtung. Eigentlich hatte ich nie das Ziel das Auflegen zu meinen Beruf zu machen, das kam so step by step. Aus Zeitmangel gibt es leider außer meiner Kollaboration mit Matt Nowak keine weiteren Veröffentlichungen, weil ich viele andere Projekte habe und mich nicht aufs Produzieren konzentrieren kann. Neben meinem Job bei Oye Records, meinen Frauengedeck-Events, dem Frauengedeck Livestream und der Radioshow, Auflegen und Booking bleibt kaum Zeit für ein weiteres Projekt. Allerdings ist schon lange geplant mal wieder mit Matt ins Studio zu gehen und dort etwas zu arbeiten. Das werde ich hoffentlich bald umsetzen können!

Soeben hast du den dreijährigen Geburtstag deiner Veranstaltungsreihe Frauengedeck gefeiert. Aus welchem Gedanken heraus hast du Frauengedeck gestartet?
Alles fing an mit dem Booking für meinen Geburtstag im Februar 2015, das Line-Up bestand letztendlich nur aus weiblichen Künstlern, weil viele meiner guten Freunde weibliche DJs sind. Auch inspiriert durch Unter Freund:innen, bei dem ich oft aufgelegt habe. Die Stimmung auf den Events war immer sehr gut und ich fühlte mich animiert selbst etwas auf die Beine zu stellen. Meine Idee war, den weiblichen DJs aus meinem Bekanntenkreis eine Plattform zu bieten und diese zu supporten. Mittlerweile sind die gebuchten DJs nicht mehr nur aus meinem Bekanntenkreis, sondern es geht darüber hinaus, wir buchen internationale Acts, denn das Projekt Frauengedeck wächst stetig.

In den vergangenen Jahren haben viele Konzerne das Thema für sich entdeckt und fahren mittlerweile eigene Kampagnen, die sich auf Schlagworte wie “diversity” konzentrieren. Wie stehst du zu dieser Entwicklung?
Eigentlich mag ich über dieses Thema gar nicht mehr viel reden, es ist mittlerweile so viel in den Medien und überall Thema. Nicht so viel schnacken, lieber machen! Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass es sehr schwer für mich ist ein rein weibliches Booking umzusetzen, weil es immer noch mehr männliche DJs gibt. Meiner Meinung nach ist die 50/50-Regel im normalen Clubbetrieb daher kaum umsetzbar. Die meisten weiblichen Künstler sind entweder geblockt, weil sie bereits in Berlin spielen, oder sind anderweitig international schon verbucht. Es ist wirklich nicht einfach und sehr viel Arbeit. Gerade konzentrieren wir uns darauf, mit unseren Events mehr in den östlichen Bereich unseres Kontinents zu gehen und dort die lokalen DJs zu supporten. Auch durch Workshops wollen wir Unterstützung geben und zum Auflegen animieren. Ich denke, dass dort noch eine Menge Aufklärarbeit geleistet werden muss, um das Bild des weiblichen DJs greif- und umsetzbar zu machen.

Die Jubiläumstour hat dich auch nach Aserbaidschan, Armenien und Georgien geführt. Warum ausgerechnet diese Länder und welche Erfahrungen hast dort gemacht?
2016 wurde ich das erste mal nach Jerewan gebucht und ich habe mich sofort in die Menschen, die Kultur und das Land verliebt. Ich hatte einen unglaublich guten Gig und eine tolle Zeit, sodass für mich klar war, dass ich unbedingt wiederkommen muss. In Zusammenarbeit mit Eva Khachatryan haben wir dann mit dem Support vom Goethe Institut letztes Jahr das erste Frauengedeck in Armenien organisiert. Nachdem wir dort drei erfolgreiche Events und einen Livestream hatten, war klar, dass wir wiederkommen würden. Im Juli diesen Jahres feierten wir drei Jahre Frauengedeck im Salon zur wilden Renate mit einem großen Event. Nachdem ich ins Gate nach Batumi (Georgien) gebucht wurde entstand die Idee dann gleich eine Frauengedeck-Geburtstagstour durch Georgien, Armenien und Aserbaidschan zu machen. So starteten wir unsere Tour in Baku (Aserbaidschan) und mit Unterstützung vom Sintetik Club fand das erste Event im Luna Project statt. Danach ging es dann nach Batumi (Georgien) ins Gate, dritter Gig war das Khidi in Tbilisi (Georgien). Die Tour endete in meinem geliebten Jerewan, wo wir mit Unterstützung des Nine Clubs ein Event in einem alten Recording Studio aus Sowjetzeiten veranstalteten. Krönender Abschluss war ein Livestream aus der Mirzoyan Library in Jerewan. Alle Events waren ein voller Erfolg und das nächste Jahr ist schon in Planung. Meine Erfahrungen dort waren durchweg positiv. So viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft findet man selten. Ich bin immer noch geflasht von so viel Liebe und Wärme, die Menschen dort sind geerdeter und bescheidener, freuen sich über kleine Erfolge und sind sehr offen für neues. Das ist bestimmt auch begründet durch ihre Vergangenheit. Alle drei kaukasischen Länder waren bis zum Zerfall der Sowjetunion Teil der UdSSR und haben politisch einiges erlebt. Der Zerfall der Sowjetunion war ein mehrjähriger Prozess, der mit der Unabhängigkeit der 15 sowjetischen Unionsrepubliken seinen Abschluss fand. Das Verhältnis zwischen Russland und Georgien war in den vergangenen 25 Jahren immer wieder durch Konflikte bestimmt und endete in einem Krieg, seitdem ist es sehr angespannt. Auch die Ex-Sowjetrepubliken Armenien und Aserbaidschan streiten sich seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Jahrelange Verhandlungen zur Lösung des Konflikts haben bisher nur wenige Fortschritte gebracht. Ich hoffe, dass man auf musikalischer Ebene zueinanderfinden kann und das die nächsten Generationen hier einen friedlichen Weg finden. Die Musik als Brücke sozusagen, um einen Kompromiss und eine Lösung zu finden. Es gibt die Idee eine Party zu veranstalten, auf der DJs aus Georgien und Russland B2B spielen und auf dem anderen Floor Djs aus Armenien und Aserbaidschan. Letztendlich verbindet Musik, und das ist doch, worum es geht! Das Frauengedeck wird auf jeden Fall versuchen, das alles zu unterstützen und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Auch gab es vor kurzem eine so genannte “samtene Revolution” in Armenien. Das Land befindet sich im Umbruch. Dort entwickelt sich gerade sehr viel, sowohl kulturell, als auch politisch. “Things are changing!” ist der Slogan gerade hier, das hört man in jedem Gespräch. Wir haben den ersten Plattenladen besucht, der vor einem Monat geöffnet hat. Im Endeffekt tut sich in allen drei Ländern etwas, es geht voran und in Zukunft können wir im Bereich elektronischer Subkultur einiges erwarten.

Deinen Beitrag für unseren Groove-Podcast hast du wie deine DJ-Sets ausschließlich mit Vinyl gemixt. Hast du mit dem Mix ein bestimmtes Konzept verfolgt?
Das Konzept des Mixes ist sehr eng mit der Tour verbunden, es handelt sich zu 90% um Künstler*innen aus Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Eigentlich wollte ich einen Electro-, Breakbeatmix machen, daher habe ich aus dem Material, das mir zugeschickt wurde, versucht, breakige Tracks auszuwählen, um nicht ganz von meinem ersten Grundgedanken abzukommen. Da mir auch sehr viele gute Ambientproduktionen gesandt wurden, habe ich mich dazu entschieden, mit Ambient in den Mix zu gehen und auch mit Ambient zu enden, wobei das Set größtenteils durch breakige Elemente und Techno bestimmt wird. Der erste Track handelt von einem Leutnant, der auf einem aremischen Militärstützpunkt ermordet wurde. Die vom Ermittlungsdienst durchgeführte Voruntersuchung ist abgeschlossen, und der Fall wurde mit der Qualifikation “Verursachung eines Selbstmordes” abgeschlossen. Die Familie des Opfers behauptet, dass die Voruntersuchung mit Rechtswidrigkeiten und gefälschten Beweisen durchgeführt wurde. Sie sind immer noch auf der Suche nach Gerechtigkeit. Also auch ein Track der zum Nachdenken anregt und an die Geschichte der Länder anknüpft. Einige Sachen sind unreleased, werden demnächst veröffentlicht, oder sind nur digital erhältlich, daher hab ich diesmal eine Ausnahme gemacht und auch digitale Tracks gespielt.

Last but not least: Wann können wir dich in nächster Zeit hinter den Decks erleben und wie sehen deine Pläne als Veranstalterin aus?
Die nächsten größeren Events sind zum Beispiel am 26.08. ein Charity Event im Prince Charles, „Life Act 2018 – Solidarity With East Africa & Yemen“. Am 08.09. bin ich zur Mechatronica in der Griessmuehle eingeladen, zu einem gemeinsamen Set mit Tigerhead. Ein neues Frauengedeck im Salon zur wilden Renate gibt es am 21.09., diesmal auf dem House Floor mit Eluize und Essika. Am 06.10. bin ich zum ersten Mal im Speicher in Pasewalk. Im nächsten Jahr geht’s hoffentlich erneut nach Armenien, wir werden ein größeres Projekt mit Workshop etc. starten, gerne auch wieder nach Aserbaidschan und Georgien. Auf der Liste stehen noch Prag, Moskau, Warschau, Krakau, Bratislava, Bukarest, Tel Aviv. Ich bin schon mit einigen Promoter*innen und DJs in Kontakt und möchte gerne weiterplanen, sobald ich wieder etwas mehr Luft habe. Wir buchen immer mindestens einen weiblichen lokalen DJ, um die Mädels vor Ort zu unterstützen. Falls jemand Interesse daran hat, das Frauengedeck dabeizuhaben, kann er*sie gerne mit uns über unsere e-Mail in Kontakt treten.



Stream: Sabine Hoffmann – Groove Podcast 172

01. VHSound – Krakoc [unreleased]
02. Cloistral – Լքվածություն [offworldcolonies ltd.]
03. Gacha Bakradze – The Prayer [Lapsus Records]
04. KamavoSian – The Monolog-Silence [Death Bell Records]
05. MVEQ – Yellow Blast Covers Stomach Slaves´ Impact [unreleased]
06. Greenbeam & Leon Pres. Benvol – Ungravity 001 [Fluxus Records]
07. KamavoSian – Doom [Death Bell Records]
08. Sandwell District – Speed And Sound (Regis Z_ARTS Lab Version) [Sandwell District]
09. Cast Coverts – Revision [unreleased]
10. Cast Coverts – Simpler [unreleased]
11. Tøtal – NGCG 4676 [Death Bell Records]
12. Dash/3ST – Are you Alan??? [Rampe D]
13. Irshad Hussein – Obastan [Circular Limited]
14. DJ AKG – Movument Morning [Hereket Records]
15. Cast Coverts – Raven [unreleased]
16. Irakli – Rollout505 [released soon on .Inkblots Records]
17. Aux Field – Underpass 90 [Kotä Records]

Vorheriger ArtikelGROOVE CD 83 (September/Oktober 2018)
Nächster ArtikelPlatten der Woche mit Alan Fitzpatrick, Discodromo & Massimiliano Pagliara und Deadboy
Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.