Die für Ambient und Soundart so oft beschworene Ortsbezogenheit, die Faszination für bestimmte Natur- oder Kulturlandschaften, real, utopisch oder dystopisch, bleibt meist eine rein ästhetische Frage. Für Alex Zhang Hungtai ist sie existenziell. Der praktisch staatenlos gewordene Saxofonist und Gitarrist aus Taipeh, Taiwan ist permanent unterwegs, von einem Gastaufenthalt zum anderen, von einem Land zum nächsten, mit Stationen in Berlin, Lissabon, Shanghai und diversen Städten in Kanada und den USA, wo er zur Zeit in Los Angeles lebt. Musikalisch hat er seine prekäre Migrationssituation als Dirty Beaches zunächst in Electro-Rockabilly im Suicide-Style reflektiert, ist dabei im Laufe der Zeit von klaren Songstrukturen zu pulsierenden Tracks nach Art der Minimal Music gelangt, und folgt heute einer frei fließenden Drone-Logik, welche sowohl seine jüngeren Soloarbeiten wie auch sein Improv-Trio Love Theme auszeichnet, dessen grandioses Debüt Love Theme (Alter) vom vergangenen Jahr hiermit noch einmal erwähnt sei. Saxofon und Stimme sind auf Hungtais Divine Weight (NON Worldwide) das Ausgangsmaterial, das vervielfacht und stark bearbeitet, von Field Recordings und Orgelsphären unterfüttert zu einer komplexen Soundmaschine wird, die keine Klangtapete sein will (denn dafür passiert zu viel), sich aber ebenso wenig zu post-rockendem Überwältigungspathos aufschwingt – dafür ist sein Sound zu intim, zu nah am Atem. Alex Zhang Hungtai macht im besten Sinne kosmopolitische Musik, abseits von „World Music“, aber nicht prekär. Denn im Motherland des Motherboards ist Alex Zhang Hungtai Ehrenbürger.


Video: Alex Zhang Hungtai – Pierrot

Die norwegische Trompeterin Hilde Marie Holsen arbeitet schwer daran die Klischees die vor allem im Jazz mit ihrem Instrument verbunden sind zu überwinden. Ihre zweite Solo-EP Lazuli (Hubro, VÖ 17. August) benutzt dazu wieder mineralogische Metaphern und versetzt die gestopfte Blue Note-Melancholie von Chet Baker in eine digitalelektrische Umgebung, in der sich alle wohlbekannten Melodiemuster und Sound-Folien in elektrischem Knistern, Zirpen und Rauschen verlieren. Daneben sind ihr Luftholen und der Atem am Mikrofon wesentliche Mitspieler, was ihren steinigen bis vernebelten Soundscapes eine intime Schönheit verleiht. Eva-Maria Houben, Musikprofessorin an der Uni Dortmund, arbeitet als Teil des Wandelweiser Komponisten Ensemble in einem Kontext der die Grenzen zwischen akademischer Neuer Musik, Elektroakustik und freier Improvisation durchlässig machen möchte, mit Ergebnissen die nicht selten auch für Connaisseurs avancierter Elektronik interessant sind. Ihr ausladendes Solo-Orgelwerk Breath For Organ (Second Editions) zeigt dementsprechend mehr Interesse an den Luftströmen der Orgelmechanik, an den unerwünschten Texturen und Nebengeräuschen des Instruments, als an der eigentlichen Komposition. Die naheliegende Verbindung von Deep Listening und Drone geht hier in die Tiefe.


Stream: Hilde Marie Holsen – Orpiment

Der Wendepunkt, an sich dem Wohlklang in Noise und Schönheit in Schmerz umkehren, hat eine ganz eigene Faszination, die besonders Künstler*innen aus dem Dark Ambient-Genre magisch anzieht. Das Duo Ozmotic aus der norditalienischen Motorcity Turin spielt besonders gerne auf dieser Kippe. Ihr drittes Album Elusive Balance (Touch, VÖ 13. Juli) verwebt elegische Klänge, dunkelblaue Note aus dem Sopransaxofon, nach GAS– oder Celer-Rezept verwehte Klassiksamples und gewittrige Abstrakt-Beats mit mysteriösem Krach. Das Ergebnis ist wunderschön, aber nie zu schön. Es verbleibt immer ein Stachel, etwa Trommelfell wie Lautsprecher strapazierende hochfrequente Glitches und dunkel knuspernde Störgeräusche. Auf der Ebene von Sound und Produktion ist das wohl eines der besten (Dark) Ambient-Electronica Alben die je gemacht wurden. In all seiner nie vollständig befreit aufspielenden Schönheit wirkt das Album als Ganzes aber auch ziemlich ausdrucklos und inhaltlich beliebig. Eine Aneinanderreihung toller Sounds. Leidenschaft ohne Liebe.


Stream: Ozmotic – Elusive Balance – Album Mix

Die Noir-Dunkelheit, die Michael Vallera auf der Mini-LP All Perfect Days (Denovali) kultiviert, ist produktionstechnisch nicht weniger gediegen, ja vielleicht sogar noch eine Spur näher an der cineastischen Opulenz von Postrock. So ist die elektrische Gitarre das prägende Instrument des Albums. Vallera benutzt sie allerdings nicht nach dem üblichen Instrumentalrockschema „Mogwai ohne Drummer“, also mit Verzerrer und Volumen am Anschlag, sondern sanft mit viel Hall und Twang, als wäre sie aus einem alten Chris Isaak oder Roy Orbison Stück herübergeweht und hätte sich in einer Drone-Schleife verfangen. Hellmut Neidhardt, der sich N plus der aktuellen Laufnummer seiner Releases nennt, arbeitet sich am Thema Drone mit elektrischer Gitarre auf ganz und gar klassische Weise ab: schweres körniges Feedback in einem schier endlosen Fluss aus Lautstärke und Textur. Seine typischerweise live improvisierten, raumgreifenden Stücke gerieten auf seinen jüngsten EPs N(44) Vreden (Denovali) eher dunkel atmosphärisch, auf der Kollaboration N(52) & Dirk Serries Scatterwound 0.0 (Denovali) dagegen ziemlich derbe und kraftvoll.

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