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Zeitgeschichten: Chicago 1995

Dance Mania, Cajual, Relief und Curtis Jones

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Am Abend begleite ich Cajmere auf die Party, die er im Büro erwähnt hat. Wir landen vor einem Gebäude, das wie ein Gemeindezentrum aussieht. Die Leute sind zwischen 15 und 25 Jahre. Es gibt nur Softdrinks, und alle sind bis zum Anschlagbekifft. Die Verwandlung hat stattgefunden: Green Velvet ist jetzt voll da. In Silberhosen und grünen Schuhen wirbelt er mit seinem grünen Plattenkoffer wie ein wild gewordener Kreisel durch die etwas lasche Menge der Tanzenden. Seine Stimme hat sich verändert. Er albert mit den Leuten im Kauderwelsch eines Sturzbetrunkenen. Jeder kennt ihn, jeder liebt ihn. Nach seinem Set geht es weiter auf eine andere Party, irgendwo in einer Fabriketage. Ein Typ in XXL-Klamotten, wie sie in Chicago von den meisten House-Kids getragen werden, hat Cajmere eingeladen aufzulegen. Doch als wir ankommen, gibt es ein Problem. Der Typ hat nicht bedacht, dass durch Cajmere die DJ-Reihenfolge umgeworfen würde, und irgendwie will man ihn jetzt nicht sofort auflegen lassen.

Cajmere will schon empört abhauen, als der XXL-Typ uns hinterherläuft und unter tausend Entschuldigungen verspricht, dass Cajmere gleich anfangen könne. Doch Green Velvet ist nicht nur wohltätig sondern auch stolz, und so muss der Typ ein bisschen zappeln. Ja, es hätte ihm schon Spaß gemacht zu spielen. Er wisse, dass hier die Leute die Musik wirklich schätzten. Aber unter diesen Umständen … – „don’t ask me for shit again“. Der Typ wird immer untertäniger und bietet an, für Cajmeres Set seine Platten aus dem Fenster zu werfen. Durch diese Geste wird die Ehre von Green Velvet wieder hergestellt und er lenkt ein – naja, man ist ja eigentlich auch ziemlich heiß
darauf, noch aufzulegen. Auf der Heimfahrt im Morgengrauen fängt Cajmere mit mir eine Diskussion darüber an, ob er sich korrekt verhalten habe.

Nach der Party anlässlich Dajaes erster Albumveröffentlichung Higher Power im „Shelter“ finden sich alle im Cajual-Büro ein, um gemeinsam die Nacht ausklingen zu lassen. Wir sitzen in einem großen Kreis. DJ Sneak legt eine Kassette mit einer alten Farley-Radio-Show ein. Er entledigt sich seiner riesigen Schuhe und beginnt, in unserer Mitte barfuß die Samba zu tanzen. Sein kleiner Bruder Ron, der bei Cajual als Aushilfe arbeitet, stößt mich an: „Schau dir das Hinterteil an, wie ’n Sumoringer und so ’ne Scheiße! Das ist Farley Jackmaster Funk: alte Scheiße! Damit sind wir alle hier aufgewachsen und so ’ne Scheiße…“

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