Wie hast du das Kino entdeckt?
Alex Do: Am Anfang haben mich die Animes des Studio Ghibli geflasht, Prinzessin Mononoke etwa. Da ist ganz viel Emotion und Deepness drin. Die letzten Glühwürmchen hat mich auch schon als Kind fertig gemacht. Sehr früh habe ich auch Akira und Ghost in the Shell gesehen. Das waren für mich so Momente, da habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Da habe ich gedacht: ‘Krass, was ist denn das?’ Akira ist zum einen megabrutal. Zum anderen hat mich umgehauen, was da für philosophische Aspekte abgearbeitet werden. Oder was der weibliche Cyborg bei Ghost in the Shell sich für Fragen stellt. Das fand ich faszinierend. Bei den letzten drei Folgen von Neon Genesis Evangelion habe ich dann mich fragt: ‘Wie krass kann das überhaupt noch werden?’ Alle diese Filme haben mir schon früh gezeigt, dass es im Kino viel Deepness gibt, die es zu entdecken lohnt.

Welche Filme beschäftigen dich aktuell?
Alex Do: Im letzten Jahr habe ich begonnen, eine Liste zu führen, in die ich alle Filme eintrage, die ich mir anschaue. Ich dachte, dass ich viel konsumiere, aber vieles davon sofort wieder vergesse. Das ist wie ein Tagebuch. Mit Büchern und Ausstellungen mache ich das auch. Berlin Syndrome fand ich schauspielerisch herausragend, und Code Blue fand ich unvorstellbar. Da passiert ganz wenig: Eine vereinsamte Frau schläfert in dem Altersheim, in dem sie arbeitet, alte Menschen ein. Das ist aber gar nicht der zentrale Handlungsstrang, es geht um ihr Leben. Da wird mit wenig viel vermittelt. Und da gibt es fast gar keinen Soundtrack, an vielleicht vier Stellen kommt ein kurzer Drone. Das meiste passiert dadurch, wie sie schaut, durch die Blicke.

Hörst du dir auch gezielt Soundtracks an?
Alex Do: Ich habe festgestellt, dass ich oft Ambient-Alben höre, die eigentlich Soundtracks sind, zu denen ich aber gar nicht die Filme kenne, zum Beispiel …And In The Endless Pause There Came The Sound Of Bees. Das war meine erste Berührung mit Jóhann Jóhannsson. Ein Soundtrack, den ich oft gehört und sehr gefeiert habe, ist der von From Dusk Till Dawn. Die Songs sind nicht für den Film geschrieben, aber Quentin Tarantino hat immer eine megageile Musikauswahl. Total verrückt ist der Soundtrack von Perfect Blue, einem Anime. Da ist die Musik im Film aber etwas völlig anderes als im Soundtrack. Im Film werden nur Teile der Songs oder Loops verwendet, die man auf dem Soundtrack komplett hören kann. Akira habe ich so oft gesehen, dass bei mir durch den Soundtrack bestimmte Sequenzen aus dem Film getriggert werden. Die Musik von Ghost in the Shell ist auch sehr gut.

Stellst Du Dir Bilder vor, wenn Du Musik produzierst?
Alex Do: Eher eine Stimmung. Heute habe ich gute Laune, das würde da jetzt gerne reinpacken, ganz profan gesagt. Oder: In letzter Zeit habe ich viel mit Melodien gemacht, deshalb will ich heute etwas Perkussiveres machen, einen Track, der ohne Melodie auskommt. Wenn dann doch eine Melodie ins Spiel kommt, zwinge ich mich, die wieder rauszunehmen.

Das geht nicht nur deinen Eltern so: In unserer Kultur ist es allgemein leichter, etwas durch eine Melodie auszudrücken als mit einem Groove.
Alex Do: Neulich habe ich an einem Lied gearbeitet, da hatte ich so eine Melodie drin. Zwei Tage habe ich rumprobiert, was ich jetzt noch machen könnte, damit das geiler wird. Die ganze Zeit war ich unzufrieden mit dem Stück. Dann habe ich irgendwann die Melodie weggemacht und dachte: Krass, das ist es! Das ist viel geiler, der Track braucht die Melodie gar nicht. Manchmal muss man mit Abstand überlegen, ob die Elemente wirklich notwendig sind. Ein Element zu entfernen ist dann, was noch fehlt.

Früher waren Maxis oft Sammlungen von Clubtracks, deine Platten machen einen Bogen, sie erzählen eine Geschichte. Wie entwickelst du diese Geschichte?
Alex Do: Gute Frage. Wenn ich eine EP für Dystopian mache, habe ich ein gewisses Thema vor Augen, in welche Richtung meiner Meinung nach die Musik gehen sollte, wenn ich sie da veröffentliche. Das bedeutet aber nicht, dass immer alles dark sein muss. Es gibt da keinen Trademark-Sound. Aber für die einzelne EP versuche ich schon, einen bestimmten Sound zu kreieren. Für mich ist eine EP ein in sich geschlossenes Ding, zumindest strebe ich das an. Das hat dann auch den Effekt, dass es vielleicht einen Intro-Track gibt, eine Art Banger, dann irgendwas Deepes und ein Outro. Das ist natürlich ein ganz gängiges Schema. Ich versuche auch nicht immer, das umzusetzen. Aber so kann man das machen. Oder vielleicht habe ich dann drei Tracks fertig und frage mich: Was für einen Track könnte ich noch machen, der sich da gut einfügt? Was braucht diese EP noch? Vielleicht fehlt noch ein krasser Dancefloor-Track. Dann kann ich die Produktion in diese Richtung lenken.

Zum Schluss: Auf was hast du reagiert in Berlin: Symphonie der Großstadt? Auf den Inhalt, auf die Stimmung? Wie sah dein mentaler Prozess aus?
Alex Do: Da fallen mir zwei Dinge ein. Das Bild hat mir sehr gefallen, wie es damals aufgenommen wurde. Du siehst, dass das ein verdammt alter Analog-Film ist. Du erkennst das Grain, du siehst Fehler im Bild. Du siehst den krassen Kontrast im Schwarz/Weiß, das finde ich auch sehr geil. Da achte ich bei Filmen generell drauf, deshalb faszinieren mich Filme aus den Achtzigern so sehr. Durch die Farben haben die ein Bild, das du ganz klar zuordnen kannst. Was ich auch schön fand, war der Aufbau des Films: dass das anfängt mit den Zügen, die nach Berlin reinfahren, und dann baut sich das so auf in den Arbeitsalltag. Und am Ende gibt es das Nachtleben. Diese Anordnung ist die einzige Steuerung. Ansonsten ist es nur die Stadt, die für sich selbst spricht.

Du hattest das Privileg, die Musik für das Ende des Films zu komponieren. Mit was für einem Gefühl entlässt du die ZuschauerInnen aus dem Kino?
Alex Do: Zum Schluss wurde es echt emotional. Frank hat so eine krasse Melodie gebaut, dann ist er noch ein paar Akkorde runtergegangen und hat einige Bassnoten gespielt. Das ging mir sehr nahe, das war ein geiler Moment. Ich bin gespannt darauf, das im Film zu sehen.


Video: Symphony of Now: Teaser

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