Die melancholische Variante solch avancierter Spieluhrsounds wird besonders im hohen Norden gepflegt, etwa in der kleinen aber extrem gut vernetzten Freakfolk-Szene Finnlands, wo Laura Naukkarinen alias Lau Nau die Freiheiten auslotet, die sich zwischen improvisierter Noise-Psychedelia und intimem Kammerpop von zartestmöglicher Lieblichkeit eröffnen. Poseidon (Fonal/Beacon Sound) ist ihr bisher konventionelleren Pop- und Folk-Sounds am deutlichsten zugeneigtes Album, auf kleine kratzend knurrende Irritationen der eingängigen Oberfläche verzichtet sie aber dennoch nicht. Merja Kokkonen, Naukkarinens Kollegin vom Improv-Trio Hertta Lussu Essä ist Solo als Islaja unterwegs und lebt inzwischen in Berlin, wo sie vor kurzem Teil von Gudrun Guts Monika Werkstatt wurde. Ihr Sound ist in den Berliner Jahren elektronischer und tanzbarer geworden, aber freigeistig und eklektisch geblieben. Auf Tarrantulla (Svart) stehen mit Autotune nach Trap-Art überzogene Vocals ihrer ansonsten wundervoll satten Stimme im Kulturen-Clash mit Rockabilly-Synthpop, Lärm und Folksongs. So klingt unbekümmerte Freiheit. Und dennoch (oder gerade deswegen) ist das Pop der keine weiteren Adjektive nötig hat.
Stream: Islaja – Tactile Material
Dass sogar aus ernsthaft neutönender, akusmatisch elektroakustischer Musikproduktion so etwas wie Pop-Appeal herausklingen darf, dafür stehen die verspielten Kompositionen der Britin Manuella Blackburn. Petites étincelles (empreintes DIGTALes) versammelt fünf ihrer jüngeren Klangcollagen, die sich einerseits auf nichtwestliche Instrumente (wie die Shruti-Box) und Traditionen (wie Gamelan und indische Ragas) beziehen, aber genauso auch auf nichtmusikalische Klänge von Küchenspülen zu Standuhren. Für Blackburn haben noch die profansten Dinge ein Eigenleben. Überaus vitale und gutgelaunte Poltergeister klappern durch ihre Stücke. Hochauflösende Einzelbilder überdrehter Spieluhren im Zustand des Explodierens.
Stream: Manuella Blackburn – Time Will Tell
Der Brite Tim Garratt alias Moon Zero wendet auf seiner zweiten LP Relationships Between Inner & Outer Space (Denovali) Dark Ambient und Drone von innen nach außen. Die vier epischen Tracks des Albums sind breit angelegte Soundscapes, die in langen Spannungsbögen von spezifischen Orten, Menschen und Situationen erzählen. Dass es das Leben mit Garrat in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Album nicht immer gut meinte, dass er die für seine Generation („Y“) typischen Reise- und Künstlerprekariats-Erfahrungen eher als existenziell gefährdet denn als „Gap Year“ Lebenslauf-Booster erlebt hat, gibt seinen dem Pathos durchaus nicht abgeneigten Tracks eine genuine Schwermut mit, die über die oft gefriergetrocknete Emotionalität seines Genres hinausgeht und es mit den großen Melancholikern des modernen Drone wie Rafael Anton Irisarri mithalten kann. Irisarris Mitte 2017 erschienenes und wie gewohnt großartiges Album The Shameless Years (Umor Rex) sei an dieser Stelle noch als Referenz erwähnt.
Strean: Moon Zero – Sunk Cost