Übersetzung: Matthias Jost. Zuerst erschienen in Groove 110 (Januar/Februar 2008)
Moderne Popmusik, so die Theoretiker, ist mittlerweile dermaßen selbstreferenziell geworden, dass sie in einem geschlossenen Kreislauf gefangen ist, für immer ihren eigenen Schwanz jagend. Alles ist die Kopie einer Kopie einer Kopie seiner selbst. Das 2006 erschienene, selbstbetitelte Debütalbum von Burial schien einen Weg aus diesem rasenden Stillstand aufzuzeigen, weil es wieder Emotionen in den Kreislauf einbrachte. Auf dem Nachfolger Untrue geht Burial nun sogar noch einen Schritt weiter.
Genau wie wir hat sich Burial vermutlich mal gefragt, was wohl aus all den großartigen Songs geworden ist, die uns dereinst zum Lachen und Weinen gebracht haben: Wohin geht ein altes Lied, wenn es stirbt? Burial bezog dies auf alte UK-Garage- und Rave-Tunes. Sie verwendete er als Blaupause und behandelte sie wie altehrwürdige Traditionen, die nun dieselbe Liebe und denselben Respekt verdienen, die Liebhaber einst Jazz oder Blues entgegen brachten. Er nimmt die Standard-Elemente des 2-Step – hochgepitchter, femininer Druck und synkopierte Shuffle-Beats – und verwandelt sie in die in Knistern gehüllte Übertragung eines Piratensenders aus einer neu erdachten Vergangenheit.
Doch Burials Tunes sind mehr als nur Elegien für die MDMA-Generation: Sie haben ein seltsames Eigenleben angenommen, ergreifen Alt-Punks, Dub-Heads und Indie-kids gleichermaßen – jeden also, der jemals von einem großartigen Stück Musik zu Tränen gerührt wurde.
Als Person ist Burial so flüchtig und schwer zu fassen wie seine Musik. Er bevorzugt es, anonym und isoliert zu arbeiten, außerhalb der Zwänge der egogetriebenen Musikindustrie. Trotz seines wachsenden Bekanntheitsgrads bleibt er lieber inkognito, hält an seinen Underground-Wurzeln fest und seine Privatsphäre geheim – er hat sich noch nie fotografieren lassen, nur eine Gruppe enger Freunde kennt seine Identität, und es gibt bislang nur eine Handvoll Interviews mit ihm. Doch eine Reihe zaghafter E-Mails und Telefonate führte schließlich zu einer Begegnung. Dabei sprach der Produzent aus Südlondon offen und mit großer Leidenschaft über die Klänge, die ihn bewegen.
Auf deinem Debütalbum hattest du Produktionen versammelt, die zum Teil viele Jahre alt waren. Wie siehst du im Vergleich dazu die Tracks deines neuen Albums Untrue?
Das neue Zeug klingt weniger wie ein Demo, aber immer noch rough. Ich fühle mich jetzt näher dran an dem, was ich will. Etwas, das Garage, Jungle, Dubstep, all die Sachen, die ich mag, nimmt, sie auf eine bestimmte Art zusammen bringt und dabei auch noch die Menschen vereint, die diese Musik lieben. Ich konnte aus verschiedenen Gründen eine Zeit lang keine Tunes machen. Also brauchte ich einige Zeit, um wieder reinzukommen, und zu dem Grund zurück zu finden, aus dem ich überhaupt je Stücke produziert habe. Ich wollte etwas machen, das einerseits unspektakulär und Underground ist, aber andererseits auch aufregend und warm. Ungefähr die Art von Tunes, von der ich als Kind träumte, dass ich sie eines Tages produzieren würde. Etwas für mich selbst, aber auch etwas, von dem ich hoffe, dass es anderen ebenfalls gefallen wird. Ich bin von anderen Produzenten inspiriert, aber ich möchte nicht genau wie sie klingen. Manchmal musst du einfach auf eigene Faust in die Dunkelheit aufbrechen.
Welche Einflüsse haben sich auf dein neues Material ausgewirkt?
Ich liebe den Klang von Tunes, die sich anfühlen, als seien sie irgendwie verloren. Es gibt bestimmte Stücke wie “Love” von Luke Slater, Steve Gurleys Sachen, “Let Go” von Teebee, “Ras 78” von Digital, die so ein Gefühl in sich gefangen haben. Nicht zu vergessen “Beachdrifta” von Rufige Kru. Diesen Track höre ich mir jeden Tag an. Nichts kann irgendwie daran rütteln. Ich liebe auch den aktuellen UK-Underground-Sound, weil er launischer ist, rollender als alles andere. Und ich mag die euphorischen Elemente in UK-Tunes. Ich bin zu jung, um jemals auf einem Warehouse-Rave gewesen zu sein, aber ich will den Ravern zeigen, dass es immer noch jemanden gibt, der die Fahne für diesen Sound hoch hält, dass das Signal immer noch da draußen ist.