Zuerst erschienen in Groove 168 (September/Oktober 2017). Fotos: Matthias Wehofsky
Sein dubbiger, vielschichtiger, fast schon filmischer Sound hat Rødhåd zu einem der erfolgreichsten Techno-DJs gemacht. Als Oberhaupt der Dystopian-Crew erzeugt der Berliner ein düsteres Klangbild, das mit dem Zukunftsoptimismus früherer Technogenerationen bricht. Auf seinem Debütalbum wendet er sich vom Dancefloor ab und entwickelt die erzählerischen Qualitäten seiner gewaltigen Soundscapes weiter.
„Ich habe mal in London gespielt und da stand ein Ventilator hinter mir“, erzählt Rødhåd. Wir sitzen in der aus Containern gebauten Künstlerkantine des Melt-Festivals und machen uns wahlweise über Boeuf Bourguignon oder Falafel her. Für Mike Bierbach, so lautet Rødhåds bürgerlicher Name, geht am Sonntag vom Melt ein Auflege-Wochenende zu Ende, gleich wird er gemeinsam mit Kristian Beyer von Âme das Closing-Set auf der Big-Wheel-Stage spielen. „Ich dachte, wenn ich mich jetzt die ganze Nacht anblasen lasse, habe ich morgen eine Erkältung. Da habe ich den Stecker rausgezogen.“ Kunstpause. „Da ging die Musik aus und das Licht auch. Nur der Ventilator lief noch.“ Gelächter. Mike Bierbach hat ein besonderes Lachen: Es ist nicht schallend und unkontrolliert, sondern ein kurzes, sarkastisches „Hehe“ aus dem Kehlkopf. Kristian Beyer erzählt von einem Festival in Kroatien, wo der Strom komplett ausgefallen ist. Jetzt fliegen gleich die Flaschen, dachte er für einen Moment.
Mit uns am Tisch sitzt die vierköpfige Dystopian-Crew, die für Mikes Künstlermanagement, für das Label und für die angeschlossene Booking-Agentur verantwortlich ist. Sie wollen nicht namentlich genannt werden: Es gehört zur Philosophie der Gruppe, ausschließlich durch die Künstler repräsentiert zu werden. Mike wirkt ruhig und ein wenig in sich gekehrt, vielleicht stellt er sich innerlich schon auf sein Set ein. Kristian hingegen sprüht vor guter Laune, eine Anekdote jagt die andere. „Meine Tochter hat zu mir gesagt: ‚Papa, du bist gar kein Künstler‘“, lacht er. „Weil ich kein Porträt malen kann. Ein Künstler ist für sie jemand, der Porträts von Menschen malt.“ Früher galten Maler ja gerade als Handwerker, gibt Mike zu bedenken. Kristian Beyer ist Deep-House-Dandy, Genussmensch, Schalk und Papa. Er liebt das Tempo, den Kontakt zu den Kollegen. Mike steigt nicht so in die Situation ein, er ist gefasster, introvertierter, vielleicht ein wenig schüchtern.
Stream: Rødhåd – Target Line (feat. Vril)
Kurze Zeit später stehen Mike und Kristian auf der Bühne. Die Crowd wirkt erschöpft und für einen Moment schauen die beiden ein wenig mürrisch drein. Jeder hat zwei CDJ-Spieler und meistens wechseln sie sich nach zwei Nummern ab. Kristian beginnt mit einem filigranen, flirrenden Stück, das sich von den pumpenden Basslines von Maceo Plex absetzt, den die beiden abgelöst haben. Dann erzeugen volle, satte Streicher reine Antizipation. Jetzt ist Mike an der Reihe, sein Stück klingt ähnlich flächig, hat aber einen gewaltigen Bass, der eine tief greifende Energie entwickelt. Dann wird eine unkontrolliert aufbrausende Hookline von einer dubbigen Dynamik aufgefangen und im nächsten Moment taucht ein irrer, leiernder Sound in einen ozeanischen Bass ein. Die Zweifel sind weggeblasen, die beiden haben schnell in ihr Set gefunden. Kristian tanzt und lacht. Mike strahlt eine große Ruhe aus.
Man müsse ihn manchmal daran erinnern, auch mal ins Publikum zu schauen, sagt einer aus der Dystopian-Crew. Aber Mikes Charisma funktioniert nicht über die kühnen Blicke von Marcel Dettmann oder Nina Kraviz. Rødhåd ist ein Klangmensch der ganz und gar von der Musik zehrt. Dass er nie genug von den Sounds kriegen kann, dabei aber doch genau weiß, wo er uns hinbringen will, macht ihn zu einem so außergewöhnlichen DJ, zu einem Fährtenleser, der uns durch die unerschöpflichen Klang- und Fantasiewelten des Techno samt ihrer ganzen Düsterkeit und Schönheit führt.