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Zeitgeschichten: Jean-Michel Jarre & Vangelis

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Das Massenpublikum stieß jedoch größtenteils nicht durch Pop zum ersten Mal auf elektronische Musik, sondern durch die Modeerscheinung von moogifizierten Versionen von Stücken der großen Komponisten, die in den 60ern und frühen 70ern die Welt der populären Klassik im Sturm eroberte. Die Hysterie hatte die amerikanische Komponistin Wendy Carlos mit ihrem 1968er Millionenseller Switched On Bach ins Rollen gebracht. In den frühen 60ern war die ehemals unter ihrem Vornahmen Walter bekannte Künstlerin eine Avantgarde-Komponistin gewesen, die unter Wladimir Ussatschewsky im berühmten Columbia-Princeton Electronics Center arbeitete. Nachdem sie mit Robert Moog, dem Erfinder des Synthesizers, in Kontakt getreten war, gründete Carlos die Firma Trans-Electronic Music Productions und machte sich daran, Bachs Barock-Kompositionen für den Moog zu konvertieren. Trans-Electronic Music Productions, Inc. Presents: Switched On Bach, um das Album bei seinem vollen Namen zu nennen, war ein Riesenerfolg, dem schnell The Well-Tempered Synthesizer (eine Anspielung auf Bachs „Wohltemperiertes Klavier“) folgte. Carlos begann dann die Arbeit an einem Doppelalbum mit eigenen Kompositionen, Sonic Seasonings von 1972. Jede der vier LP-Seiten war mit einer Jahreszeit assoziiert. Man könnte argumentieren, dass die friedvoll-atmosphärischen Texturen und der Einsatz von Umweltgeräuschen Brian Enos Status als Erfinder der Ambient-Musik vorwegnimmt. Im selben Jahr nahm Carlos den Soundtrack zu Stanley Kubricks kontroversem Film A Clockwork Orange auf, auf dem sich sowohl Adaptionen klassischer Stücke als auch Eigenkompositionen wie „Timesteps“ und „Country Lane“ fanden.

Zur selben Zeit war ein von Carlos inspirierter Fernseh- und Filmmusik-Komponist in Japan namens Isao Tomita intensiv damit beschäftigt, sein eigenes Debütalbum elektronifizierter Klassik einzuspielen. Nachdem er Switched On Bach gehört hatte, kaufte sich Tomita einen Moog III-Synthie, baute sich ein Heimstudio und gründete seine eigene Firma Plasma Music, dem Vorbild von Trans-Electronic Music Productions, Inc. nachempfunden und der Erschaffung von „Musik mit elektronischen Mitteln“ verschrieben. Snowflakes Are Dancing erschien 1974 und wurde durch seine abgehobenen Débussy-Umsetzungen zu einem weltweiten Erfolg. Das Album sticht hervor durch seine kalligrafisch-delikate Detailverliebtheit und das lebhafte Spiel am Rand der knallbunten Palette elektronischer Klangfarben, während der listige Humor und die Verspieltheit in Tomitas Herangehensweise im Gegensatz zur dunkleren und unheilvollen Atmosphäre von Carlos‘ elektroklassischem Werk standen.


Video: Music Revolutionaries – Robert Moog & Wendy Carlos

In einer Geste, die typisch für das Synthie-Epos-Genre werden sollte, ließ Tomita auf der Rückseite des Albumcovers eine lange Liste mit sämtlichen Geräten, die bei der Albumproduktion verwendet worden waren (inklusive jeder einzelnen Komponente seines Moog und der jeweiligen Anzahl, die er davon besaß: „extended range fixed filter bank – 1; envelope generator – 4; bode ring modulator – 1; sequential controller – 2…“ etc.), abdrucken. Ein weiteres definierendes Element für die Ikonografie des Genres war das Foto auf der Rückseite des Albums, das den Maestro vor einer Reihe von Skalen, Drehreglern, Potenziometern und Kabeln zeigte. Weitere Alben befassten sich mit Mussorgsky und Strawinsky, und Tomitas Karriere erreichte ihren kreativen wie kommerziellen Höhepunkt mit seiner 1977er Fassung von Gustav Holsts Planetensymphonie. Sie war Tomitas kunstvollste Übersetzung klassischer Musik für das Weltraumzeitalter, auf der die schillernden, weltfernen Synthieklänge perfekt zu den außerirdischen Motiven von Holsts Musik passten. Dieses Update ist voll exquisiter Details, wie die Verwendung von Stereoschwenken auf der Merkur-Suite, um den sausenden Quecksilbergeist des Götterboten zu akzentuieren.

Zum damaligen Zeitpunkt machte sich jedoch ein gewisser Größenwahnsinn im Hause Tomita bemerkbar. Auf dem Cover des Vinylalbums und dessen Rücken stand der Titel „The Tomita Planets“ zu lesen, während Holsts Name nur auf der Rückseite in winzigen, kaum leserlichen Blau-auf-Schwarz-Buchstaben über dem „The“ in „The Planets“ erscheint, und das in einem wesentlich kleineren Schriftsatz als das unübersehbare Statement „electronically created by Isao Tomita“. Dieses scheinbare Pochen auf einen Co-Autor-Status wird durch eine noch mutigere Anmerkung bestätigt, die besagt: “This album was produced, arranged, programmed for synthesizers, performed, recorded and mixed down by Isao Tomita.” Offenbar lief ein Ego hier Gefahr, sich zur Supernova aufzublähen!

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