Rückblende. Der Abend des 19. Februar. Ort: Station am Berliner Gleisdreieck. Zum 30. Mal wird hier der queere Filmpreis „Teddy“ im Rahmen der Berlinale verliehen. Als Live-Act tritt gegen Ende der Verleihung Virginia gemeinsam mit Steffi und Dexter auf, um einen Song vom neuen Album zu performen. Weltpremiere sozusagen. Der Roland Juno, Mischpult, Laptop und weiteres Equipment sind aufgebaut. Nach dem Song soll es noch einen Walking Act eines Schauspielers geben, dann das finale Fotoshooting on stage mit allen Preisträgern. Moderator Jochen Schropp musste aber entweder ganz dringend auf Toilette, hatte keine Lust mehr oder den Ablauf einfach komplett vergessen. Auf jeden Fall kündigt er die Performance als DJ-Set an, moderiert die Verleihung missverständlich ab. „So, das war’s …“ Und noch bevor es mit dem Song losgeht, steht ein Großteil des Publikums auf und macht sich über schale Proseccos, vorgezapfte Biere und Bussibacken her. „Ja, das ist leider in die Hose gegangen“, erklärt Virginia. „Ich hab von der Moderation gar nichts mitgekriegt, weil ich das Monitorsignal in meinen Ohren hatte, und musste mich schon wundern, wieso alle einfach aufstehen. Es hat trotzdem viel Spaß gemacht.“ Man hätte es sich einfacher machen können, indem man die Livepremiere an einem Panorama Bar-Sonntag gebracht hätte. Aber darum ging es nicht. Das Ausloten neuer Möglichkeiten, der Sprung ins kalte Wasser – das alles schien Motivation genug, um auch eine schwierige Situation wie diese mit Würde über die Bühne zu bringen.

Virginia wuchs in den achtziger Jahren in München als Kind einer brasilianischen Musikerfamilie auf. Der Vater bereiste die Welt mit einer Big Band. Die Mutter war Sängerin und auch Virginia bekam früh Gesangs- und Klavierunterricht. Es war kein Umfeld, in dem die Eltern sagten: „Kind, mach was Gescheites!“ Das Musizieren wurde sogar streng und konsequent gefördert. Musik scheint in der Familien-DNA zu liegen: Einer ihrer Brüder wurde Studiotechniker, ihre Schwester arbeitet im Verlagswesen. Nur der jüngste Bruder ist Banker geworden. Aber so was kommt bekanntlich in den besten Familien vor. Virginia interessierte sich früh für elektronische Musik, ihre Plattensammlung wurde größer, später kamen erste DJ-Sets. Eines Tages bespielte sie ein DJ-Fußballturnier in der bayerischen Hauptstadt, bei dem DJ Hell und Konsorten sich gegen die Frankfurter Technoelite die Stollen in die Hacken grätschten. Im Laufe des Tages tauchte Tobi Neumann am DJ-Pult auf: „Hey, wenn ich einen Club mache, bist du mein erster Resident“, meinte er. Aber überraschenderweise handelte es sich nicht um den üblichen Dicke-Hose-Spruch. Neumann hielt sein Wort. Als er das Flokati im Ultraschall eröffnete, wurde Virginia umgehend als Resident gebucht.

Vier Jahre dauerte diese Liaison. „Die Zeit im Flokati war eine gute Schule, wir hatten eine tolle Szene und ich hatte definitiv meine wilden Zeiten dort“, resümiert sie. Parallel arbeitete sie an ihrer Karriere als Sängerin. 1999 landete sie mit Tom Novys „I Rock“ einen veritablen Mainstream-Hit, später arbeitete sie mit Clueso zusammen, ging mit dem Kanadier Mocky auf Welttournee und war viele Jahre fester Bestandteil des Backing-Chors beim Deutschpop-Superstar Nena. „Es schlugen schon immer zwei Herzen in meiner Brust“, erklärt Virginia, die sich nie auf eine Sache festlegen wollte, „es war mir immer wichtig, neben dem Auflegen mit Bands zu spielen, live auf der Bühne zu stehen.“ Es erschien ihr erstes Popalbum als Virginia Nascimento, das sie während ihrer Zeit um 2008 in Frankfurt aufnahm. Die Dancefloors bekamen ihre Stimme in Features für Abe Duque oder auch Butch zu hören. Vor elf Jahren zog sie nach Berlin. Ein logischer Schritt für eine Musikerin ihres Kalibers. Die Möglichkeiten waren einfach größer. „In München hätte ich mich anders entwickelt.“

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