Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das Groove-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Baba Stiltz’ Cameo-Karussell, kanadischen Vibes von Emre, finnischen Essentials von Lil’ Tony, Prosumers liebervoller Musik für düstere Zeiten und S S S S’ avancierten Subkultur-Tourismus. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.
5. Baba Stiltz – RA.587
Dass der langhaarige Baba Stiltz nicht nur ein außergewöhnlicher Producer ist, der auf ziemlich freshe Weise Deep House mit Disco und selbst eingesungenen R’nB Balladen kombiniert, sondern auch ein mindestens ebenso begabter Selector, zeigt dieser ziemlich tolle Mix für Resident Advisor.
Wie bei seinen eigenen Produktionen hat der in Stockholm lebende Schwede eine Affinität zu seriös groovenden House-Tracks, die jedoch mit mindestens einem prägnanten Element weit über den reinen Tool-Charakter hinausreichen. Man merkt: hier ist jemand mit Herz, Verstand und ja, auch viel Spaß dabei. Dabei greift Stiltz auf ebenso bekannte (KC Flight – “Voices”) wie rare Tracks (Petre Inspirescu – “Pacalit De Q”, von einer angeblich auf 30 Stück limitierten EP, die nie offiziell veröffentlicht wurde und dessen gepfiffene Melodie, ein Morricone-Sample, schon gleich zu Beginn die Stimmung setzt), Neuerem (das aber alt klingt) wie Mr Tophat & Art Alfies Disco-Track “No Holdings (Radio Edit)” und Älterem (das aber zeitgenössisch klingt) wie Santonios “Sex Games”, das Tresor 1995 ausschließlich auf CD veröffentlicht hatte, oder das von Sound Metaphors wiederveröffentlichte Mitt-90er-Deephouse-Track “Organized” von DJ Dove.
Und wer auch noch Erobique & Robag Wruhmes tollen Nachti-Ohrwurm “Hier kommt die Sonne” droppt, hat mein Herz sowieso schon im Sturm erobert. Dass Kollegen wie Samo DJ und DJ Koze dann noch kurze verbale Gastauftritte haben, verstärkt nur noch den singulären Charme des Mixes. (Thilo Schneider)
4. Emre – Little Tapes Radio 04/08/2017
In der Radioshow vom 4. August übernahm Emre für einen einstündigen Slot des Montrealer Veranstalters Little Tapes die Kontrolle. Der international recht unbekannte DJ überzeugt mit einer sehr lebhaften Mischung aus House, Breakbeats und Minimal. Nach einem kurzen balaerischen Intro mit zarten Gitarrenzupfern folgt ein Exkurs durch verschiedene Rhythmen elektronischer Musik. 4/4-House reiht sich an Jungle und Breakbeats, darauf folgt Minimal.
Auf berauschende Momente folgen melancholische Tracks, die Stimmung des gesamten Mixes leidet darüber aber keinesfalls. Ebenso reihen sich leichtfüßige House-Nummern an euphorische Tanzflächenbomben, doch der übergreifende Sound bleibt dabei bestehen. Eins haben alle Tracks gemeinsam: Keiner fährt mit allzu theatralischen, emotionalen Riffs auf. Eine angenehme Unaufdringlichkeit verbindet die Titel. Ein Mix, der den luftigen kanadischen Klang (à la Mood Hut und Pacific Rhythm) perfekt einfängt. (Christoph Umhau)
3. Lil’ Tony – Dekmantel Podcast 136
Wer Finnland sagt, muss auch Lil’ Tony sagen. Denn wie kein Zweiter gestaltet der Produzent, Clubbetreiber und Flow-Festival-Mitbegründer die elektronische Musikszene des Landes seit mehr als zwei Jahrzehnten maßgeblich mit. Da ist es nur konsequent, dass sein einstündiger Beitrag zum Dekmantel-Podcast ausschließlich finnische KünstlerInnen und Musik vorstellt. Größtenteils in den Achtzigern veröffentlicht, erhalten viele der unbekannten Stücke nicht nur ein „Lils Treatment“, sie alle werden perfekt in diesen eklektischen Good-Vibes-Trip integriert – von Ambient über Disco und Electro bis hin zu Soul, Boogie und New Wave. Ein Mix, der durch Lil’ Tonys genialen kuratorischen Schneid brilliert und kann wohl für alle, die Perlen der finnischen Musikgeschichte entdecken wollen, als essentiell bezeichnet werden. (Sebastian Weiß)
2. Prosumer – NTS Radio 22. August 2017
Kein Mix, kein House und Techno und gerade deshalb eine musikalische Bereicherung: Seit zweieinhalb Jahren ist Achim Brandenburg alias Prosumer einmal im Monat mit seiner Sendung beim Londoner Sender NTS zu hören. In seiner August-Show spannt er über zwei Stunden einen klanglichen Bogen der von Minimal Music über Soul zu MPB reicht. Stücke von Sade, Steve Reich und Marilyn gehören zu den vielen Höhepunkten der Auswahl, in die sich die wenigen elektronischen Stücke, etwa von Colleen oder Mark Pritchard, nahtlos einfügen. Unterbrochen wird die Sendung alle drei, vier Stücke von Prosumers sonorer Stimme, die zum intimen Hörerlebnis beiträgt. Wie er es selbst sagt: liebevolle Musik für düstere Zeiten. (Heiko Hoffmann)
1. S S S S – INCHMIX032 “We All Fall Down”
Als “Subkultur-Touristen” bezeichnet sich der Schweizer Produzent Samuel Savenberg in einem kurzen Text, der seinen Beitrag zur INCH-Mixserie begleitet. Allein mit Blick auf seinen bisherigen Output bestätigt sich das nur: Zwischen experimenteller Elektronik auf Langstrecke und zuletzt einer relativ floorfreundlichen EP für aufnahme + wiedergabe spannt er unter dem Pseudonym S S S S ein breites stilistisches Feld auf.
So auch dieser Mix, der Savenberg laut Selbstaussage ebenso als DJ wie als Musikhörer zeigen soll und dabei mit einem programmatischen Sample seinen Auftakt nimmt: Die Sprachfetzen “a whole, miserable subculture” schweben über hoch-definierten Basstönen und vielschichtigen Noise-Layern. Von wirbelnden Kickdrums über eine Wave-Interpretation des Wiegenlieds “Ring a Ring o’ Roses” hin zu den überraschend platzierten Riddims von DRIFT.s “Genderland” wird hier viel abgeackert, ohne dass sich Savenberg in Wahllosigkeiten verlieren würde.
Obwohl er sich ungern dem Diktat der elenden Subkultur beugen will, so weiß er immerhin doch ziemlich genau, wo er nicht eben möchte: “No spiritual or esoteric escapism in here.” Der allerhand eigenes Material und selbst angefertigte Edits versammelnde Mix macht dennoch und gerade deswegen Spaß, auf unerbittliche und unvorhersehbare Art versteht sich. (Kristoffer Cornils)