Foto: Claire Cichy (Call Super)
Zuerst erschienen in Groove 165 (März/April 2017).
Für den britischen Wahlberliner Call Super ist Techno lediglich ein Gerüst, in dem er seine vielfältigen musikalischen Referenzpunkte zu einem Ganzen verschmelzen lässt. Ob Jazz-Funk, Ambient oder Musique concrète – für Call Super gab es nie nur eine Musikrichtung. Das spiegelt sich auch in seinem genreüberspannenden Fabric-Mix. Es sind die Zwischentöne, die vermeintlichen Leerstellen und klanglichen Texturen, die seinen Sound bestimmen und dazu anregen, Techno aus engen Soundkategorien zu befreien und wieder in dem weiten Kontext zu denken, aus dem er ursprünglich entstanden ist.
Alva Noto + Ryuichi Sakamoto – Insen (Raster-Noton, 2005)
Die Platte verbinde ich mit dem Winter in Berlin. 2005 hatte ich eine Freundin hier. Wenn sie zur Arbeit gegangen ist, war ich allein in ihrer Wohnung. Berlin im Winter kann echt einsam sein und die Leute sind noch unfreundlicher als sonst. Ich wollte immer Musik machen, die so “leer” klingt wie auf dieser Platte. Da ist viel Raum, auf manchen Tracks kommt ein Akkord alle zwei bis drei Takte. Die Musik ist so ausgedehnt, man kann dazu aus dem Fenster starren, träumen und glücklich dabei sein.
Rachel’s – Handwriting (Quarterstick Records, 1995)
Das Album an sich zählt nicht zu meinen Favoriten, aber der letzte Song des Albums ist unglaublich. Die Musik hat eine universelle Qualität, die ich liebe. Dieses Album habe ich mit 16 gehört, da war ich gerade in einer ziemlichen Postrock-Phase. Die meisten Songs sind sehr lang, eine Art Fusion-Jazz-Funk. Und dann kommt dieses kurze Stück, am Ende. Es ist nur ein kleiner Schimmer, der wunderschön ist. Und dann ist er weg und lässt dich irgendwie perplex zurück.
Tamba 4 – We And The Sea (A&M Records, 1968)
Die Platte hab ich mit 15 bei Sounds of the Universe gekauft. Ich fliege selbst bald nach Brasilien, die Musik und Festivals dort sind grad ziemlich angesagt bei Plattendiggern. Die Platte klingt zwar typisch brasilianisch, aber gleichzeitig auch sehr weit und leer. Mit gefällt der Titel, da ich mir oft beim Auflegen vorstelle, dass der Club ein Boot ist, das auf dem Meer herumtreibt. Nicht wie diese Bootpartys im Sommer, sondern mehr wie der Atlantik, harsches Wetter, weit weg von der Küste, nur die Weite der See um einen herum.
Maßstab 1:5 – 1:5/11 (Profan, 1999)
Das Album von Wolfgang Voigt hat die Art der Atmosphäre, die in meiner Musik existiert, beeinflusst. Er hat das, was Künstler wie Actress oder Huerco S. heute machen, schon Ende der Neunziger gemacht. Techno auf diese Weise zu reduzieren ist visionär, die Art des Sidechainings, der Minimalismus. Die Bassdrum ist sehr fett und die Beats repetitiv – ich lege das auch gerne auf, aber eher spät in meinen Sets.
Al Brown – Ain’t No Love (Arab, 1975)
Ich höre zu Hause kaum House oder Techno, sondern Jazz, Reggae, Dub oder Soul. Diese Platte ist ein totaler Soulklassiker, es gibt viele Versionen davon. Diese Version hier ist so herzzerreißend, da ist irgendwas in Al Browns Stimme, das mich total berührt. Das Herz der Stadt war die Heimat vieler armer Menschen, in den 1950ern lebten die Reichen in den Vororten. Der Song erzählt von der Trostlosigkeit, wenn es dort, wo du lebst, keine Liebe gibt – traurig und erhebend zugleich.
Valerio Tricoli – Miseri Lares (PAN, 2014)
Ich würde diese Musik als zeitgenössische Musique concrète bezeichnen. Die Platte hat einige der großartigsten Klanglandschaften, die ich je gehört habe. Valerio Tricoli nimmt Sachen auf Reel-to-Reel-Kassetten auf, zieht das Tape aus der Maschine, verzerrt und manipuliert es mit Effektgeräten. Auf dem Band sind winzige Kontaktmikrofone. Das produziert sehr interessante Texturen, die ich auch für meine eigenen Produktionen inspirierend finde. Ich versuche immer, diese Qualität der Textur hinzubekommen.