Foto: Yasmina Haddad (Efdemin)

Drei Jahre liegt das letzte Efdemin-Release zurück, untätig war Phillip Sollmann allerdings keinesfalls. Mit Monophonie stellt er am 07. Februar in der Berliner Volksbühne ein umfangreiches musikalisches Projekt vor, in welchem er seinem Interesse für das Werk des Komponisten und Instrumentenherstellers Harry Partch nachgeht. Auf den Nachbauten von Partchs Instrumentarium spielt derzeit das Ensemble MusikFabrik, deren Arbeiten Sollmann wiederum aufgenommen und daraus virtuelle Versionen gebaut hat. Damit nicht genug reiste er außerdem für ein paar Klangfarben mehr in die USA und lässt eine über hundert Jahre alte Sirene erklingen. Dementsprechend konkurrieren in seinem Beitrag für unseren Groove-Podcast auch keine Kickdrums mit Hi-Hats, sondern Polyrhythmen mit droneigen Pulsen.

Im vergangenen Jahr warst du wie auch Electric Indigo bei den Internationalen Ferienkursen in Darmstadt zu Gast wo du nicht nur ein Live-Set gespielt hast, sondern auch als Dozent in Erscheinung getreten bist. Worum ging es in deinem Workshop?
Der Workshop trug den Titel “Lebendige Musik mit dem Computer” und hat sich mit verschiedenen Strategien der generativen Musikerzeugung auseinandergesetzt. Neben der gemeinsamen Arbeit mit Software wie Nodal oder Max/Msp haben wir täglich gemeinsam Schallplatten gehört – und zwar ganze Alben und in Ruhe. Das hat nicht nur mir großen Spaß gemacht, sondern auch die Teilnehmer sehr begeistert. Es waren einige Platten darunter, die auch in diesem Podcast auftauchen.

Im Rahmen deines Projekts Monophonie stellst du am 07. Februar unter anderem die Doppelsirene des deutschen Physikers Hermann von Helmholtz vor, die auch in deinem Workshop eine Rolle spielte. Außerdem verwendest du Instrumente des Komponisten Harry Partch und Skulpturen des Künstlers Harry Bertoia. Wie bist du auf die jeweiligen Personen und Werke gekommen und mit welchem Konzept im Hinterkopf kombinierst du diese in Monophonie?
Ich bin seit einigen Jahren sehr interessiert an den Möglichkeiten der mechanischen Klangerzeugung, ob es sich dabei um Sirenen, Brummkreisel, Orgeln, Gitarren oder mein altes Cello handelt. In Monophonie verzichte ich passernder Weise komplett auf den Einsatz von Elektronik – abgesehen von der Verstärkung. Harry Partch war nicht nur Komponist, sondern auch Instrumentenbauer und hat eine ganze Reihe sehr beeindruckender Instrumente geschaffen. Schon lange hatte ich den Wunsch, neue Musik dafür zu schreiben. Als ich das Ensemble Musikfabrik vor vier Jahren sah, wie sie auf den originalgetreuen Kopien das wichtige Stück “Delusion of the Fury” von Harry Partch aufführten bin ich auf sie zugegangen und habe sie gefragt, ob sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen könnten. Sie sagten zu und ich begann mit dem Projekt. Das beinhaltete auch einige Forschungsreisen, zum Beispiel in das Harry Partch-Archiv. Irgendwann fiel mir auf, dass mir etwas Noise und Metall im Instrumentarium fehlte und ich hatte die Eingebung einen weiteren Harry ins Boot zu holen, nämlich Harry Bertoia. Der hatte zur gleichen Zeit wie Partch an einer ähnlich visionären Idee von Klangskulpturen gearbeitet, und wie Partch auch ein Independent-Schallplatten-Label betrieben. Die beiden haben sich nie kennengelernt. So entschied ich, sie posthum auf der Bühne zusammenzubringen. Und siehe da: es funktioniert sehr gut. Als Fan der Sirenen-Idee (ich habe 2015 eine computergesteuerte Sirene gebaut) wollte ich unbedingt noch die Doppel-Sirene von Hermann von Helmholtz in das Stück einbinden, da sich Harry Partch in seinen Theorien immer wieder auf Helmholtz bezieht, der in seiner Berliner Werktstatt für Akustik um 1860 herum bahnbrechende Forschung leistete. Aus dieser Zeit stammt auch die Sirene, die ich ich auf der Bühne spielen werde und die hier zum ersten Mal als Musikinstrument Verwendung findet.

Für das Projekt hast du des Öfteren Val Bertoia, den Sohn Harrys, in der Bertoia’s Barn in Pennsylvania besucht. Was ist das für ein Ort und was macht diese (Klang-)Skulpturen für dich aus kompositorischer Sicht so interessant?
Bertoias Sohn Val Bertoia war so nett, mir einige Skulpturen anzufertigen und sie mir zu leihen. Er kümmert sich sehr liebevoll um den Nachlass seines Vaters und ich habe ihn zwei mal in Pennsylvania besucht, wenn ich auf US-Tour war. Die Skulpturen stellen mit ihren in harmonischen Obertonspektren und ihrem unkontrollierten Verhalten den erfrischenden Gegenpol zu Harry Partchs sehr komplizierten Welt der Mikrotonalität dar. Sie verhalten sich wie Bäume, in die der Wind fährt. Ich hatte einige davon für Wochen in meinem Studio und habe schon Angst vor der Zeit, wenn ich sie wieder zurückschicken muss.

Dein Mix trägt den Untertitel “Various Concepts of Repetition: A Collection of Classics From the Field of Ecstatic, Drifting, Microtonal and Polyrythmic Textures”. Dahinter könnte sich Techno verbergen, stattdessen versammelt der Mix neben einer Aufnahme von dir an den Bertoia-Skulpturen auch Werke der frühen Minimal Music und japanische Nō-Musik. Was aber genau macht diese Musik ekstatisch oder treibend und nach welchem Konzept hast du sie arrangiert?
Alle Stücke in diesem Podcast drehen sich meines Erachtens um die Frage, wie wir Zeit erleben. Stimmung als Funktion der Zeit ist genau so wichtig dabei wie Rhythmus. Ich habe in diesem Podcast versucht, einige wichtige Fundamente meiner musikalischen Welt zu versammeln. Die sind genau so wichtig für mein Stück Monophonie wie für meine Herangehensweise an Techno. Mir war es wichtig, ausschließlich Musik auszuwählen, die nicht elektronisch ist – ganz wie mein Stück. Die mikrotonalen Stimmungen führen allerdings dazu, dass ich häufig elektronische Qualitäten ausmache. Zum Beispiel gleich im ersten Stück von La Monte Young. Es ist nur ein Klavier. Kein Ringmodulator oder Ähnliches kommt dabei zum Einsatz.

“Viele Leute kennen die Erfahrung, ein ganzes Album von vorne bis hinten durchzuhören, ja gar nicht mehr”, sagtest du noch vor drei Jahren im Groove-Interview, was sich seitdem dank algorithmisch organisierter Streaming-Dienste sicher nur verstärkt hat. Welche Funktion siehst du in diesen Zeit in DJ-Mixen und speziell in deinem, der ja allein durch die Auswahl der Musik aus dem Rahmen fällt?
Gute Mixe machen immer Sinn. Ich höre leider viel zu selten Musik, weil ich meist selbst welche Mache. Ich liebe allerdings das Format Radio und Sendungen wie zum Beispiel die von Laurel Halo oder Bob Dylans Theme Time Radio sind super wichtig für mich, um ab und zu mal eine andere Perspektive zu erfahren. Mein Podcast wie auch mein Stück wirken sicher auf den ersten Blick etwas wie aus der Zeit gefallen – ich hoffe allerdings, dass es bei genauerer Betrachtung ganz anders ist. Was mir sehr an der Aufführung in der Volksbühne gefällt, ist, dass niemand etwas streamen oder downloaden konnte und alle Gäste die Musik zum ersten mal hören, ohne eine Plattenveröffentlichung davor zu kennen. Auch das passt gut zur gesamten Strategie des Stücks – eine gewisse Verweigerungshaltung kann ich mir selbst attestieren.

Tatsächlich scheint dich nicht nur japanische Tanztheatermusik zu interessieren, auch dein letztes Album Decay wurde in Kyoto zumindest vollendet. Was macht den Reiz an der japanischen Kultur und Umgebung aus? Damit bist du schließlich nicht allein, von John Cage angefangen bis hin zu DJ Sprinkles und anderen.
Eine sehr umfassende Frage, die ich ich mal so beantworten möchte: Japan – ich würde dir mein letztes Hemd für die nächste Reise dorthin geben. Tatsächlich kenne ich keinen schöneren, interessanteren und intensiveren Ort als die Insel im Pazifik. Mit Sushi hat das allerdings nicht viel zu tun.

Insbesondere Minimal Music wird etwa in Hinsicht auf Steve Reichs Experimente mit Tape-Loops häufig als eine Art Vorgängerversion von Techno betrachtet. Realistisch betrachtet, welche Rolle spielt dein Interesse für die Avantgarde-Musik des 20. Jahrhunderts in deinem Leben als Produzent und DJ?
Ähnlich wie Techno hat auch die sogenannte Minimal Music dafür gesorgt, dass repetitive und monotone Konzepte einen grösseren Stellenwert in unserem Kulturkreis bekommen haben. Das wurde auch Zeit! Ich selbst mache mittlerweile kaum noch einen Unterschied und strebe die völlige Verschmelzung all dieser Musiken und Konzepte an.

Wo vorhin schon vom Albumformat die Rede war: 2017 markiert das zehnjährige Jubiläum deines selbstbetitelten Debütalbums als Efdemin. Welche Ansprüche hast du an Techno-Alben, seien es deine eigenen oder die anderer ProduzentInnen?
Alben sind gut, wenn man sie 20 Jahre lang hört und sich die Lieblingslieder von Monat zu Monat verschieben. Meine sind zum Beispiel Older von George Michael, Andromeda Heights von Prefab Sprout oder The Nightfly von Donald Fagen. Jedes davon habe ich mindestens 1000 mal gehört. Ich schwöre. Techno-Alben kenne ich kaum. Ich höre diese Musik eher im Club und mittlerweile überwiegend aus der Perspektive des DJs. Ob meine Alben in irgendeiner Form relevant sind, müssen andere entscheiden.

Last but not least: Wo können wir dich in der nahen Zukunft – außer am 07. Februar an der Volksbühne – live oder an Decks erleben – und was sind deine Pläne als Produzent und Komponist?
Ich werde am 02. Mai in der Hannoveraner Kästner-Gesellschaft in der Ausstelllung von Annette Kelm ein installatives Konzert geben für Orgelfpfeifen, Motor-Gitarre und Sirene. Gemeinsam mit meinem Freund Konrad Sprenger, der in den nächsten Monaten ein Album auf PAN veröffentlichen wird. Dann erscheint eine Improv-Platte von meinem Projekt Sollmann & Gürtler mit dem Titel Gegen die Zeit auf dem Label Sky Walking. Ein Konzertmitschnitt, bei dem ich Max/Msp und Ringmodulator-Gitarre spiele. Ab März werde ich wieder verstärkt als DJ unterwegs sein, wie immer auch regelmäßig im Berghain und der Panorama Bar und freue mich darauf einfach mal wieder Techno zu produzieren. Als nächstes erscheint ein Remix für Tadeo auf NON. Und ich werde Nazis jagen, wann und wo immer ich sie sehe.


Stream: EfdeminGroove Podcast 91

“Various Concepts of Repetition: A Collection of Classics From the Field of Ecstatic, Drifting and Polyrythmic Textures”

01. Konrad Sprenger – Freier im Wald
02. La Monte Young The Well tuned Piano Disc 1 (00:24)
03. Will Guthrie – Time Lapse 10:00)
04. Philip Sollmann plays Bertoia Sculptures at Harry Bertoias Barn, Bally PA (14:30)
05. Roscoe Mitchell – The Maze
06. Peter Ablinger – Regenstücke 3
07. Ellen Fullmann – Langzaam (19:00)
08. Japaneses Noh – Nakairiaigyo
09. Music of Oceania – 2 Slit drums, widen mangu (26:20)
10. Roscoe Mitchel – S II Examples
11. Tony Conrad – Early Minimalism 1965
12. Yoshi Wada – Off the wall
13. Evan Parker – Pulse and Circulation of the Blood (38:00
14. Tashi Wada – April 2007
15. Arnold Drehblatt – Point Source
16. La Monte Young – The melodic version 1984 of the second dream of china
17. La Téne – Vouerca Fahy (50:00)
18. Arnold Drehblatt – Harttones 81
19. Alemu Aga – Pater Noster (1:08:38)
20. Konrad Sprenger – Das Helle Fell Am Hinterteil Des Hirschs

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Kristoffer Cornils war zwischen Herbst 2015 und Ende 2018 Online-Redakteur der GROOVE. Er betreut den wöchentlichen GROOVE Podcast sowie den monatlichen GROOVE Resident Podcast und schreibt die Kolumne konkrit.