Warst du mit der nationalen und internationalen Anerkennung, du du für deine Musik bekamst zufrieden? Aus heutiger Sicht wirkt sie bescheiden.
Seth: Das erste Mal, als ich nach Europa kam, um Musik zu spielen, war schon mehr als ich je erwartet hätte. In den vergangenen zwanzig Jahren fühlte ich mich weiterhin so. Ich bin immer noch überrascht, dass Leute mich einfliegen lassen, um meine Musik zu hören.
Warum ist die Szene in San Francisco so schnell eingebrochen?
Seth: Da würde ich dir nicht zustimmen.
Klar, aber seit 2002 hat es viel weniger Releases gegeben und einige Produzenten haben mit Musik komplett aufgehört.
Seth: Ja, nun gut. Leute begannen, aus der Bay Area weg zu ziehen. Einige der Produzenten haben mit anderen Sachen angefangen. Wie ich schon sagte, vieles veränderte sich damals schneller. Diese Periode mit einer Szene ging nur drei oder vier Jahre. Wir kennen uns immer noch, aber wir sind in einigen Fällen einfach unterschiedliche Wege gegangen. In anderen Fällen sind wir wieder in Kontakt gekommen. Wir wollten wie gesagt nie Teil einer Szene oder einer Bewegung sein. Das ist etwas, die Journalisten normalerweise machen. Das Publikum und DJs hören Musik und ziehen Querverbindungen, wenn sie wissen, dass es aus einer bestimmten Gegend kommt. Wir haben uns keinen Namen für uns ausgedacht und wollten uns nicht als eine Art Einheit vermarkten. So dachten wir nicht darüber nach.
Lucy, du wirkst etwas einsamer, zumindest in deinen frühen Tagen. Unter was für Umständen hast du angefangen, Musik zu produzieren? Und was dachtest du über die Musik der Zeit?
Lucy: Meine Erfahrung war anders. Ich wuchs an einem Ort auf, an dem es absolut keine Szene gab. Ich lebte auf Sizilien, in Palermo. Elektronische Musik aus dem Underground war dort quasi ein Fremdwort. Ich kam durch einen Zufall damit in Berührung. Bei mir in der Nähe gab es diesen kleinen Plattenladen namens Clash. Der Betreiber war einer der wenigen, die damals nach London und Berlin reisten, um Vinyl einzukaufen. Mein erster Kontakt mit elektronischer Musik war Dub. Bei meinem ersten Gig habe ich 7″-Singles am Strand gespielt. Es war eine ganz andere Dimension. Als ich zum ersten Mal begann, Roots Dub von The Black Ark Studios mit etwas gänzlich unterschiedlichem wie frühen Warp-Platten zu mixen, fühlte ich mich befriedigt. Als ich nach Sienna zum Studium zog, begannen wir Parties zu veranstalten. Ich spielte ein weites Spektrum an Musik, das Leute nicht unbedingt mit einander verbinden würden. Von Nightmares On Wax über Basic Channel bis Lee Perry und King Tubby, weißt du?
Wie wirkte es auf die Crowd?
Lucy: Es funktionierte großartig. Auf intellektueller Ebene war die ganze Szene um die Universität in Sienna sehr anarchisch und links. Die Einstellung dem Leben gegenüber war: Wir wollen etwas Anderes. Wir mögen nicht, was uns umgibt. Wir befanden uns komplett in der frühen Berlusconi-Ära und selbst an unseren Parties war etwas politisch. Wir fühlten uns in einer glücklichen Nische. Wir waren auch von der Universität beschützt. Die Universitäten waren tatsächlich einige der wenigen Institutionen, die sich gegen das Klima, das sich damals entwickelte, wehrten. Als ich drei Jahre später nach Paris zog, fühlte ich mich viel einsamer, mit der Musik die ich machte.
Hast du in Paris begonnen, Musik zu produzieren?
Lucy: Ich fing schon mit 15 Jahren damit an, gleichzeitig zum Auflegen. In meinen Produktionen, hatte es immer sehr experimentelle Elektronik gegeben. Zum Beispiel Ambient, Drone, viele Field Recordings und pure Synthese. Als ich in Paris war, fühlte ich mich komplett entwurzelt. Ich war sehr einsam. Es gab ein paar Jahre, in denen ich und meine Musik komplett von diesem Planeten isoliert waren. (lacht)
Stream: Lucy & Rrose – Stained Glass
Hast du die Pariser Clubszene mit Orten wie dem Rex erkundet?
Lucy: Ich war dort manchmal, aber ich war nicht so daran interessiert. Mit Techno habe ich mich später angefreundet, als ich nach Berlin zog. Politik war für mich immer wichtig gewesen. Meine Zeit in Paris war politisch auch nicht die glücklichste. Es war die Sarkozy-Ära, in der viele Clubs geschlossen wurden. Als ich in Berlin ankam, merkte ich sofort, dass meine Musik mit dieser Stadt viel besser mitklang. Ich hatte einen Vorrat an unveröffentlichter Musik und begann damit, ein Label aufzubauen, als ich nach Berlin zog. Mit dem Label etablierte ich nicht nur mich selbst und meine Künstler, das Label brachte mir auch Disziplin beim Musikmachen bei. Ich erhielt diesen Code, und ich wollte mit diesem Code spielen. Ich wollte tief in gewisse Archetypen eintauchten. Diese Archetypen bringen dich dazu zu sagen: das ist Techno, das ist Tanzmusik. Wenn du anfängst an diesen Archetypen zu arbeiten und sie zu falten, ohne sie zu brechen, sind die Ergebnisse sehr interessant. Deshalb habe ich mich in der Szene immer als einen Fisch an Land empfunden. Dieses Gefühl der totalen Isolation kam erst mit einem intensiven Tourplan. Als ich das erste Mal auf Tour war, wusste ich nicht, wie ich mit den anderen Künstlern, Labels oder Bookern umgehen sollte. Am Anfang verstand ich nicht einmal das Interesse an meiner Musik.
Es ist unglaublich, dass ein Musiker, der ein Outsider in der Szene ist, zu einem gewissen Grad immer noch Teil der Szene sein kann. Ich denke acht Jahre früher, als Seth sich als Produzent etablierte, war die Situation eine ganz andere.
Lucy: Es ist wunderschön, von Musik leben zu können, ohne zu viele Kompromisse zu machen. Leider habe ich das Gefühl, dass in Berlin vor ein paar Jahren etwas Wertvolleres passierte als heute. Ich hatte Glück, zu der Zeit meine Strukturen aufbauen zu können. Jetzt sehe ich Leute, die vor Kurzem nach Berlin gezogen sind und sie haben tolle Ideen, aber sie tun sich sehr schwer. Es ist, als wäre kein Platz da. Vom metaphorischen Panorama in der Musik und den Clubs bis zu dem physischen Platz in der Stadt. Wie verdammt schwierig ist es bitte, eine Wohnung in Berlin zu finden! Und das ist keine Nebensächlichkeit. Als ich nach Berlin zog, war ich komplett pleite. Die Musik war nicht mal der Hauptgrund. Mit dem wenigen Geld, das ich hatte, lebte es sich hier viel leichter als in Paris. Das war ungefähr mein Weg.