Seth, wie hast du Lucys Studio erlebt? Hast du dich dort gleich wie zuhause gefühlt? Oder war es ein fremder Ort für dich?
Seth: Ich habe lange Zeit alleine mit einem Computer gearbeitet. Lucy hat viele haptische Sachen, viele Synths. Wir haben uns über generelle ästhetische Ideen unterhalten. Wir wollten Obertöne auf eine gewisse Weise singen lassen. Anstatt Melodien zu machen, haben wir ein System in Kraft gesetzt, das Klänge und Muster generierte. Darauf konnten wir aufbauen.
Lucy: Nennen wir es melodisch auf eine chromatische Weise: Dieses System konnte eine ziemliche Vielfalt an Musik produzieren, ohne wirklich eine Richtung einzuschlagen. Es war eher obertonale oder mikrotonale Musik.
Seth: Wir haben uns auch davon abgehalten, zu viel zu verändern. Als wir einen Prozess am Laufen hatten, verbrachte ich eine lange Zeit mit zwei oder drei Reglern. Ich habe mir die leichten Veränderungen der Parameter angehört um zu sehen, was passiert. Es waren keine drastischen Veränderungen oder scharfen Einschnitte.
Lucy: Es wandelte sich einfach sehr langsam. Das mag ich an Rroses Musik: Ich weiß nicht, ob Seth mir zustimmen würde, aber von Außen ist seine Musik das perfekte Beispiel von anti-Popkultur. Sie ist nie penetrant – es gibt keine außergewöhnlichen Explosionen. Sie ist subtil und orientiert sich viel eher am echten Leben, wo die wichtigsten Dinge in kleinen Schatten und graduellen Tonalitäten geschehen.
Seth: Man könnte sagen, dass es im Leben teilweise sehr drastische und katastrophale Ereignisse gibt. Die werden aber durch einen sehr sukzessiven Prozess verursacht.
Lucy: Genau.
Seth: Es gibt eine Art Simulation oder eine Art Versuch, auf diese Weise zu arbeiten. Es ist nicht, als würdest du all diese graduellen Dinge hören. Dinge passieren lediglich nicht auf eine Weise, die du erwarten würdest, nicht auf eine simple Weise. Sie entwickeln sich auf einer vielschichtigen Ebene. Wir nehmen das so wahr, dass wir uns nicht unbedingt bewusst sind, wie wir von einem Punkt zum Anderen gelangt sind, jetzt wo wir hier sind.
Lucy: Würden wir einen Film machen, würden wir uns über den Unterschied zwischen einer Superhelden-Produktion aus Hollywood voller großer Explosionen und heißen Frauen und einem Film von Tarkovsky unterhalten, wo alles extrem langsam und subtil abläuft. Man soll nicht einmal bemerken, wie man von A nach B gelangt ist.

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In welcher Position befandet ihr euch, als ihr angefangen habt Musik zu produzieren? Seth, bei dir wirkte es so, als ob du eine Gruppe an extrem talentierten Musikern um dich hattest – Kit Clayton, Twerk, Goeff White, Ben Neville. Wie war diese Szene? In welche Clubs und auf welche Parties seid ihr gegangen?
Seth: Das ist mehr als zwanzig Jahre her. (lacht) Ich denke meine erste prägende Erfahrung als Musiker war als DJ einer Uni-Radiosendung. Damals habe ich nur Equipment zum Experimentieren zusammengesammelt. Ich fing mit Geräten an, die nicht wirklich gut oder professionell waren. Ich habe einfach ein paar billige Sachen gefunden und mich von dort aus weiterentwickelt. Ich war für viele Jahre in der Bay Area San Franciscos und lernte viele Menschen kennen. Ich habe primär aufgelegt, bevor ich mit dem Produzieren begann. Ich war in ein paar verschiedenen Kollektiven in San Francisco involviert, die Clubnächte und Parties veranstalten. Es war eine große Kultur und eine große Szene.

In Europa wurdet ihr als eine neue, führende Generation von Techno-Produzenten wahrgenommen, die komplexe Tonstrukturen mit Software wie Max/MSP kreierten. Mochtet ihr eine neue Generation mit neuem Ansatz?
Seth: Zu dem Zeitpunkt fühlte es sich nicht so an, als wäre ich Teil von etwas Neuem. Das merkte ich erst einige Jahre später. Das ist interessant, weil es 1997 oder 1998 war, als ich wirklich begann Musik zu machen. Zu der Zeit wirkte 1993 schon so weit in der Vergangenheit. 1992 oder 1993 waren die frühen Rave-Tage, 1997 war Techno total anders und etabliert. Nun schaue ich zurück und es sind nicht nur ein paar Jahre vergangen, seitdem ich angefangen habe, Musik zu machen. Eine ganze Generation ist vorbeigezogen. Nun spiele ich Gigs und teilweise könnten die Veranstalter meine Kinder sein.

Die Ereignisse von damals wirken heute immer noch bedeutsam im Vergleich zu dem, was beispielsweise 2007 passierte.
Seth: Ich glaube, damals ging alles viel schneller. Etwas passierte in Kalifornien und Leute auf der ganzen Welt sahen eine Gruppe. Bei dem Gedanken, uns als eine Art Szene oder Bewegung zu gruppieren, war ich widerspenstig. Ich wollte die Individualität von jedem von uns hegen. Wir alle hatten unsere eigenen Stärken. Doch als die Jahre vergingen, begann ich die Verbindungen und Gemeinsamkeiten zu sehen. Es gab viel wechselseitigen Austausch, Ideen gingen hin und her. Wann immer das passiert, kommen identifizierende Charakteristika heraus, die eine Szene oder einen Sound ausmachen. Später ging mir auf, dass das ein positiver Aspekt von derlei Gruppenbeziehungen ist.

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