Für Judy Weinstein (siehe auch unsere Zeitgeschichte David Morales) war Levan hingegen sowohl „Wissenschaftler“ als auch DJ und Remixer. „Er hat disesen Raum und sein System mit Richard Long gebaut.“ Genauso wie Mancuso ständig die Anlage im Loft weiterentwickelte, verschob auch Levan oft die Öffnungszeiten nach hinten, um Lautsprecher neu zu verkabeln oder ihre Position zu verändern. Selbst während seines Sets nahm er noch Justierungen am Soundsystem vor – je nachdem wie viele Leute sich im Raum befanden. Scott erinnert sich daran, dass Levan „Richard Long die ganze Zeit mit neuen Ideen und Innovationen versorgte“ und fügt hinzu, dass jedes Mal, wenn der Toningenieur „etwas Neues hatte, das ihm gefiel“, Levan „es herumdrehte“, um zu sehen, ob man damit auch noch „etwas anderes“ erreichen konnte. Die Anlage war ein work in progress. „Larry hörte einfach nie auf, damit herumzuspielen. Es war nie gut genug“, bestätigt Powers. „Es war nie vollendet. Er war zu 100 Prozent in die Entwicklung der Anlage involviert.“ Long war vertraglich dazu verpflichtet, die Anlage jeden Montag neu einzustellen, und er sah die King Street sowohl als organischen Workshop als auch als eine wichtige Grundlage seines Geschäfts an. „Richard nahm Kunden in die Paradise Garage und das Studio 54, um ihnen das Soundsystem vorzuführen“, sagt DJ David DePino. „Wenn sie in einen Glitzer-Club wollten, gingen sie ins Studio 54, wenn sie eher an einem Underground Club Interesse hatten, gingen sie in die Garage.“
Der Toningenieur Alex Rosner zweifelte den Ethos der Garage an. Der Dynamikbereich von Schallplatten ist mehr als ausreichend für die meisten Umgebungen“, erzählte er Billboard. „Es kommt darauf an, was die Rolle des DJs sein soll – ob er die Platte so wiedergeben sollte, wie sie aufgenommen wurde, oder ob er etwas anderes damit machen sollte. Ich bin der Meinung, dass ein DJ den Klang einer Platte reproduzieren sollte – er sollte nicht mit dem Dynamikbereich oder den Effekten herumspielen.“ Mancuso war überzeugt, dass Long einfach so viele Klipschorns hätte installieren sollen, bis der notwendige Dezibel-Level erreicht war. Er stimmte dem Kinesiologen John Diamond zu, der 1981 in der Veröffentlichung The Life Energy In Music schrieb: „Die Funktion von Musik war schon immer, den Hörer spirituell zu erheben, sodass seine Lebensenergie durch die Erfahrung erweitert wird.“ Er sympathisierte auch mit Diamonds Überzeugung, dass der Toningenieur (und, wenn man dieser Logik folgt, auch der DJ) Teil einer „gottgegebenen, therapeutischen Kette darstellt, die vom Komponisten bis zur Bevölkerung reicht,“ und der demzufolge versuchen sollte, die Musik in ihrer reinsten und vollständigsten Form weiterzugeben. Der Partyveranstalter kaufte 100 Kopien des Buches und verteilte sie an Freunde, auch an Levan. „Das ist wichtig“, sagte er.
Levan wird sich über dieses Geschenk gefreut haben, schließlich stellte das Loft für ihn den wichtigsten Referenzpunkt dar. Er ahmte auch Mancusos Gewohnheit, in seinem Partyraum zu leben, nach, bis Brody ihm schließlich klarmachte, dass die Heizkosten nicht länger tragbar waren, und ihm eine Wohnung in der Gold Street kaufte. Levan bat Long, zwei Reihen von Klipschorns am Rande der Bühne zu behalten, obwohl er nicht wollte, dass sie die Anlage dominierten – „Larry bestand darauf, dass das Erbe von Mancuso sich auch in der Garage wiederfinden sollte“, erinnert sich Kevorkian. Levan folgte auch Mancusos Entscheidung, zum Vorhören der Platten nicht länger Kopfhörer zu benutzen, sondern kleine Lautsprecher. Aber Mancuso stellte nicht nur, was die technischen Aspekte anbelangte, ein Vorbild für Larry Levan dar. „Larry verfolgte aufmerksam alle Platten, die David spielte, und manchmal brachte Larry auch seine neuen Testpressungen zu David, damit David ihm wiederum Platten vorspielte, die noch kein anderer hatte. Larry hatte einen großen Respekt für das, was David tat.“
Beide DJs teilten die Überzeugung, dass auch kleine technische Modifikationen einen wichtigen Anteil haben konnten, die Erfahrung auf dem Dancefloor zu verändern. Levan und Mancuso zusammen mit ihren Toningenieuren Long und Rosner richteten die Soundsysteme in der Paradise Garage und dem Loft mit einer beeindruckenden Intensität und Leidenschaft ein und während sie sich gegenseitig zu immer neuen technisch-holistischen Innovationen herausforderten, führten sie New York zum Höhepunkt der Klangreproduktion, zu einer Zeit, als Soundsysteme ihren wichtigsten Einfluss auf die Stadt ausübten. Dabei ermunterten sich Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen, sich an Orten zu treffen, an denen Klang eine verbindende Wirkung hatte, die half, Grenzen aufzubrechen. Die Stadt war erfüllt vom Sound und mit diesem Sound kam auch das Versprechen auf eine transzendente Zukunft. Manhattan schimmerte nicht, es hallte nach.
Das Buch von Tim Lawrence Life And Death On The New York Dancefloor 1980-1983 erscheint im September bei Duke University Press.