Du hast vorhin gesagt, dass es bei deinen Mixen keine Konzepte gibt. Dennoch sind sie sehr konsistent: Auf Berghain 02 versammelst du mit Shed, Norman Nodge oder Redshape den Techno deiner Generation. Der Music Man-Mix lotet eine Spannung zwischen Industrial und 80er-Pop-Moment aus, der Fabric-Mix ist atmosphärischer und fließender. Jetzt gehst du in die Breite und schlägst abrupte Haken. Wie ergeben sich diese Grundstimmungen?
Das lässt sich vielleicht ein bißchen mit Malern oder Fotografen vergleichen, die etwas auf der Straße sehen, was sie zu ihrem nächsten Werk animiert. Man stößt auf irgendetwas, was plötzlich zur großen Inspirationsquelle wird. Bei mir waren das ein paar Tracks, die sich in dem Mix finden. Und überhaupt die Chance, eine DJ Kicks zu gestalten, brachte mich dazu, mich damit auseinander zu setzen. Nach einer Weile bin ich entspannt an die Sache rangegangen und habe mich gefragt: Wofür stehe ich? Was mag ich an mir selbst am liebsten? Dabei bin ich auf irgendwelche Stück gestoßen – zum Beispiel die Residents-Nummer oder die Psychick Warriors oder das Orlando Voorn-Stück.
Das ist ein Album-Track, der nur digital erschienen ist.
Der ist davor schon als Maxi erschienen, aber unter einem anderen Pseudonym. Und ich finde diese Platte nicht mehr! Ich weiß nicht, ob es Baruka war oder Format. Orlando Voorn benutzt tausend Pseudonyme. Deswegen kam mir das Album auf Rush Hour gerade recht, da mir einfiel, dass ich diese Nummer auch irgendwo hatte.
Stream: Orlando Voorn – At Last
Im Mix setzt das Stück einen krassen Gegenpol zu dem Cybersonik-Edit, weil es so soulig ist.
Das ist ein großartiger Track. Vielleicht habe ich den auch an zweiter Stelle gespielt, weil ich mich nicht in eine Schublade stecken lassen möchte. Das kommt leider vor, dass ich in die klassische Techno- Schublade gesteckt werde. Das ist auch ok, wenn die Leute erstmal einen Zugang finden wollen. Aber Techno ist viel mehr als nur Bum-Bum.
Techno ist eine Haltung, letztlich ein Blick auf alles.
Richtig. Es ist ein Lifestyle.
In den letzten Jahren scheint der Rahmen und das Format immer enger und spezifischer zu werden.
Da nenne ich gerne Kobosil. Der ist 23 und erinnert mich auch ein Stück weit an mich, als ich anfing, damals im [Berghain-Vorgänger] Ostgut zu spielen. Mit seinen 23 Jahren setzt er sich mit Musik auseinander, die produziert wurde, da war der noch nicht mal Quark im Schaufenster. Heutzutage ist das keine Kunst mehr, sich ein DJ-Set zusammenzubasteln. Du beobachtest, was die DJs so spielen und suchst dir aus, was du toll findest. Das kann jeder. Deshalb ist das zu kurz gedacht. Im Hardwax hieß es früher immer, dass ein DJ sich durch seine Plattensammlung auszeichnet, und viele DJs haben heute nicht mal mehr Vinyls. (lacht) Sie haben zuhause einen Rechner stehen, auf dem die ganzen MP3-Files drauf sind. Ich sage meinen jungen Künstlern immer: Geht in Plattenläden und hört euch Platten an! Auch, wenn es nur der Austausch ist. Ihr müsst nicht unbedingt für hunderte von Euro Vinyl kaufen. Ich finde es wichtig, nicht nur geradeaus zu schauen, sondern auch nach links und nach rechts und vielleicht auch mal nach hinten. Es gibt so viele Techno-Sachen, da war schon 1997 alles zu Ende gedacht. Was jetzt noch kommt, ist nur eine schlechte Kopie davon. Aber so etwas zu sagen, ist total borniert. Denn ich finde es auch wieder interessant, wenn Leute mir erklären: Marcel, du hast mich total inspiriert. Ich denke: Wow, der machte tolle Musik und ist durch mich inspiriert und inspiriert damit wieder mich.
Die junge Generation hat es in mancherlei Hinsicht leichter: Inhaltlich ist es heute greifbarer, um was es geht. Und technisch sind die Ideen viel schneller umsetzbar.
Richtig. Es ist nur noch Funktion. Dieses Funktionale, das muss so ein bisschen aufhören. Aber ich will jetzt gar nicht rummeckern, ich bin total happy.
Berghain-Techno ist gleichbedeutend mit Techno überhaupt geworden.
Für mich ist das total abgefahren.