Etwa einmal pro Jahr findet man sich von da an heimlich zusammen, um die Freiheit zu genießen. „Wir agieren losgelöst von jeder Obrigkeit. Wir sind zwei kleine Kinder, die ohne ihre Manager, Labelchefs und Assistenten Zeit miteinander verbringen. Da wird eine geraucht, es wird Pizza bestellt – und dann wird eben an Musik gearbeitet oder weiter geredet. Es gibt keinen Druck“, sagt Frahm. Arnalds wiederum ist überrascht von der befreienden Wirkung des freundschaftlichen Experiments. Man kann sich wieder so fühlen, als wäre man noch gänzlich unbekannt. Als gäbe es weder das Hamburg-Konzert, noch die US-Tour oder mehrseitige Magazingeschichten und Arnalds Vertrag bei einem Universal-Sublabel. Eine Zusammenarbeit Arnalds+Frahm ist ein Ereignis. Eine Tourneeneuauflage wäre sicherlich schnell ausverkauft. „Die Leute hoffen ja immer, dass wir beide nackt am Klavier sitzen, ineinander verschlungen und alle zum Weinen bringen“, steckt Nils Frahm in Hamburg recht drastisch die Situation ab. So weit ist es nicht gekommen. Dennoch war seiner Meinung nach klar, das früher oder später doch etwas weiteres Material aus diesen Sessions veröffentlicht werden würde.
Im Sommer bringt Erased Tapes so neben einem Re-Issue der 12-Inch „Stare“ auch zwei weitere mit bislang unbekanntem Material heraus. Während sich die eine, „Life Story Love And Glory“, ihrem etwas einfältigen Titel gerecht werdend, doch an nackte Vier-Hände-ein-Körper-Träume heran robbt, steht „Loon“ ganz in Tradition von „Stare“. Schon hier hatten die beiden für ihre Verhältnisse ungewöhnlich prominent mit Synthesizern gearbeitet, das Klavier musste sich mal hinten anstellen.
Repetitiver Ambient ist das zunächst. Komplett durchgespielt, versteht sich. Man kann hören, wie sich die beiden Protagonisten vorsichtig aushorchen, Motive nur sehr behutsam die Oberhand gewinnen. Emotional endlich mal entspannend, sei die Musik für Frahm: „Orgeln, Streicher, Klaviere – das sind alles sehr emotionale Instrumente, die einem ans Herz gehen. Diese Musik ist da eine ganz andere Mahlzeit. Hier ging uns beiden darum, einfach mal den Maschinen zuzuhören. Ich fand es deshalb sehr schön, mal in das Monotone hinein zu gehen und überhaupt die Motivation des Synthesizers zu verstehen.“ Einen Songtitel wie „Wide Open“ kann man da auch als Öffnung verstehen, jedem Instrument und Klang erst einmal seinen Raum zu geben. Der forsche Deutsche und der reservierte Isländer scheinen sich dabei gut zu ergänzen. Vom Straßenrand aus bedient sich Letzterer dann auch mal eines bildlichen Vergleichs: „Nils kann aus jedem Kühlschrank heraus sofort etwas kochen. Ich hingegen benötige einen ganzen Tag für die Organisation. Und bei der Musik ist es ähnlich. Er ist sehr improvisierend, ich eher organisierend.“
„Das Zusammenarbeiten muss man lernen“, meint der Improvisator. „Am Anfang war es noch so, dass ich, wenn jemand am Synthesizer stand, gesagt habe: Spiel doch mal die Note! Das passiert mir heute zwar auch noch hin und wieder, aber dann sollte man besser alleine arbeiten. Man braucht am Ende einen ausgeglichenen Spielstand. Erstens, sollte man sich zunächst einmal zurücknehmen, wenn der andere einen Impuls hat. Zweitens, sollte man nicht darüber reden.“ Und wenn es mal Probleme gibt, dann holt man keinen Dritten dazu. In Reykjavik wäre da sicherlich oft Janus Rasmussen zur Nothilfe bereit gewesen. Mit dem Kopf der Band Bloodgroup probiert Ólafur Arnalds schon seit 2009 immer wieder neue Besorgungen auf dem Markt für analoge Synthesizer aus. Die Zusammenarbeit ist ähnlich frei gedacht wie jene mit Nils Frahm. Im letzten Jahr brachte man aber dann doch unter dem Namen Kiasmos ein Album mit narrativem Techno heraus. Und auch wenn Erased Tapes seit jeher mit Künstlern wie Rival Consoles auch ganz und gar un-klassische, elektronische Musik veröffentlicht, so markierte das Kiasmos-Album doch eine Art Wendepunkt in der Wahrnehmung des Labels. Das Bild der zarten Piano-Boys ist alleine nicht mehr tragbar.