Fotos: Alex Kozobolis, Silvia Curado, Hédinn Eiríksson
Erstmals erschienen in Groove 155 (Juli/August 2015).
Reden kann er, Instrumente spielen und bauen, konzeptionell und visuell denken. Nun hat der, nicht zuletzt für seine Konzerte, gefeierte Multi-Instrumentalist Nils Frahm gemeinsam mit dem Musiker und Sounddtrack-Komponisten Ólafur Arnalds eine gemeinsame EP-Serie abgeschlossen, auf der vor allem repetitiver Ambient zu hören ist.
Hamburg steht und klatscht. Der Verrückte senkt dem Jubel sein Haupt entgegen, steht lächelnd vor seiner Metropolis, durch die er die letzten anderthalb Stunden gewandert ist. Wo einst Hafenkräne gebaut wurden, steht heute eine neue Stadt. Elektrifizierte Blasebälge, die hölzerne Schlote speisen. Alte Kästen, welche auf Tastendruck vergangene Jahrzehnte wieder erklingen lassen. Vorne links komplettiert ein filigraner Bastard aus Klavier und Harfe die begehbare Kulisse. Nils Frahm ist nach Hause gekommen. Und er hat seiner Heimatstadt etwas mitgebracht: Eine neue Live-Show, die unter dem extrovertierten Namen „Nils Frahm has lost his mind“ reüssiert.
„Die Leute können sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, dass etwas heutzutage keine Marke mehr hat.“ (Nils Frahm)
Vater Klaus, ein Architekturfotograf, einige alte und über tausend neue Freunde haben gerade erlebt, wie Frahm nach und nach den gesamten Fuhrpark der unterschiedlichsten Instrumente in Beschlag genommen hat und dabei die unterschiedlichsten Charaktere auf- und zugeklappt hat. Da ist der Düsentrieb, der zusammen mit einigen Helfern alte Orgelteile zu einer neuen zusammensetzt, der ein Mellotron, den berühmten Ur-Sampler, selbst bespielt und mit anderen wiederum das Klavier nicht weniger als neu erfindet. Da ist der selbst vergessene Solist, der jeden Knopf und jede Taste gleichermaßen mit Gefühl ausfüllt, sich in den lauten Technoschüben ebenso suhlt, wie in lichten Pianomomenten. Nicht zu vergessen: Der Schluffi, im grauen Kapuzenpulli. Und dann ist da der Ansager, der mit einer Mischung aus fast schon übertriebener Sanftheit und fröhlicher Animation jedes ARD-Format wegmoderieren könnte: „Ich glaube, für mich ist es gerade eine gute Zeit, um eine Nicht-Ikone zu werden“, sagt der Musiker kurz vor seinem großen Auftritt in der Garderobe. Die bequeme Kleidung trägt er, um sich nicht von seinem Team abzuheben oder zu verschanzen: „Ich bin ein Typ mit Gaffer-Tape, der will, dass das Konzert gut läuft. Natürlich ist die Musik das Wichtigste. Das Publikum soll das spüren.“
Deshalb steht seine neueste Entwicklung auch ganz vorne: Das klavins UC ist ein aufrecht stehendes Klavier, welches nur einen schmalen Edelstahlrahmen besitzt und vor allem pro Ton nur eine, statt drei Saiten verwendet. Das fehlende Gehäuse würde den Klang nur unnötig aufhalten, das Instrument ist obendrein leichter zu stimmen, als seine seit über einem Jahrhundert stets baugleichen Vorgänger. Gefertigt wurde es nach Frahms Vorstellungen von einer süddeutschen Piano-Manufaktur. Während das klavins UC nun zumindest in ganz kleinen Stückmengen produziert wird, bleibt die recycelte Frankenstein-Orgel ein Unikat. „Es ist süß, wenn man mich fragt, von welcher Firma die Orgel ist. Die Leute können sich mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, dass etwas heutzutage keine Marke mehr hat. Am Ende geht es eh um eine Innerlichkeit, die gegeben sein muss, damit man wie etwas klingt. Du kannst dir nicht das Mundstück von John Coltrane kaufen und dann erwarten, dass du wie Coltrane klingst.“ Mit seinen Gemeinschaftswerken will er dem Publikum verständlich machen, dass „immer alles möglich ist“.