Foto: Miriam Dalsgaard
„Netzwerke sind wie schlafende Chamäleons. Jedes mal, wenn sie geweckt werden, erscheinen sie in einer anderen Farbe.“ Mit diesem etwas blumigen Vergleich läutete Stefanie Alisch die Paneldiskussion und somit die zweite Edition des Perspectives Festivals im ://about blank ein. Als Antwort auf eine viel diskutierte Studie des Netzwerks female:pressure zur ungleichen Geschlechterverteilung im Booking internationaler Festivals und Clubs ging Perspectives 2013 als zweitägiges Festival mit Panels, Workshops und einem rein weiblichen DJ-Line-Up an den Start. Obwohl die diesjährige Edition zeitlich auf leider nur einen einzigen Abend begrenzt war, traten die Themen und Anliegen umso konzentrierter zutage. Der Verein Perspectives setzt sich als Plattform für die Sichtbarkeit weiblicher Künstlerinnen und Genderegalität in der elektronischen Musikszene ein und betont die Notwendigkeit der Vernetzung, um selbst aktiv zu werden.
Unter dem weitgefassten Themenfeld „Möglichkeiten und Grenzen subkultureller Diversität“ kamen die Panellistinnen aus dem Label- und Festivalmanagement, Journalismus, Filmregie und Musik ins Gespräch und diskutierten über den Wert von Netzwerken, die „Strength Through Embarassement“-Philosophie der New Yorker Avantgardeszene der 1980er Jahre und über den Terminus des Feminismus als Stigma. Vor allem klang deutlich an, dass es an der Zeit ist, sich aus der Komfortzone heraus zu wagen und das Anliegen einer gleichberechtigten Szene in Räume hinein zu tragen, in denen das selbstverständliche Binnen-I vielleicht noch nicht zum guten Ton gehört. Dass im Talk, wie Alisch selbstkritisch betonte, lediglich „all-white Biofrauen“ zu Wort kamen, bleibt folglich ebenso zu bemängeln wie die Abwesenheit männlicher Gesprächspartner, um den Dialog tatsächlich zu öffnen.
Video: Dority Chrysler – The Swamp Behind My House
Umso erfreulicher war dafür das exzellente Line-Up, das jedes lahmer Booker-Argument, es gäbe nicht genug gute buchbare Musikerinnen, mehr als entkräften dürfte. Während DJ und Mitorganisatorin Aschka in der Lobby die Tanzfläche eröffnete, ging es im kleineren Nebenraum experimenteller zu. Donna Maya brachte das noch etwas steife Publikum mit ihrer Symbiose aus Electroswing, hüpfenden Klezmer-Sounds und verfremdeten Spoken-Word-Samples in Bewegung, während nebenan Borusiade eine härte Techno-Gangart einlegte. Dorit Chryslers Performance bildete definitiv einen Höhepunkt des Abends. Mit der Aura und dem Stimmtimbre einer Hildegard Knef gelang es Chrysler, das oft etwas stiefmütterlich behandelte Theremin als perfekte Ergänzung zu ihrem dramatisch-verhauchten Gesang und trippigen Downbeats einzubinden, ohne in die üblicherweise mit dem Instrument assoziierte Science-Fiction-Kerbe zu schlagen. Mit herrlichem Pathos – Rotweinglas und Darkness-My-Old-Friend-Thematik inklusive – verwandelte sich das //:about blank kurzzeitig in eine futuristische Film-Noir-Kulisse. Die österreichische Clara Moto holte das Publikum mit straighteren Klängen ihres intelligent konzipierten Techno-Sets wieder auf den Dancefloor zurück und bereitete den Weg für hiT͟Hərˈto͞o , Monya und Kaltès. Nebenan erschwerte Perera Elsewheres soulige Future Bass-Sound, gefolgt von Kate Miller, REKA und Madga El Bayoumi, die Entscheidung, wo man am besten zuerst Tanzen sollte.
Stream: Clara Moto – I Saw Your Love / How We Live In Each Other (Infiné)
Dass im Booking auf bekannte Headlinerinnen verzichtet wurde, sei eine bewusste Entscheidung gewesen, so die Musikerinnen und Mitorganisatorinnen Aschka und Kaltès im Gespräch. Bei Perspectives ginge es darum, nicht einige wenige Frauen an der Spitze zu forcieren, sondern zukünftigen Headlinerinnen eine Chance zu geben und neue Vorbilder zu schaffen. Eine Quote für Frauen im Booking von Festivals und Clubs, wie sie etwa in Schweden schon existiert, halten sie daher für sinnvoll. Vor allem sei es wichtig, am Ball zu bleiben, bestätigt auch Clara Moto. Es werde viel über die Stellung von Frauen in der elektronischen Musikszene gesprochen, den Worten würden aber oft keine Taten folgen. Perspectives liefert den Gegenbeweis. Bis ein gesellschaftliches Umdenken stattgefunden habe, so Aschka, bleiben Veranstaltungen mit bewusst weiblichem Booking notwendig, um möglichst vielen Künstlerinnen eine Plattform und die Möglichkeit der Vernetzung zu bieten. Noch wichtiger sei es jedoch, neben allen Gender- und Quotendebatten nicht aus den Augen zu verlieren, um was es eigentlich geht: die gemeinsame Liebe zur Musik. Bei so viel Potenzial und Tatendrang bleibt für die Zukunft von Perspectives nur zu wünschen, dass das Chamäleon gar nicht erst wieder zum Einschlafen kommt.