Text: Bjørn Schaeffner, Foto oben: Timothy Schaumburg (von links nach rechts: Benedikt Frey, Orson Wells, Lauer)
Erstmals erschienen in Groove 152 (Mai/Juni 2015)
Es heißt, das Robert Johnson habe schon viele Leben gerettet. Und kaum zwei Jahre nach dem ersten Teil erschien in diesem Jahr auf Live At Robert Johnson bereits die zweite Lifesaver-Compilation. Mit dabei sind die bekannten und neueren Vertreter des Clubs. Ein guter Anlass für ein Frankfurter Wochenende zwischen Heimstudio, Club, Café und Museum. Immer im Ohr: Die neuen Tracks von Orson Wells, Lauer, TCB und Benedikt Frey.
Perfektion ist ein Mythos. Aber gäbe es den perfekten Club, wer würde da nicht tanzen? Und sei es nur im Kopf: In einem flimmernden Knäuel aus persönlichen Best-of-Rave-Erinnerungen und Future-Clubbing-Sehnsucht. Der perfekte Club bräuchte dies: Erneuerung und Beständigkeit, Qualitätskontrolle und Freigeist, Grössenwahn und Demut. Er müsste sich aus einer Zauberformel aus Klang, Licht und Gefühl erzeugen. So einiges lässt sich davon aufs Robert Johnson applizieren. Der Offenbachener Club gilt seit Jahren als Best-Practice-Institution: Der Holzboden, die Anlage, das Design. Und vor allen Dingen: die Partys. Die DJs. Diese Robert Johnson-Kultur. Thank you for dancing.
Wo das Robert Johnson vor allem der Vision eines Mannes entspricht, nämlich Ata Macias, so sehr prägt Oliver Bauer alias Oliver Hafenbauer den Alltag des Clubs mit seinen Bookings. Und wo Atas Musikgeschmack und Faibles, etwa für Italo Disco, auch die Label-DNA von Live At Robert Johnson imprägniert, steht Bauer als besonnener Mann am Ruder. Mit viel Kommunikationsverstand und geschärftem Sensorium für das, was das Label will: “Ich werde mir da eigentlich immer sicherer. Und klar gibt es immer einen Bezug zum Club. Ein Track wie Portables “Surrender” funktioniert eben da auch wirklich,” so Hafenbauer.
Das Augenmerk der zweiten Lifesaver-Compilation, die im März erschienen ist, liegt auf dem Frankfurter Netzwerk von Produzenten: Lauer, TCB, Orson Wells, Roman Flügel und Benedikt Frey, der aber in Darmstadt lebt. “Das ist schon ein Freundeskreis. Und da ist viel Musik gemeinsam entstanden. Die Leute hängen regelmässig zusammen ab. Besonders die, bei denen es stilistisch geigt. Ein Lennard eher mit einem Lauer, und ein Chris (TCB) eher mit Benedikt. Und mit Roman möchte eigentlich jeder gern zusammen arbeiten.”
Orson Wells: Labelruhm & Studentenalltag
Frankfurt im Januar, der zweite Freitag des Jahres. In der U-Bahn-Station Miquel-Adickes-Allee laufe ich zuerst an Lennard Poschmann vorbei, ohne ihn zu erkennen. Dabei sieht er ein bisschen wie ein junger Roman Flügel aus – hochgeschossen, schlaksig, adrett. Und auch, weil er eine Hornbrille trägt. Orson Wells, Lennards Künstlername, sei nicht “googlebar”, schrieb der Londoner Plattenladen Juno vor ein paar Jahren. Das hat sich mittlerweile geändert: Der Mann ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr.
Lennard wohnt in einem Nachkriegsplattenbau. An der Kühlschranktür mahnt ein Zettel: “Auch Du räumst die Küche auf!”. Daneben hängt ein Putzplan. Der Alltag einer Studenten-WG. Lennard belegt an der Uni die Fächer Kunst und Philosophie. Bei Live At Robert Johnson ist er das Nesthäkchen, so hat es Label-Vater Ata formuliert. Ein sehr talentiertes Nesthäkchen mit diesen bittersüss drapierten House-Produktionen, mit denen der 23-jährige 2013 auf Live At Robert Johnson debütierte. Eine Platte, die einschlug. Letztes Jahr hatte Lennard eine EP auf Innervisions. Erst als immer mehr Leuten staunten: “Echt? Auf Innervisions kommt die Platte?”, dämmerte ihm, dass hier ein Stündlein des Fame geschlagen hatte.
In Lennards kleinem Zimmer stapelt sich das Equipment mehrstöckig. Da steht eine Korg Polysix, eine TR-707 und eine Juno-106. Von Philip Lauer hat er einen Roland TR-727 Rhythm Composer ausgeliehen. Er ist ein Schnell-Produzierer, der Track “Leaving” war gerade mal nach einer Stunde im Kasten. Generell sitze er nicht länger als einen Tag an einem Track, sagt Lennard. “Ich habe Schwierigkeiten, mich am nächsten Tag wieder in die richtige Stimmung zu versetzen. Darum muss der Track immer gleich fertig werden!”. Zusammen mit dem Besitzer des Plattenladens Tactile Music, Klaus M. Maier, will er demnächst ein eigenes Label starten. Sound Mirror soll es heissen. Die erste Platte ist von Orson Wells, versteht sich.
Stream: Orson Wells – Midnight Mystique EP (Sound Mirror 001)
Philip Lauer: Heim & Studio
Samstag morgen, einen Tag später. Das Café Kante, wo ich Philip Lauer treffen soll, ist rappelvoll. Laut ist es und doch angenehm, ein alternativ-familiärer Quartiersgroove schwingt im Raum. Wir bestellen uns ein Ei im Glas. Seit dem Konkurs des Musikvertriebs Intergroove, wo er zuletzt nur noch einen Tag gearbeitet hat, ist Lauer jetzt vollamtlich Musiker. Gut, daneben ist er noch Hausmann, sagt der ewig witzelnde Lauer: “Ich bin noch am Optimieren: Meine all-wochenendliche Metamorphose vom Hausmann zum Partyhauptmann, und wieder zurück zum Hausmann, gestaltet sich zuweilen schwierig.” Wenn genug Zeit da gewesen wäre, hätten wir uns bei ihm zuhause in Kilianstädten getroffen. Da, wo sein neu eingerichtetes Studio steht. Eine Umgebung, die seine Arbeit stark professionalisiert habe. Zudem: “Man lernt immer dazu und ich hatte in den letzten Jahren ja doch ein sehr hohes Pensum an Remixen und Releases. Ich glaube man vertrödelt nicht mehr soviel Zeit und erkennt früher, wenn Ideen ins Nichts führen. Was man auch erwarten kann von jemandem, der im geriatrischen Alter von 36 Jahren noch Clubmusik macht.”
Alles andere als geriatrisch wird es sich für Lauer anfühlen, wie er als Künstler derzeit gefragt ist. Die Power-Allianz mit Gerd Janson als Tuff City Kids hat Lauers Karriere neuen Schwung verpasst. Vor allem aber ist es Lauers Markensound aus melodisch beseelten 80er-Trademark-House zu danken. In diesen Tagen erscheint nun sein zweites Album Borndom auf Permanent Vacation. Mit seinem jüngeren Bruder Jacob vom Brontosaurus Junior Club betreibt Lauer das Familienprojekt Hotel Lauer, bei dem Jacob die Samples beisteuert: “Ich mache die ganze Arbeit, und Jacob starrt dabei wacker auf sein Handy.” Einfach ist es nicht, ein ernsthaftes Interview mit diesem Mann zu führen.
Stream: Lauer – ESC (feat. Jasnau)
TCB: Sound & Profession
Zurück ins Bahnhofsviertel. Chris Beisswenger erwartet mich an der Münchener Strasse, Lauers Partner aus Arto Mwambé-Tagen. Die Gründerzeit-Wohnung ist geräumig, die Zimmer hoch. Ein Baugerüst verdunkelt die Räume. Minimalistisch die Einrichtung, auf einer Wand steht eine Babuschka-Schar aus russischen Politikern – ein Souvenir aus St. Petersburg. Das Herzstück von Beisswengers Studio, diesem Sound-Professional, bildet ein modulares Euro-Rack-Modularsystem.
Beisswenger spricht mit ruhiger und warmer Stimme. Tagsüber betreut er Vertonungen für ein Synchronstudio. Und für den Robert Johnson-Vordenker und Design-Professor Heiner Blum gibt er Workshops für Elektroakustik. “Wegen meinem Job als Tontechniker ist es jetzt nicht so, dass ich am Abend immer noch hinter meine Geräte setzen will. Ich bin ein langsamer Musizierer. Ich mag es auch, Sachen detailliert auszuarbeiten.” Im Moment produziert Beisswenger ausschliesslich unter dem Pseudonym TCB. “Ich habe etwas Stress bekommen mit einer anderen Citizen’s Band aus New York, ein politisches Kabarett. Die fanden das wenig lustig.”
Das Robert Johnson kennt der mit New York Hardcore Punk sozialisierte und später im Omen zum Techno bekehrte Beisswenger seit der Stunde Null. “Einen Track wie Isolées “Beau Mot Plage” verbinde ich extrem mit dem Laden. Der war für mich mit seiner sanfteren Anmutung und dem mikroskopischen Detailreichtum auch ein Kickstart für Neues.” Für Oliver Hafenbauers Label Die Orakel hat TCB letztes Jahr die Debüt-Platte gemacht: “Monogamie” war einer der clever arrangiertesten Technotracks von 2014. Auf “Byrdmap”, seinem Beitrag zur Lifesaver-Compilation, scheinen die Synthies zu singen, eine elegische Nummer: “Die alte Frankfurter Tranceschule halt”, sagt Chris und lächelt. Beim Herausgehen drückt er mir noch eine ominöse Edit-Platte in die Hand.
Stream: TCB – Monogamie
Club & Meta-Club
Samstag um Mitternacht im Robert Johnson. Ryan, ein Student aus Kalifornien, fragt mich: “Is it cool to start dancing now?” Worauf ich entgegne: ‘Absolutely!’ Er initiert sodann einen dynamischen Ausdrucktanz auf dem noch fast leeren Dancefloor, irgendwo zwischen Haight-Ashbury-Hippietum und Boiler Room-Postmoderne. Ata und Gerd Janson begießen ihr Heimspiel mit etwas Single Malt Whisky, den Prototypen des neuen Rane MP2015 Mixer in den Händen. Es wird keine große Nacht werden, eher eine des guten Mittelmaßes. Auffällig wie geschlossen sich die Clubgänger bewegen, die meisten Mitte zwanzig. Bald entrückt, bald cool. In einem sehr einheitlich swingenden Stil. Das hier ist eine gut erzogene Crowd, auch ohne Fotografierverbot würde wohl kaum eine Kamera klicken. Unser Ami tanzt bis zum Schluss.
Sonntagnachmittag am Main. Stahlblauer, wolkenloser Himmel, ein fast frühlingshaftes Licht auf der Frankfurter Skyline. Es ist der letzte Tag der Ata-Ausstellung Give Love Back im Museum für Angewandte Kunst. Unsere Gruppe taucht in den Meta-Club Robert Johnson ein. Da ist Michael Riedels bekannte Robert Johnson-Installation, die Schwarzweiss-Fotos von Daniel Herrmann, man entziffert komisch-abstruse Türsteherinnengespräche. Irgendwann steht man vor der farblich geordneten Plattensammlung Atas, die später an einen anonymen Käufer versteigert wird. Eine Schatzinsel aus 17.000 Platten. Auch ein gelebtes Stück Robert Johnson, zumindest ein langes Kapitel der Vinyl-History des Clubs. Clever kuratiert ist das, auch wenn die Route etwas antiklimaktisch in einem Designartikel-Shop endet. Das T-Shirt von Tobias Rehberger mit dem siebgedruckten Schweissfleck drauf habe ich trotzdem gekauft.
Benedikt Frey: Einzelgängertum & Minimalschule
Montag in Darmstadt. Ein nebliger, garstiger Morgen. Ich treffe Benedikt Frey in der schmucken Bahnhofshalle. Wir steigen in die rote Strassenbahn und Benedikt sprudelt los: Von seiner Platte auf MRT, der ersten, der auf dem neuen, cluborientierten Sublabel von Lux Rec aus Zürich erscheint. Von seinem INIT-Projekt, das er mit Nadia D’Alò eingespielt hat: “Wir haben während unseres Soundstudiums gemeinsam an einer audio-visuellen Installation gearbeitet. Die Zusammenarbeit hat so gut funktioniert, dass wir dann einfach weiter gemacht haben. Lediglich ohne den visuellen Teil.” Die Tracks sind dann über Umwege bei Hivern Discs gelandet: „Dani (Rivero Baughman, der Labelmanager) und Uri (Riverola alias John Talabot) waren so begeistert, dass sie uns einluden, ein Album zu machen.“ Auf der Platte finden sich jetzt krautige, industrielle und abstrakte Clubstücke ein: von Juan Atkins-mässigem Dubtechno über cineastischen Ambient bis zu verscratcht-verhäckselten Houseskizzen.
Benedikts Minimal-Tage sind da nur noch ein schwaches Echo. Aber wichtig waren sie trotzdem: „Als ich als 17-Jähriger nach neuen Drum’n’Bass-Platten suchte, stolperte ich über Richie Hawtins Closer To The Edit-Album. Ich war total begeistert von dieser Energie und der cleanen Ästhetik. Das ließ sich gut auseinander dividieren und analysieren. Auch schulisch gesehen. Eine interessante Art, um in die Musikproduktion eingeführt zu werden.” Es ist kein Zufall, dass Benedikt Freys Track “Brainwashed” die Live At Robert Johnson-Compilation abschließt: das ist frenetischer, psychedelisch flimmernder Disco-House, der sich abhebt vom melancholisch-süsslichen Ton, den man als die prägende Labelästhetik von Live At Robert Johnson etikettieren könnte. “Brainwashed” ist neben Roman Flügels “Tender Hooligan” auch das beste Stück auf Lifesaver Vol. 2. Ein Solitär. Wie Benedikt: Er neigt ebenfalls zum Einzelgängertum. “Ich bin gern allein. Denke nach, bin kritisch, vergrabe mich in Platten. Nix von wegen Ibiza all night long!”.
Neulich hat er in der Panorama Bar aufgelegt, hatte aber Mühe, mit dem Vibe klar zu kommen, weil alle so verschossen waren. “Sonntagabend, frisch geduscht. Ich brauche dann erst mal ein, zwei Bier, um anzudocken.” Wo er denn am liebsten auflegt? Eine rhetorische Frage. Im Robert Johnson, natürlich.
Stream: INIT – Blackbird
Interview: Lauer über sein zweites Album Borndom
Phillip, es fällt auf, dass du für (dein zweites Album) “Borndom” erstmals Vocals eingespielt hast.
Ich wollte das schon seit Ewigkeiten machen, kann aber leider immer noch nicht singen. Ela hat früher viel in Bands gemacht. Jasnau ist ein alter Schulfreund. Ich ahnte, dass seine Stimme gut zu einem wavigen Track wie “ESC” passt.
Und die rätselhaften Lyrics?
Die sind mit den Sängern entstanden. Sie sind zwar kryptisch, aber auch kein Quatsch.
Hast du das Album extern mischen lassen?
Ja! Nach langem Hin und Her. In meinem Beisein. Das hat die Fertigstellung extrem entkrampft. So hätte ich es auch selbst nie hingekriegt.
Warum veröffentlichst Du auf Permanent Vacation und nicht wieder auf Running Back?
Benji (Fröhlich) und Tom (Bioly) machen ein Toplabel. Ich bin da ja Wiederholungstäter. Gerd (Janson) hätte das Album gerne gemacht, aber er ist bei Running Back noch Einzelkämpfer und dazu vier Tage die Woche unterwegs.
Du sagst: Noch Einzelkämpfer?
Ich fange gerade an, ihn bei der Labelarbeit zu unterstützen. Das hätte abstruserweise bedeutet, dass ich mich um mein eigenes Album hätte kümmern müssen.
Und was machen die Tuff City Kids, dein Tandem mit Gerd?
Bald kommt das Tuff City Kids-Album. Wenn dieses Interview erscheint, sitzen wir wahrscheinlich schon mitten im Studio.