Ein Künstler muss leiden. Es kann nicht immer alles flutschen und funktionieren. Wahrscheinlich ist es auch bei Phillip Lauer so. Nur würde man nie darauf kommen, dass sich der Frankfurter im Studio abmüht, oder sogar verzweifelt. Dieser Mann hat die Leichtfüßigkeit und Inspiration gepachtet, seit mehr als zehn Jahren.
Wobei, eine Sache könnte Lauer doch Schwierigkeiten machen: es nicht zu übertreiben. Seinen Spieltrieb zurückzuhalten. Die Euphorie und das Melodienglück an der Leine zu führen. Das ist ihm bisher immer gelungen, obwohl es so schwer ist, mit einer oldschooligen Soundpalette und einem starken Hang in die Achtziger kurz vor dem Punkt, ab dem es over the top geht, innezuhalten. Auf Borndom, dem zweiten Soloalbum von Lauer, schafft er es erneut und besser denn je, plakativ und subtil zugleich zu sein. Im Vergleich zu seinen kollaborativen Projekten – Tuff City Kids mit Gerd Janson, Hotel Lauer mit seinem Bruder Jacob oder Arto Mwambé mit Christian Beißwenger – gibt es beim Solo-Lauer niemanden, der den Melodienmann stoppen könnte, außer ihm selbst. Und das passiert hier nicht durch stärkere Floorfixierung oder perkussive Straightness wie bei seinen anderen Projekten, sondern durch quasi-introvertiertere Arrangements. Ein perfekter Weg, um den vielen Schnauzbärten und Goldkettchen, die in seinen Tracks rumwuseln, Einhalt zu gebieten. Die Gewinnformel: deep cheese, regulierter Kitsch, veredelter Trash.
Das geht so: Selbstverständlich sind auf Borndom auch klassische Lauer-Tracks, die gerade seinen letzten Maxis auf Running Back oder Permanent Vacation stark ähneln – gut gelaunte, sachte Slammer wie „Gammeln“, „Pausback“ oder „Pal_Oh“, fröhliche, angetrancete Arpeggiohymnen. So weit, so gut, kennt man von Phillips. Aber hier geht mehr: „ESC“ mit den dramatischen Grufti-Vocals von Jasnau wird eben nicht zum harten EBM-Banger, als der sich der Track ankündigt, sondern die Beats bleiben aus und eine trötende Melodie bricht den Gothic-Ernst. Auch in „Reebe” übernimmt ein herrliches Dumdidum den Lead und macht den Minimal-Electro-Track irgendwie zur Karrikatur. „Alright“ mit Vocals von Ela ist die poppigste Nummer und hätte auch zu „Smalltown Boy 2“ werden können, wenn Lauer nicht dem tuckernden Bassgroove die Bühne überlassen würde. Wer soviel Contenance bewahrt, darf dann auch mit „By By“ enden, das auch ein End-Credit von Jan Hammer sein könnte. Und er darf sich auch eine Midi-Idylle wie „Carpet“ erlauben, das mit seinen käsigen Melodiebögen wie das Intro zu einer vergessenen japanischen Zeichentrickserie klingt. Das trifft bei allen, die ein bisschen auf ungefährliche Nostalgie stehen, so hart ins Schwarze wie eine Runde Super Nintendo. Im House ist Nostalgie zwar nicht immer unproblematisch, aber Lauer befindet sich mit seinem fantastisch inspiriertem Output weit außerhalb jeder Gefahrenzone. Und zwar langfristig.
Stream: Lauer – ESC