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Techno-Kapitalismus: So läuft der Tanz ums große Geld

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Die meisten großen DJs haben die dionysische Lust am Exzess mehr oder weniger ihren Karrieren untergeordnet. Gleichzeitig verlaufen die Karrieren stabiler und langlebiger. Sie sind die Gewinner der gegenwärtigen Situation, die Verlierer sind die kleinen Veranstalter – und letztlich die Fans, doch zu denen später. Regionale Clubs und Festivals kriegen zu wenige großen Namen ab, die sie aber brauchen, um ihre Läden zu füllen. Bei den erfolgreichen DJs wiederholen sich die Orte an denen sie Jahr für Jahr spielen stark. Da gibt es kaum Gelegenheit, ein kleines neues Festival einzuschieben. Außerdem bestehen die großen Events meist auf lokale Exklusivität. Manche Künstler treten an solchen Orten schlichtweg nicht mehr auf. Manche DJs sind sich dieses Problems bewusst und versuchen gegenzusteuern. Seth Troxler hat Anfang des Jahres bekannt gegeben, vierteljährlich in den Clubs Output, Trouw, Fabric und DC-10 zu spielen. Loco Dice trat bei der „Under 300“-Tour in kleinen Clubs auf, Dixon ist in diesem Sommer auf überschaubaren Festivals wie der Nation of Gondwana oder dem Nachtdigital vertreten. Aber natürlich ist das alles nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Es bleibt ein Geheimnis, wie ein italienischer Club für Richie Hawtin 100.000 Euro Gage hinblättern kann. Normalerweise wird die DJ-Gage aus 50 bis 100 Prozent der Eintrittsgelder bestritten. Da kommt eine solche Summe nicht zusammen. Vielleicht wird die Prestigenacht über einen längeren Zeitraum finanziert und dient als Werbemaßnahme für den Club. Andere vermuten, dass auch schon mal organisierte Kriminalität ihr Geld wäscht. Für kleine, leidenschaftliche Veranstalter ist es oft ein Traum, einmal einen großen Namen auf dem eigenen Festival zu haben und sie riskieren entsprechend viel. Booker wiederum bemängeln, dass fast nur die großen Namen angefragt werden, dass es den meisten Promotern nicht gelungen ist, als Veranstalter selbst zum Qualitätsgaranten zu werden, so wie das Trouw in Amsterdam oder das Berghain in Berlin.

Durch Social Media ist die Musik nicht mehr von Fotos, Videos und Eventankündigungen zu trennen. DJs ermüden mit „Off to X“-Postings. Selbst Berghain-Residents lassen sich in Jesus-Pose vor fünftausend Leuten fotografieren, die ihnen die Arme entgegen recken – eine Bildsprache, die früher eher Trance-DJs wie Tiesto benutzten. „Ich komme aus der Zeit der gesichtslosen Künstler. Als ich in Detroit die Platten aus Deutschland hörte, hatte ich die absurdesten Phantasien, wer dahinter stecken könnte“, so Seth Troxler. „Manche Detroit-Künstler wie Moodymann befinden sich immer noch hinter einem Vorhang. Aber auch das ist ein Bild, und das Bild ist gemacht und erdacht, wie Ostgut Ton als klassisches, starkes Techno-Image. Ich gehe in Sachen Social Media sehr aus mir heraus. Für mich ist das eine andere Seite meiner Kunst. Es geht darum, ein Bild zu erschaffen, das zeigt, wer man als Künstler ist und wie man wahrgenommen wird. Das ist wichtig, egal ob man Theo Parrish ist oder Steve Aoki. Künstler ohne klar definiertes Bild sind verloren – egal wie gut sie sind. Sie haben nichts, mit dem sich die Fans verbinden können. Über diese persönliche Verbindung definieren sie ihr Leben. Und das können auch maskierte Männer sein – ob nun Redshape oder Daft Punk.“ Um dieses klar definierte Bild zu erschaffen, sind auch eigene Produktionen notwendig. Es gibt nur wenige DJs, die sich ohne eigene Tracks international durchsetzen konnten. Diese Produktionen sind aber nur wichtig um bekannt zu werden: Ein Sven Väth oder Loco Dice muss keine Platten mehr veröffentlichen, um an gute Bookings zu kommen.

Die großen Booking-Agenturen sind erbarmungslose Konkurrenten und knallharte Geschäftsleute, aber sie handeln im Namen der Künstler. Anders ist das bei SFX Entertainment, der milliardenschweren Firma des amerikanischen Investors Robert Sillerman. Die Übernahme zahlloser lokaler Konzertveranstalter machte ihn in den vergangenen zwei Jahren zum weltweit größten Dance-Veranstalter. Zu seinen Käufen gehören etwa die Veranstalter ID&T (Tomorrowland), i-Motion (Nature One) oder die Musikdownload-Plattform Beatport. „SFX kaufen Veranstalter und Festivals ein, um sie zu standardisieren. Das ist nicht cool. Das ist fucked up“, kommentiert Seth Troxler, während sein Manager Ed Karney anmerkt: „SFX hat einer ganzen Reihe von Kollegen und Freunden lebensverändernde Beträge gezahlt.“ Die Szene ist sich einig, dass SFX einen Sog in Richtung Mainstream erzeugen wird. Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass SFX die Szene dominieren wird. Und manch einer argumentiert, dass deren gestreamlinete Veranstaltungen den Underground eher attraktiver machen.


INTERVIEW

Die Labelmanagerin: Liz Miller (Big Beat Records)

Es dürfte wohl kaum jemanden geben, der innerhalb der elektronischen Musikszene so gut vernetzt ist wie Liz Miller. Mit ihr sprachen wir über den Unterschied zwischen kleinen und wirklich großen Labels sowie die neue Vermarktung elektronischer Musik. Zum Interview.


Was die Bedeutung von EDM für die House- und Techno-Szene angeht, ist man geteilter Meinung. Seth Troxler findet: „Ich mag EDM nicht, aber dass die elektronische Musik wieder so groß ist wie in den Neunzigern, das ist für alle gut.“ Steffen Charles von der Time Warp hält dagegen: „Für viele Kids ist Avicii elektronische Musik. Als Jugendlicher in den Achtzigern hörte ich The Cure, Depeche Mode oder OMD – das waren die Wegbereiter unserer elektronischen Musik. Der Weg von Depeche Mode zu Speedy J. ist gangbar, der von Avicii zu Tale of Us kaum.“

Dass Teile der Underground-Szene in den Mainstream überwechseln, dürfte eher eine Ausnahme darstellen. Loco Dice mag mit Bündeln von Geldscheinen in der Hosentasche herumlaufen, ein Westbam wird er nicht werden. Dixon und Tale of Us flirten vielleicht mit Pop und Trance, sind aber immer noch eindeutig House. In der Revision der Clubmusik durch Minimal wurde da eine Linie gezogen, die unüberschreitbar scheint.

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