Einer der großen Katalysatoren in der elektronischen Musik der vergangenen zehn Jahre war Ibiza. Die jüngere Generation lernte House und Techno nicht mehr so oft in ihrem lokalen Club kennen, sondern auf dieser Insel. „Meine ganze Szene baut auf Beziehungen, die auf Ibiza entstanden sind“, sagt Karney. „Jamie Jones ist wie viele englische Touristen sieben Jahre lang Woche für Woche als Gast ins DC10 gegangen. Und er hat Eintritt gezahlt. Auf dieser Insel findet man einen übersättigten, hochgekochten Kapitalismus.“ Seth Troxler sagt: „Auf Ibiza spielt man nicht mehr nur für die Leute aus einer Stadt. Die dreitausend Menschen im DC10 kommen wirklich aus der ganzen Welt, um die Sonne, die kollektive Kultur und das Clubbing zu genießen. Das spricht sich überall rum.“ Ibiza hat viel verändert: Clubbing hat nicht mehr nur mit dem Ort zu tun, an dem man lebt. Clubbing und Tourismus gehören zusammen. Und das Geld spielt eine größere Rolle. Ein Michael Mayer lehnt es ab, in einem Club zu spielen, in dem ein Wasser acht Euro kostet – zum Preis verminderter Sichtbarkeit. Vielleicht ist das ein Grund für das Karrierebewusstsein vieler junger DJs. Der Bohemien nimmt die Armut in Kauf, für einen Touristen ist sie keine Option.
Es gibt inzwischen zahllose DJs. Aber nur mit etwa vierzig bis fünfzig Namen kann ein Veranstalter eine große Party stemmen. Das sind die so genannten Headliner. Dieser Umstand bestimmt die Szene. Das Netz hat den Kleinen ein Forum gegeben und die Großen größer gemacht. Für Booker sind Headliner und alle weiteren DJs zwei verschiedene Klassen von Künstlern. Veranstalter geben lieber mehr Geld für einen Großen aus, als weniger für mehrere Kleinere. Die erfolgreichsten Künstler repräsentieren das ganze Genre für die, die sich damit nicht so gut auskennen. So sehr es Szenemenschen ärgern mag: Für die Masse ist Techno gleichbedeutend mit Richie Hawtin. Diese Top 50 sind das greifbare Gesicht der Musik.
DJs stehen im Ruf, Drogen verschlingende Hedonisten zu sein. Das hindert sie nicht daran, sich relativ rational und geschäftsmäßig für ihre größtmögliche Sichtbarkeit einzusetzen. Immer mehr DJs bauen sich ihre eigene Infrastruktur. Die anderen suchen sich die Booking-Agentur aus, die sie auf die gewünschten Events bringt. Im Bereich der Booker gab es in den vergangenen Jahren einen entscheidenden Wandel. Früher wurden die meisten Künstler von Agenturen aus der Clubszene vertreten. Windish, Decked Out, Elastic oder Primary Talent gehörten da zu den größten Namen. Neuerdings entdecken aber ungleich finanzkräftigere US-amerikanische Firmen House und Techno für sich. Ryan Crosson zum Beispiel wird von Creative Artists vertreten – genauso wie Kanye West oder Scarlett Johansson. Seth Troxlers Agentur heißt William Morris Endeavor Entertainment und vermittelt ebenso wissenschaftliche Vorträge und christliche Rockmusik. In der Szene haben diese Agenturen den Ruf, kleinere Konkurrenten zu verdrängen. Troxler erklärt, warum er sich von einem solchen Global Player vertreten lässt: „William Morris hat vielen in unserer Szene zahlreiche Türen geöffnet. Ohne sie hätte ich niemals auf bestimmten großen Festivals aufgelegt. Dabei spiele ich auch immer noch für 600 oder 700 Euro im Robert Johnson. Und mein Booker bei William Morris, Steve Hogan, versteht auch, dass das so sein muss.“
INTERVIEW
Der Booker: Steve Hogan (William Morris)
William Morris Endeavor Entertainment ist eine der großen, internationalen Bookingagenturen, die seit einiger Zeit in die Clubmusik drängen. Steve Hogan baute vor sechs Jahren in der Londoner Niederlassung die Electronic Division der Agentur samt Künstlern wie Loco Dice, Maceo Plex, Moderat oder Richie Hawtin mit auf. Wir sprachen mit ihm über Künstlergagen, das sogenannte Block Booking und was er gerne in der Szene verändern würde. Zum Interview.
Die DJ-Karriere eines Headliners verläuft meist ähnlich. Sie beginnt mit einem Economy-Flug. Daraufhin fliegt der DJ Business, dann kommt ein zweiter Flug für den Tourbegleiter dazu, schließlich der Privat-Jet. Bis Sven Väth, Ricardo Villalobos oder Luciano ihren ersten Businessflug angetreten haben, dauerte es Jahre. Neue Acts können das heute innerhalb von zwei, manchmal sogar in einem Jahr erreichen. Dafür ist oft die Macht der Agentur entscheidend: Es ist üblich, mit dem Headliner noch ein paar kleinere Künstler mit zu verbuchen. Früher war der Traum eines jungen DJs eine Residency in einem lokalen Club. Heute gibt es ein anderes Traumpotenzial: Ein Soundcloud-Hit kann dich zu einer mächtigen Agentur bringen und die in Windeseile auf die weltweiten Festivalbühnen.