Fotos: Gwael Desbont
Vier Tage lang wurde beim Electropicales Festival zu elektronischer Musik von Jeff Mills, Ame oder Alejandro Paz getanzt – mitten im Indischen Ozean auf der Insel La Réunion. Und das mit einem Anspruch, der viele Festivals auf dem Festland in den Schatten stellt. Ein Besuch an einem der südlichsten Orte Europas.
Bei deutschen Touristen ist das zwischen Madadaskar und Mauritius gelegene, französische Übersee-Department La Réunion vor allem als Wander-Eldorada bekannt, die Geografie der Insel wird dominiert von zwei 3.000 Meter hohen Vulkanen. Zum fünften Mal fand Mitte Mai, gut elf Flugstunden von Paris entfernt, das Elektronikfestival Electropicales statt. Was 2009 als Technoparty eines lokalen Rugbyteams begann ist mittlerweile ein internationales Event mit gleich mehreren Ansprüchen: das Festival will zum einen eine Plattform bieten für lokale DJs und Liveacts, zum anderen mit seinem Line Up auch internationalen Massstäben standhalten. Neben elektronischer Tanzmusik will man auch ein Showcase für audiovisuelle Künste sein und mit Workshops und Networking-Veranstaltungen soll der Nachwuchs gefördert und die Kontakte zur Szene auf dem französischen Festland verbessert werden.
Zu den Höhepunkten des viertägigen Festivals zählte der Auftritt des japanischen Tanz- und Videokünstlers Hiroaki Umeda, der abstrakte, großflächige Projektionen und Musik, die an die reduzierten Arbeiten des Raster Noton Labels erinnerten, mit seiner eigenen Körperlichkeit verband. Umedas Choreographien ließen seinen Körper wie den Controller eines audiovisuellen Datenstroms wirken. Im stilistischen Gegensatz dazu stand der anschließende Auftritt des Franzosen Koudlam, zu dem sich vor dem Theater Champ Fleuri Festivalbesucher und Passanten versammelten. Zu Halbplayback und den Videos des in Berlin lebenden Künstlers Cyprien Gallard verband Koudlam im hochgekrempelten Jacket kühle New Wave-Ästhethik und Acid House-Ekstase. Auch der Abschluss des Festivals – eine Reihe von DJ-Sets Sonntag tagsüber an einem Strandpark der Hauptstadt St. Denis – fand nicht zufällig umsonst und draußen statt. „Die Arbeitslosigkeit auf Réunion ist hoch und der Stellenwert von elektronischer Musik auf der Insel noch gering. Wir wollen mit dem Festival, die Musik die wir lieben, auch versuchen Leuten nahe zu bringen, die sonst damit nicht in Berührung kommen würden“, so Festivalgründer Thomas Bordese. Internationale Stars wie Ame oder Jeff Mills traten dann auch für reduzierte Gage vor den rund 2.000 Besuchern der Samstagnacht auf und verbanden ihre Sets beim Electropicales mit einem verlängerten Wochenende im Indischen Ozean.
Abseits des Festivals wird die Partyszene auf der Insel dominiert von Dancehall-Reggae. Es gibt nur ein oder zwei Orte an denen überhaupt DJs House oder Techno auflegen und internationale DJs treten nur auf Festivals wie dem Electropicales oder der etablierteren Weltmusik-Veranstaltung Sakifo auf, die alle im Mai oder Anfang Juni stattfinden zu einer Zeit, wo die Flüge zur Insel relativ günstig sind und die Veranstalter nicht mit den Sommerfestivals auf dem europäischen Festland konkurrieren müssen. Besonders populär auf Réunion scheinen die weniger feinfühligeren Varianten von Bassmusik zu sein. Die lokalen DJs, wie Matt Waro oder Ziloub, spielen am Freitagabend auf der Festivalbühne eine Mischung aus Dubstep, Moombahton und Maximal House. Und auch hier lässt sich ein international verbreitetes Festivalphänomen dieser Genres beobachten: Schon bei den Warm-Up-Sets wird die Peaktime-Keule herausgeholt. Und dem Publikum scheint es zu gefallen.
Für Besucher von außerhalb der Insel machte das Festival hingegen dann am meisten Sinn und Spaß, wenn das Kompositum Electropicales, also das Zusammentreffen von elektronischer und tropischer Musik, auch inhaltlich eingelöst wurde. Das war zum Beispiel bei Culoe de Song der Fall, dem südafrikanischen Produzenten, der u.a. durch seine Innervisions-Veröffentlichungen bekannt ist und der beim Erföffnungsabend in der Open-Air-Bar Potirons beschwingten Salsa-House spielte. Mit drei Flugstunden hatte er auch die kürzeste Anreise der Gäste – schließlich stellen Johannesburg und Kapstadt, die internationalen Metropolen dar, die Réunion geografisch am nächsten liegen. Der Chilene und Comeme-Künstler Alejandro Paz spielte im Rahmen eines Events des befreundeten französischen Festivals Nuits Sonores ein begeisterndes Set aus südamerikansichen und afrikanischen Rhythmen und psychedelischen Jack-Tracks. Zu Sonnenuntergang unter einem Banyan-Baum legte Paz etwa den Farley „Jackmaster“ Funk Klassiver „Love Can’t Turn Around“ in einem afrokolumbianischen Champeta-Edit auf oder sang seinen eigenen Hit „New Guy In Town“ ins Mikrofon. Ein paar Stunden später war Paz dann vor der großen Bühne des Festivals mit den anderen DJs Zeuge eines Gänsehautmoments. Alex Barck, der fast ein Jahr lang auf der Insel gelebt und das Electropicales mit seinen Kontakten unterstützt hat, holte bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Christian Prommer als Überraschungsgast den stimmgewaltigen lokalen Maloya-Star Christine Salem auf die Bühne. Eine Zusammenarbeit, die den Geist von Electropicales auch bald als Tonträger in die Welt tragen wird.
Gut ein Jahr lebte der Berliner Jazzanova-DJ Alex Barck auf La Réunion. Er benannte sein neues Label nach dem französischen Überseedepartment und produzierte hier auch sein erstes Solo-Album.
Was für einen Eindruck hast Du in den letzten Monaten von der Musikszene auf La Réunion gewinnen können? Gibt es elektronische Produzenten oder DJs, die Du empfehlen kannst?
Ich habe den Eindruck, dass die Musikszene auf La Réunion gerade an der Schwelle zum einem neuen Kapitel steht. Es gibt ja eine sehr starke traditionelle Musikszene und die elektronische Musik wächst gerade aus den Kinderschuhen heraus. Die Chance der Integration der traditionellen Musik in die Clubmusik wurde meiner Meinung nach wahrgenommen. Künstler, wie Kwalud und Labelle sind die Architekten dieser neuen Bewegung.
Du hattest die letzten Monate eine wöchentliche DJ-Residency in der Hauptstadt St. Denis. Wie unterscheidet sich die Ausgehkultur auf der Insel im Vergleich zum Festland?
Der größte Unterschied ist, dass am Wochenende keiner in die Clubs geht. Da fährt man raus in die Natur. Also spielt sich mehr in der Woche ab. Das Angebot ist hier natürlich viel beschränkter als in Europa. Man kann sagen, dass es nur ein bis zwei Clubs gibt, die moderne Musik spielen. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass es keinen interessiert, wer auflegt. Hauptsache es ist gute Musik. Und Konzerte sind gefragter als DJ Sets.
Was macht das Electropicales-Festival für Dich aus?
Die Leute, die es veranstalten, sind Überzeugungstäter. Es geht hier nicht um das Geld, sondern um die Musik. Für mich war es schön, meinen Freunden wie Frank von Âme oder Christian Prommer diesen Einblick zu gewähren. Es ist eine Chance für die Insel näher an das doch so entfernte Europa zu rücken. Das Publikum ist offen und begeisterungsfähig und lässt hoffen, dass es in der Zukunft mehr oder größere Veranstaltungen, wie diese gibt.
Du hast ein eigenes Label nach der Insel benannt. Was für Veröffentlichungen planst Du noch auf Reunion Records?
Reunion Records wurde für die Musik, die ich auf dieser Insel produziere gegründet. Es wird vier Vinyl-Maxis und ein Album von mir geben. Christine Salem ist mit dabei und eine Single-Auskopplung mit Osunlade- und Âme-Remixes ist in Arbeit. Ich habe außerdem Remixes der lokalen Musiker Kwalud und Labelle angefragt. Labelle produziert gerade eine EP für das Label. Außerdem plane ich eine Kompilation mit traditioneller Musik von der Insel.