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Zeitgeschichten: CAN

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Könnt ihr euch noch erinnern, wie ihr damals zusammengefunden habt?

Holger Czukay: Ich hatte Mitte der sechziger Jahre in der Schweiz an einem Internat unterrichtet, obwohl ich gar kein ausgebildeter Lehrer war. Eigentlich bin ich nur in die Schweiz gefahren, weil ich eine reiche Frau kennenlernen wollte, so wie Stockhausen. Ich habe halt ein bisschen geblufft, mich überall vorgestellt und gesagt, ich könne unterrichten. Jedenfalls war ich dann plötzlich Lehrer und einer meiner Schüler war eben Michael Karoli, der später unser Gitarrist werden sollte. Wir hatten damals schon interessante Ideen entwickelt und Gespräche geführt, welche Schnittstellen es zwischen klassischer Musik und Rockmusik gab. Das war im Prinzip der Beginn von Can. Michael war der Versierteste in dem Bereich, der konnte auch schon mal einen Rhythmus halten. All die Geschichten, die wir anderen erst noch lernen mussten.

Irmin Schmidt: Ich hatte wie Holger bei Stockhausen studiert. Ich kam ja von der klassischen Musik, habe mich aber auch für Jazz und Rock interessiert. Und natürlich Filmmusik komponiert. Die Idee von Can war, all das in einer Band zu vereinen. Ohne irgendwelche Scheuklappen. Jaki hatte sich als Jazzschlagzeuger einen Namen gemacht. Ich hab ihm die Idee geschildert und ihn gefragt, ob er nicht einen Schlagzeuger wüsste, der an so einem Projekt Interesse haben könnte, und er sagte nur: „Warum fragst du nicht mich? Denn das klingt super, ich wäre sofort dabei.“

Ihr hattet den Antrieb, etwas radikal Neues zu machen und euch nicht an irgendwelchen Vorbildern aufzuhalten. Es ging um ein naives, kollektives Komponieren, oder wie würdet ihr selbst die Grundphilosophie von Can beschreiben?

Schmidt: Natürlich spielte Naivität eine gewisse Rolle. Wir waren zwar hochprofessionelle Musiker, haben aber nichtsdestotrotz versucht, die Uhren wieder auf null zu stellen. Klar, das war ein spontanes kollektives Komponieren. Es bildet sich irgendeine Idee ab. Dahinter gibt es einen Kern, den es zu erforschen gilt. Das konnte manchmal Stunden dauern, bis wir diesen Kern erforscht hatten. Manchmal aber auch nur Minuten. Deshalb sind manche unserer Stücke sehr kurz, manche eben sehr lang. Es gab da keine Regeln, außer dass ein Stück halt nicht viel länger als zwanzig Minuten sein durfte. Was aber eher daran lag, dass eine Plattenseite eben maximal zwanzig Minuten Spielzeit bot. Wir haben aus den vielen Stunden, die wir gespielt haben, Montagen gemacht. Das kannte man ja eigentlich aus der bildenden Kunst und Literatur, also von Leuten wie John Heartfield oder James Joyce. Wir haben die Aufnahmen zerschnitten und neu zusammenmontiert. Holger war da der Tontechniker, der die Handarbeit gemacht hat. Jaki war der Richter, der immer den Groove im Auge hatte. Denn der durfte bei aller Bastelei natürlich nie verloren gehen.

Czukay: Wir waren natürlich in dem Sinne naiv, als wir erst einmal gar keine Rockmusik spielen konnten. Weil wir allesamt einen ganz anderen Background hatten. Aber wir waren unverschämt genug, an das Chaos zu glauben und das als unsere Stärke herauszustellen. Aus dem Chaos heraus kam der Groove. Es ging darum, das Chaos produktiv zu nutzen.

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