Text: Heiko Hoffmann
Erstmals erschienen in Groove 136 (Mai/Juni 2012)
Im vergangenen Jahr gingen die Mitglieder von Hot Chip überwiegend getrennte Wege. Sänger Alexis Taylor gründete die Zweit-Band About Group und dieser Tage erschien das erste Album von New Build, dem Projekt von Felix Martin und Al Doyle. Besonders aktiv war Hot-Chip-Chef Joe Goddard. Mit „Gabriel“ landete er einen Hit auf seinem eigenen Label Greco-Roman und mit The 2 Bears hat er auch noch eine House-Platte mit dem DJ und Sänger Raf Daddy aufgenommen. Doch pünktlich zur Festivalsaison sind auch Hot Chip wieder am Start. Anfang Juni 2012 erscheint das fünfte Album der Londoner Band mit Vorliebe für Detroit House, R&B und 80s-Pop.
In Kürze erscheint das neue Hot Chip-Album In Our Heads. Seit eurem Debüt 2004 veröffentlicht ihr, so verlässlich wie kaum eine andere Band, alle zwei Jahre ein neues Album. Ist das geplant gewesen?
Nein, das ist einfach der Rhythmus, der sich für uns ergibt, wenn man eine Platte veröffentlicht, danach auf Tour geht und sich anschließend wieder ins Studio begibt. Zugegeben, wir haben ein ausgeprägtes Arbeitsethos. Es ist ja durchaus ein Privileg, in der Lage zu sein, an etwas arbeiten zu können, das einem Spaß macht. Und mit diesem Privileg sollte man nicht leichtfertig umgehen. Aber wir lieben es auch einfach, Musik zu machen, auf einem Synthesizer zu spielen und Beats zu programmieren. Und es fühlt sich toll an, etwas fertigzustellen.
Auf dem Album finden sich einige Stücke, bei denen der Schritt zum Kitsch nicht mehr weit ist. Fragt ihr euch manchmal, wie weit ihr da gehen wollt?
Ja, machmal fragen wir uns das auch. Aber wir lieben halt auch epische Achtziger-Platten, auf dem Track „Let Me Be Him“ ist das deutlich zu hören. Und wir haben keine Angst davor, etwas auszuprobieren, nur weil es jemand für uncool halten könnte. Es gab ja immer wieder mal Momente in Stücken von uns, die over the top klangen. Und gerade auch in aktuellen Dance-Produktionen wird für meinen Geschmack viel zu wenig Risiko eingegangen.
Auf der anderen Seite klingt das Album, als hättet ihr eine Art grundsätzlichen Sound für euch gefunden, mit dem ihr zufrieden seid.
Ich bewundere Musiker wie David Bowie, die sich immer wieder selbst erfinden können. Aber uns selbst geht es darum nicht. Für mich waren die vergangenen Jahre ein Prozess, in dem es mir darum ging, die Ideen, die ich in meinem Kopf habe, umsetzen zu können. Und ich habe das Gefühl, dass ich besser darin werde. Wir sind tatsächlich zufrieden mit dem, was wir machen, und wollen gar nicht mit jeder Platte anders klingen.
Hot Chip sind keine Band mit klassischer Besetzung. Aber habt ihr eine Art Routine bei der Arbeit im Studio entwickelt, bei der jedes Mitglied eine bestimmte Rolle einnimmt?
Die Rollen sind nicht ganz klar definiert, aber es gibt schon ein Muster, das sich wiederholt. Alexis und ich schreiben die Songs. Al ist meist für die Bass- und Gitarrenparts zuständig und mittlerweile ist er auch ein sehr guter Toningenieur. Felix ist unser Mann für Drum Machines und den Umgang mit Ableton. Owen war mal Kunststudent. Er ist kein gelernter Musiker, aber er ist sehr kreativ und hat immer ungewöhnliche Ideen für Songs, auf die man selbst nie kommen würde.
Ihr macht seit zwölf Jahren zusammen Musik. Ist es manchmal schwierig, sich immer wieder neu zu motivieren, wenn man so lange in einer Band ist?
Hot Chip ist offensichtlich nicht die erfolgreichste Band der Welt. Aber ich hab das Gefühl, dass es Bands, die heute anfangen, viel schwieriger haben als wir. Es gab nie so viele Leute, die Musik gemacht haben, wie heute. Und es wird einfach immer schwerer, sich von der Masse abzusetzen. Wir hatten zum Beispiel eine Plattenfirma, die unsere ersten Tourneen finanzierte, aber das ist heute alles andere als selbstverständlich. Wir befinden uns also in einer komfortablen Position. Aber natürlich müssen wir darauf achten, dass es für jeden von uns spannend und interessant bleibt, bei Hot Chip mitzumachen.
Was für eine Rolle spielen dabei eure zahlreichen Nebenprojekte?
Eine sehr große. Wenn Al und Felix zum Beispiel mal frustriert gewesen sein sollten, weil Alexis und ich immer die Songs schreiben, dann hat sich das mit ihrem Projekt New Build erledigt, weil sie dort alles selbst machen. Tatsächlich ging es bei der Arbeit an unserem neuen Album so entspannt zu wie noch nie. Und ich denke, das liegt auch daran, dass wir vorher die Möglichkeit hatten, uns anderen Dingen als Hot Chip zu widmen.
Aber Hot Chip hat schon Vorrang gegenüber den anderen Projekten?
Ja, aber für unseren Manager ist es nicht leicht, all die verschiedenen Termine miteinander zu koordinieren. Es gibt jetzt zum Beispiel eine Vereinbarung, dass wir uns das nächste halbe Jahr nur um Hot Chip kümmern. Aber vielleicht gibt es auch ein paar Gelegenheiten, wo wir alle Projekte zusammenbringen können. Wir würden zum Beispiel gerne eine Nacht im Fabric-Club machen, wo Hot Chip, New Build und die The 2 Bears auftreten.
The 2 Bears ist dein House-Projekt mit Raf Daddy, der schon seit Jahren auf den Partys von Greco-Roman, dem Label, dessen Mitbetreiber du bist, auflegt.
Und tatsächlich entstand das Projekt aus diesen Partys. Als wir anfangen wollten, Partys zu machen, die keinen strikten Regeln folgen. Mittlerweile ist es schon fast ein Klischee in London, Warehouse-Partys zu veranstalten. Aber als wir vor sechs oder sieben Jahren die Idee dazu hatten, war es aufregend, weil die meisten Partys in etablierten Clubs stattfanden. Und wir wollten, dass ein großes Spektrum an Musik aufgelegt wird. Nicht nur House oder Techno, sondern auch Dancehall, Garage oder Jungle. Den Partys folgte dann das Label Greco-Roman.
Stimmt es, dass du erst vor ein paar Jahren angefangen hast, dich intensiver für House zu interessieren?
Ja, meine erste große Dance-Prägung war eigentlich UK Garage. Ende der neunziger Jahre spielte mir Kieran (Hebden alias Four Tet, Anm. d. A.) die erste 12-Inch von Wookie vor. Das war ein großer Moment für mich. Danach kaufte ich jede Menge Garage-Platten und ging auf Partys. Ab 2001 war ich dann auf den ersten Veranstaltungen der Dubstep-Serie Forward. Aber von House hatte ich zu der Zeit eigentlich keine Ahnung. Garage war damals in London eine Szene, die völlig für sich stand. Ich habe dann erst später mitbekommen, dass Tracks von Leuten wie Marc Kinchen oder Masters At Work im Grunde genommen gar nicht so weit von UK Garage entfernt waren. Raf, mein Partner bei The 2 Bears, hat mich dann auf viele Sachen gebracht, die ich vorher nicht kannte. Er hat auch das Basement-Jaxx-Label Atlantic Jaxx betrieben und für eine DJ-Promo-Agentur gearbeitet.
War so auch der Entstehungsprozess des The 2 Bears-Albums, dass ihr euch erst mal alte House-Tracks vorgespielt habt?
Im Grunde genommen schon. Als wir beschlossen haben, zusammen ein Album zu machen, hatte ich schon ziemlich viel House gehört. Oft haben wir dann einen Track aus unseren DJ-Sets als Anfangspunkt für ein neues Stück genommen. Manchmal indem wir es gesampelt, manchmal indem wir uns nur am Rhythmus oder an einem Sound orientiert haben. Das ist auch einer der Punkte, an denen sich die Produktionsweise von The 2 Bears und Hot Chip unterscheidet. Bei Hot Chip samplen wir eigentlich kaum. Anfangs wollten wir auch noch eine reine Dance-Platte machen, Tracks die wir in unseren DJ-Sets spielen können. Aber für eine Dance-Platte ist es am Ende doch wieder ziemlich poppig geworden.
Legst du denn noch mit Vinyl auf?
Für mich ist Vinyl immer noch eine wichtige Sache, aber wenn ich auflege, nehme ich nur noch Platten mit, wenn ich weiß, dass ich in einem Club spiele, der dafür auch gute Voraussetzungen hat. Wenn das nicht der Fall ist, und das ist es leider häufig, bevorzuge ich CDs. Mir ist es schon ein paar Mal passiert, dass mich ein Fahrer am Flughafen abholt und einen panischen Gesichtsausdruck bekommt, wenn er sieht, dass ich mit einer Plattenkiste unterwegs bin, weil der Club keine Plattenspieler mehr hat. Es gibt eine Menge junger DJs, die sehr gut sind. Und einer der wenigen Vorteile, die man hat, wenn man älter wird, ist eine größere Plattensammlung. Wobei, wenn man sich einen DJ wie Ben Ufo anschaut – der ist total jung und kennt sich trotzdem verdammt gut mit alten Platten aus.
Hast du schon Platten aufgelegt, bevor es mit Hot Chip losging?
Ja, das fing an, als ich zur Uni ging. Ich habe damals dann eine Zeit lang Privatpartys mit Kieran veranstaltet, wo wir beide aufgelegt haben. Kieran war etwas älter als ich, aber wir hatten viele gemeinsame Freunde und sind dann einige Jahre lang zusammen auf Konzerte gegangen.
Aber obwohl ihr schon so lange befreundet seid, hast du noch nie Musik zusammen mit Four Tet gemacht, oder?
Nein, wir haben uns höchstens mal gegenseitig geremixt. Wir würden das irgendwann mal gerne machen, aber bislang hat es sich einfach nicht ergeben.
Das erste Mal, dass ich dich auflegen gehört habe, war vor sechs Jahren bei einem DJ-Set in der Panorama Bar. Und um ehrlich zu sein: Es war eines der schlechtesten Sets, die ich dort gehört hab.
Ja, das war eine sehr dumme Sache und definitiv das schlechteste Set, das ich je gespielt habe. Ich habe abwechselnd zusammen mit Al von Hot Chip aufgelegt. Er hat coole Techno-Platten gespielt und ich alles Mögliche. Da hat überhaupt nichts zusammengepasst. Das Fatale dabei: Ich war so drauf, dass ich das gar nicht mitbekommen habe. Ich selbst dachte, wir spielen ein großartiges Set, aber ich war der Einzige, der das dachte. Ich war seitdem noch öfters in der Panorama Bar oder im Berghain, aber immer nur als Gast. Ich denke, die werden mich wohl nie wieder für ein DJ-Set buchen.
Welche neuen Produzenten schätzt du?
Ich mag zum Beispiel Levon Vincent, die Platten von MMM oder Blawan. Der ist wirklich gut.
Das sind alles verhältnismäßig unbekannte Musiker.
Ja, aber das liegt daran, dass es für mich momentan kaum gute kommerzielle Musik gibt. Und ich liebe eigentlich kommerzielle Musik. Aber wenn man sich die Platten, die zurzeit wirklich groß sind, anhört, dann sind die fast alle furchtbar. Zumindest was Dance- und Popmusik betrifft. Und auch im R&B und Hip-Hop gab es schon bessere Zeiten. Aber das wird sich auch wieder ändern.
Die zurzeit erfolgreichste englische Musikerin ist Adele. Stimmt es, dass ihr ursprünglich gefragt worden seid, an ihrem Album 21 mitzuarbeiten?
Ja, so etwas war mal im Gespräch. Offenbar ist Adele ein Fan von uns und sie hat ihren Tour-Agenten, der auch unserer ist, auf einem Hot Chip-Konzert kennengelernt. Es gab dann Gespräche, ob wir nicht Songs für sie schreiben können. Aber das kam aus terminlichen Gründen nicht zustande. Vielleicht waren wir aber auch etwas nervös. Schließlich haben wir bislang immer nur Songs für uns selbst und nie für andere geschrieben.
Im vergangenen Jahr erschien auch „Gabriel“, eine Single, die du zusammen mit der Sängerin Valentina produziert hast. Dem Track gelang etwas Seltenes: Er lief sowohl in Clubs, war aber zumindest in England auch ein Radiohit.
Ich bin wirklich sehr zufrieden mit den Reaktionen auf „Gabriel“. Auf der einen Seite wird der Track von DJs gespielt, die ich schätze. Four Tet und Caribou legen ihn zum Beispiel auf. Switch hat ungefragt einen Edit davon gemacht und Soulwax einen Remix für ihre eigenen Sets. In England lief er oft im Radio und hat sich allein dort 40.000-mal verkauft, was für unser kleines Label-Greco Roman wirklich erstaunlich ist. Ich habe den Track vor etwa anderthalb Jahren, als wir mit Hot Chip auf Tour waren, auf dem Laptop produziert und das ging überraschend leicht von der Hand. Ich bekam ein Demo von der Sängerin Valentina geschickt, nur mit dem Gesang von „Gabriel“. Den habe ich dann mithilfe von Time-Stretching schneller gemacht, in Stücke geschnitten und einen Garage-Beat druntergelegt – und das war es eigentlich auch schon. Es ist schön, wenn etwas so leichtfällt und dann so gut läuft. Und wenn das Hot Chip-Album erst mal draußen und die nächste Tour vorbei ist, werden Valentina und ich auch wieder etwas zusammen machen.
Stream: Joe Goddard feat. Valentina – Gabriel
Ist es dir wichtig, gutes Feedback zu bekommen? Liest du Kommentare im Internet und Plattenkritiken?
Ja, das ist mir tatsächlich wichtig. Ich freue mich, wenn Leute meine Musik mögen. Und mir fällt es schwer, einfach etwas zu veröffentlichen, ohne danach zu schauen, wie es aufgenommen wird.
Und hat dich eine Reaktion auch schon mal verletzt?
Oh ja. Und ich glaube, das passiert fast jeder Band. Man fühlt sich leicht missverstanden. Mich hat es zum Beispiel immer genervt, dass so viele Journalisten geschrieben haben, Hot Chip sei eine Nerd-Band. Klar, die meisten Studiomusiker sind auf eine gewisse Weise Nerds und anfangs hat es mich auch nicht sonderlich gestört. Aber wenn so etwas über Jahre hinweg immer wieder geschrieben wird, kann es einem schon auf den Wecker fallen. Und dabei kann ich mich eigentlich gar nicht beschweren, es wird ja fast ausschließlich positiv über uns berichtet. Vermutlich ist das auch der Grund, warum meine Musik oft so optimistisch klingt. Es gibt wirklich keinen Anlass, warum ich mich über irgendetwas beschweren sollte.