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GENERATION VINYL Pearson Sound, Joy Orbison und Floating Points (Teil vier)

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Interview: Gerd Janson, Foto: Will Bankhead
Erstmals erschienen in GROOVE 129 (März/April 2011)

Teil eins (Pearson Sound) | Teil zwei (Pearson Sound) | Teil drei (Joy Orbison) | Teil vier

Sam Shepherd ist das, was man gemeinhin ein Wunderkind nennt. Mit Mitte zwanzig eigentlich tagesfüllend mit einer Universitätskarriere als Pharmakologe beschäftigt, weicht er als Floating Points die ohnehin schon durchlässigen Grenzen zwischen Dub- oder 2Step, House und Hiphop auf. Und das mit bisher lediglich einer Handvoll beachtenswerter Stücke wie „Vacuum Boogie“ auf dem eigenen Label Eglo, bei Planet Mu, Ninja Tunes oder R2 Records – alle Konsens im besten Sinne. Außerdem ist er neben Theo Parrish wohl einer der größten Fürsprecher des angeblich angezählten Mediums Vinyl und Resident-DJ im Londoner Club Plastic People, einem Mekka für Gleichgesinnte.

Dieses Gespräch findet in einer verkehrten Welt statt. Du bist 24 Jahre alt und solltest mich eigentlich von den Vorteilen und dem Potenzial des digitalen DJings überzeugen, anstatt eine Lanze für Vinyl zu brechen.

Ich habe vor so langer Zeit angefangen, Platten zu kaufen, dass ich mich zu der Generation zähle, die einfach dem Charakter dieses Mediums verfallen ist. Allerdings muss ich zugeben, auch Serato zu besitzen. Ich habe es einmal benutzt und sofort gedacht, dass es schrecklich klingt. Ich könnte jetzt langweilige technische Details aufzählen, aber um es kurz zu machen: Vinyl klingt besser. Das ist allerdings nur ein Aspekt. Ein anderer ist die physikalische Begrenzung der Auswahl, der man mit einer Plattenkiste zwangsläufig unterliegt. Man hat achtzig Platten und muss im besten Fall ein Sechs-Stunden-Set daraus basteln. Ich liebe das! Eine Schallplatte ist eine schwarze Scheibe, man sieht sofort, wo die Nadel ansetzen muss, wie lange sie läuft und so weiter. Es ist angenehm und simpel, mit Schallplatten aufzulegen, und sie klingen letztlich viel fetter. Ich benutze sogar Auflagegewichte, die ich zuerst für Geldverschwendung hielt, aber als ich eines im Plastic People auf eine laufende Platte legte und der Bass sofort präsenter wurde, war ich überzeugt. Seitdem nehme ich die überall hin mit.

Dein Label Eglo Records beschränkt sich nicht auf den analogen Tonträgermarkt.

Wenn es nach mir ginge, würde ich Musik nur in dynamischen analogen Formaten veröffentlichen: Tape und Vinyl. Man will jedoch niemanden ausgrenzen. Wer keinen Plattenspieler besitzt, soll sich nicht von der Musik ausgeschlossen fühlen. Mir persönlich geht aufgrund der Dateigröße zu viel an Qualität verloren. Das fing ja mal irgendwo bei 96 kBps an. Sogar ein Radiosender wie Rinse FM, bei dem sich alles um Bassmusik dreht, sendete mal in diesem unsinnigsten aller Formate. Jetzt bessert sich das langsam, und auch wenn es mir immer noch zu wenig ist, wird es schwerer, die Unterschiede zu erkennen. Ich glaube nicht, dass viele Leute rein akustisch zwischen einer hochwertigen Datei, einer CD und Vinyl unterscheiden können.

Warum sollte man sich dann überhaupt damit auseinandersetzen? Macht ein Club wie das Plastic People die Divergenz deutlich?

Das ist eine ganz andere Angelegenheit. Wenn ich davon spreche, dass die Grenzen verschwimmen, rede ich vom Hausgebrauch. An einem Ort wie dem Plastic People werden die Formatunterschiede überdeutlich. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die Einstellung des Soundsystems eine MP3-Datei zwangsweise miserabel klingen lässt. Sogar ein eng gepresster Album-Track von Jon Lucien klingt dort um Welten besser als jede digitale Version. Zudem benutze ich dort manchmal Plattenspieler von EMT, die zwar nicht so DJ-freundlich sind wie Technics und mit denen man kaum mixen kann, deren Klangwiedergabe aber phänomenal ist. Zusammen mit dem französischen DJ-Mixer E&S, der auf Anfrage von Jerôme Barbé gebaut wird, ist man dann auf einem anderen Level. Außerdem gibt es eine andere Komponente: eine ästhetische. Ein DJ, seine Platten, das Soundsystem und das Publikum gehen eine unsichtbare Verbindung ein. Hier dreht sich eine kleine schwarze Scheibe, deren Rillen von einer empfindlichen Nadel abgetastet werden – und ein paar Meter weiter herrscht absolutes Chaos und Leute flippen aus. Andere Formate transportieren diese Beziehung nicht annähernd so gut.

Wie oft kommst du auf deinen DJ-Reisen in Situationen, die deinem Ideal nicht entsprechen?

Abgesehen von Japan? Öfter als mir lieb ist, aber nicht so oft, wie man vielleicht vermutet. Ich versuche, peinlich genau darauf zu achten, dass schon im Vorfeld alles stimmt. Dazu gehört ein Soundcheck, mein Rider schließt Pioneer-Mixer aus, ich verlange stattdessen nach welchen, die dreißig Jahre alt sind, und in jedem Satz wird von gutem Sound gesprochen. Wenn es Feedback gibt, kann ich einfach nicht auflegen. Manchmal bekommt man dann diese kleinen orangefarbenen Kissen, die das mildern, aber stattdessen die Plattenspieler so schwingen lassen, dass man den Pitch nicht anfassen kann. Ich wette, vor zwanzig Jahren war das alles kein Problem. Die meisten Tontechniker gehen heutzutage wohl davon aus, dass der DJ digital auflegt.

Du benutzt nie CDs?

Manchmal. In fünf Stunden vielleicht zwei. Ich lasse immer noch Dubplates schneiden, die sich zwar nur ein paar Mal abspielen lassen, deshalb aber umso wertvoller sind und gezielt eingesetzt werden wollen. Natürlich höre ich mir neue Sachen auf dem Rechner an, aber schlussendlich will ich eine Platte. Ich gehe zweimal die Woche in Plattenläden und kaufe meist alte Sachen.

Damit bist du mittlerweile eine Ausnahmeerscheinung. Gibt es überhaupt eine Zukunft für Vinyl?

Immer mehr Labels verkaufen eher T-Shirts als Platten, Läden verschwinden, und als DJ ist man mit Vinyl fast schon ein Exot. Aber es wird wohl immer Leute geben, die Platten mögen. Jerôme und sein E&S Mixer sind auf der Höhe einer stillen Revolution, in der sich mehr und mehr DJs auf einmal für audiophilen Sound interessieren. Er kann sich vor Anfragen kaum retten. Es wird immer High-End-Hardware und Boutique-Equipment geben. Ich kaufe davon, so viel ich kann. Das gilt auch für mein Studio. Der Signalweg von meinem Haus ins Plastic People ist ganz gut. Die Bequemlichkeit, seine ganze Plattensammlung auf einer Festplatte zu haben, steht dem natürlich entgegen. Aber wir werden weiterhin Platten mit tollem Artwork veröffentlichen, auch wenn man damit finanziell unklug handelt. Eines Tages sind wir längst weg, und jemand findet eine dieser Platten in einem Second-Hand-Laden und erfreut sich am Cover. Dann hat die Musik ein neues Zuhause.

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