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Boutique-Festivals: Einmal einzigartige Erfahrung, bitte!

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Schon mal von „Boutique-Festivals” gehört? Natürlich, man kommt ja nicht dran vorbei. Auf das Kuhmistpanorama in Kitzbühel, der Ersteweltverklärung von Südseeinseln oder unter Sonnenschirmen im Pauschalparadies – überall pappen Veranstaltende dasselbe Versprechen: Unser Festival ist exklusiv und intim und ein einzigartiges Highlight mit kulinarischen Köstlichkeiten an einem magischen Ort, also Boutique!

Zieht man den Promopathos von Werbungsmenschen ab, bleibt davon: Boutique-Festivals bieten ein Programm, das man woanders nicht bekommt. Man kann es auch uncooler sagen: Sie sind kleine, persönliche Festivals, die sich eine Nische suchen, indem sie ein ausgewähltes Angebot anbieten. Schließlich erheben Line-up, Location und Leute den Anspruch, so authentisch zu sein wie Ottolenghirezepte.

Eher fein, tendenziell teuer

Das Boutique-Festival-Konzept ist nicht neu. Es leitet sich vom Marketingbegriff des „Boutique-Hotels” ab, der wiederum von „Boutique” kommt und nix anderes bedeutet als: kleiner Laden, eher fein, tendenziell teuer. „Boutique-Festivals” folgen dieser Idee. Sie existieren als Schreibtischerfindung mindestens seit Mitte der Zweitausender. Sagen zumindest die Suchanfragen auf Google. Seitdem entwickelt sich diese Kurve wie der Kurs der deutschen Börse: Es geht heiter rauf und runter. Das Interesse an „Boutique-Veranstaltungen” bleibt aber ungebrochen.

Brust rein, Hände hoch (Foto: Butik)

Ticketkaufseiten wie Eventbrite bestätigen den Trend: Es gibt immer mehr kleine Festivals. Über 18.000 seien vor Corona auf der Seite gelistet worden, mittlerweile sind es deutlich mehr. Dazu zählen nicht nur Festivals für jede Musikmutation, sondern auch solche für Katzenfutter, Zehenwrestling und austernschlürfende Seafoodfreunde. Egal welche Ausprägung, welches Interesse, welcher Kink – irgendwer hat auf jeden Fall schon mal ein kleines Event dafür aufgezogen.

An der Wirtschaftsuni klatschen darob alle in die Hände: Die Auswahlmöglichkeiten nehmen zu, das muss doch gut sein für den sogenannten Konsumenten. Der hat nämlich – wie in unserem Fall – nicht mehr das musikalische All-You-Can-Eat-Buffet zu berappen, obwohl er nur ein Selfie mit Nina Kraviz will. Der Konsument kann die Kohle jetzt in ein exklusiveres Erlebnis investieren. Und jettet zum Beispiel für drei Tage nach Südafrika. Segelt nach Kroatien. Wandert auf die Alm.

Im Rennanzug zum Awareness-Push

Dem Konsumenten gefällt diese schöne Welt: Er fühlt sich jetzt einzigartig – sind ja im Gegensatz zu den Kommerzfestivals viel weniger Leute da. Nur ein paar Hundert, wenn überhaupt. Jedenfalls sehen die alle gut aus in ihren Latex-, Renn- und Skianzügen. Nippend am Zehn-Euro-Shot kickt er dann auch endlich, der Awareness-Push. Jetzt bloß nicht in die Mainstream-Falle tappen. Da zockt zwar jemand die Beatport-Charts, aber das hier ist ein Underground-Event, ich wiederhole: Das hier ist ein Flagship-Event!

Und darüber flattert die Muttermarke ja für alle klar erkennbar mit, wobei: Marke, das sagt man nicht, man nennt es lieber Brand, die verspricht nämlich eine Experience, einen Vibe. Auf jeden Fall eine Entwicklung. Und zwar ohne die, die man hier nicht haben will; diese ewigpöblerischen Runtermacher:innen, die dann – Triggerwarnung! – immer nur von früher, damals, gestern quatschen. Da fragt man sich schon, wer denen bei ihren tollen Kellerraves die Signature-Cocktails gemischt hat.

Nix gegen Cocktails! (Foto: Lighthouse)

Nichts für ungut, Cocktails sind super! Und wohltuende Atemübungen zur Kakaozeremonie neben Alpakastreicheln gab es in den Neunzigern nicht mal bei den Rastatanten aus der Klangschalenecke. Gut, über die Vermarktungsmasche von wirklich jeder einzelnen Erfahrung, die irgendwann mal einer Subkultur zuzurechnen war, darüber müsste man nochmal im Detail quatschen, aber im Großen und Ganzen sind diese Boutique-Dinger trotzdem ganz nice, oder?

Bestimmt – für jene, die es sich leisten können. Boutique-Festivals sind schließlich Erste-Reihe-beinfrei-Bespaßung in einer wandernden Zirkusmanege, die manche Clubszene nennen; so etwas wie die Penthousewohnung unter den Feiermöglichkeiten, eine gönnende Einzelberatung neben dem clubkulturellen Ein-Euro-Shop. Wer auf ein Boutique-Festival fährt, hat länger nicht im Zelt geschlafen und sagt Sätze wie: „Gut, dass wir das Upgrade gebucht haben.”

Organic Growth auf dem Dreitausender

Das mag unfair sein gegenüber all den Creators und Brand-Developers, die sich als Veranstalter:innen verkleiden. Die haben immer nur die Zielgruppe im Kopf, die Kreativen und Innovativen und Effektiven, die sich mal wieder spüren müssen zwischen 172-Stunden-Job und Netflixabo. Wer trotzdem nur von Relaunches, Märkten und organic growth labert, vergisst dabei irgendwie, worum es bei dieser Musikfestivalsache schon auch gehen darf: die Musik.

Ja, ja, die kommt bei Boutique-Festivals auch mal vor, schon klar. Man schleppt die schöne Funktion One ja nicht nur aus dekorativen Zwecken auf den Dreitausender. Außerdem war da ja noch was – das Line-up! Das ist zwar nicht unbedingt exklusiv, dafür aber manchmal geheim und jedenfalls hochkarätig. Kommen schließlich richtig gute DJs. Die kennt man vom Berghainposting oder aus der HÖR-Kachel. Zumindest aber von Instagram oder TikTok, weil: Es darf sein, was sein darf.

Tourende Jukeboxes tingeln also von einem uniquen Spot zum nächsten und stöpseln sich an Orten ein, die man auch mit Thumbnails von Cercle-Sets verwechseln könnte. Was dort läuft, Hits, Hits, Hits, ja, egal – solange alle geil grinsen in ihrem schicken Festivallook von Zalando oder Zara.

Mit dieser Goodvibisierung schafft man es dann endlich auch ins Wirtschaftsmagazin. Spätestens dort muss niemand mehr den Underground beschwören. Die einen fahren zur Selbsfindungsoptimierung in den Regenwald. Die anderen zur Erwachsenenbetreuung aufs Boutique-Festival. Überall wartet die Experience. Nirgends die Realität.

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