Vorschaubild: Johannes Riggelsen (Melt Festival)

Im zwanzigsten Jahr wirkte das Line-Up des Melt Festivals wie eine Best-Of-Zusammenstellung der Veranstalter. Richie Hawtin und Soulwax beehrten das Spektakel zwischen Braunkohlebaggern schon früher, die Band Phoenix waren bereits häufiger zu Gast, Ellen Allien ist sowieso seit Anfangstagen fester Bestandteil des Melt. Außer Bonobo und M.I.A. waren richtig große und heiße Namen in diesem Jahr Fehlanzeige, was zu weniger BesucherInnen, aber auch einer etwas intimeren Atmosphäre führte.

Schon für die Pre-Party am Donnerstag war Fatboy Slim auf den Sleepless Floor geladen, auf dem es dann bis Montagmittag ohne Pause weiterging – dem Namen entsprechend. Ebenfalls bereits am Donnerstag startete die #Musikdurstig Stage auf dem Zeltplatz. Ausgestattet mit einem Void-Soundsystem wurden hier all diejenigen bedient, denen schon mittags nach Tanzen und der Weg zum Sleepless Floor zu weit war. Am Freitag begeisterte hier die Bar25-Ikone Pilocka Krach mit Pfauenfeder am Hut und ihrem drückenden Live-Sampling-Techno eine Meute, die aussah, als sei sie direkt aus dem Katerblau hierher gestolpert. Am Sonntag zeigte am selben ort die Düsseldorfer Combo Verbund West, wie solide tanzbare Musik mit Live-E-Schlagzeug aussieht.

Pilocka Krach

Als wäre das Booking des Festivals nicht sowieso schon sehr ausgewählt, setzten Modeselektor mit ihrer Melt! Selektor Stage auch in diesem Jahr wieder einen drauf. Die Varietät war groß. Von der israelischen Newcomerin Noga Erez über die Berliner Modeselektor-Entdeckung FJAAK bis zu Dengue Dengue Dengue! reichte das stilistische Spektrum. Lil Silva ist dagegen ein einziger Stilmix für sich: Er tanzte von Stufe zu Stufe, von 90er-angehauchtem House zu schwebenden Synthesizer-Flächen zu HipHop-Breaks und wieder zurück. Ähnliche Vibes auch bei Zebra Katz: Seine Version von Hip-Hop ist abstrakt und trotzdem verdammt tanzbar. Anders als die Hip-Hop-Version von Haiyti, die vor ihm die Melt! Selektor Stage bespielte. So bewundernswert ihr derber Befindlichkeitsrap auf Platte ist, so nervtötend ist leider ihre Playback-Show. Die Melt! Selektor Stage blieb insgesamt nur zwei Tage auf und wurde stilgerecht von Modeselektor selbst beschlossen. Ihr Set: ein einziges tiefes Grollen. Der Bass dröhnte zwischen den Hausflanken, die die Tanzfläche begrenzen, und zerknautschte das sich dicht drängende Publikum.

Während auf der Melt Stage am ersten Abend Kamasi Washingtons Jazzcombo noch vor Sonnenuntergang spielte und damit nicht so viel Publikum erreichte wie ihr eigentlich gebührt, M.I.A. mit ihrer überbunten Bühnengestaltung und einem wilden Soundbrei das Publikum dagegen anzog und Richie Hawtins Auftritt dann ein wenig im Regen unterging, fand die eigentliche Sensation des Abends auf der Medusa Stage statt: Kate Tempest zog ihr Album Let Them Eat Chaos von Anfang bis Ende ohne Pause durch. Selbst als zwischendurch das Mikro ausfiel machte sie stoisch weiter. Kaum zu glauben, wie viel Energie in dieser kleinen unscheinbaren Person steckt. Das Publikum dagegen, schließlich ein goldbeglitzerter Haufen Feierwütiger, feierte ihre Hasstirade auf Selfies und Emojis am Ende von „Europe Is Lost“ auf seine Art: mit Konfettiwürfen.

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