Fotos: Dominik André (Dekmantel)
Alle reden vom Selector, alle wollen selbst einer sein. Was nun jedoch ein Selector eigentlich ist, darüber streiten sich die Geister. Eins zumindest wissen wir: Selectors und DJs gehören zwei verschiedenen Klassen an. Das zumindest war Ende August auf dem Dekmantel Selectors im kroatischen Tisno zu sehen – und natürlich zu hören.
Unter dem Namen Dekmantel hat sich über die letzten Jahre ein Festival, ein Party- und Plattenlabel einen festen Platz in der Welt der elektronischen Musik gesichert. Es scheint fast so, als ob sich die Holländer das Recht herausnehmen würden, definieren zu wollen, was das heißt: guter Geschmack. Dem zu widersprechen ist aber nicht einfach, bietet das Festival in Amsterdam doch all das, was sich Musikliebhaber wünschen: ein hervorragendes Programm mit gestandenen Künstlern und Newcomers, die spätestens nach dem Festival internationale Aufmerksamkeit bekommen. Die Macher wissen aber noch einen Schritt weiter zu gehen und organisieren nach dem Vorbild der Selector Stage ihres Festivals gleich ein kleines Festival in Kroatien für 1500 Besucher. Selbst bei solchen eher intimen Ausmaßen werden die von Dekmantel gewohnten Standards aufgefahren. Die Organisation lässt nichts zu wünschen übrig und die Szenerie – die Stages sind direkt am Meer platziert – ist nahezu perfekt.
Dekmantel hat den Selector-Begriff durch die gleichnamige Festival-Bühne und durch die im letzten Jahr gelaunchte Selectors-Compilation-Serie wieder aus der Versenkung geholt. Die Idee dahinter ist simpel und trifft den Zeitgeist: Vinyl-SammlerInnen und sogenannte Crate-Diggers an die Plattenspieler lassen, damit sie ihre Schätze präsentieren können. Es geht nicht um den perfekten Mix, sondern um eine ungewöhnliche Selection. Auf der Selector Stage scheint dementsprechend alles möglich zu sein. Mit obskurem Italo-Platten bis zu vergessenen Disco-Klassikern oder eigenen Edits versuchen die DJs auf dieser Stage ihre BerufskollegInnen und das Publikum zu überraschen. Bisher durften sich DJs wie Motor City Drum Ensemble, Young Marco oder Marcel Dettmann im Dekmantel-Universum als Selector krönen.
In Tisno verteilen sich die Acts auf vier Stages, wobei die bekannteren Namen auf der Beach Main Stage und der Voodoo Stage spielen. Musikalisch wird dadurch auch gleich das Feld abgesteckt. Am Strand wird überwiegend zu Disco und House getanzt, wohingegen auf der Voodoo Stage schwere industrielle Sounds und Techno dominieren. Allerdings kann sowieso kaum ein DJ die Finger von Techno lassen. So auch nicht Antal und Hunee, welche beide hervorragend auflegen und von denen man einen Techno-Einschub nicht unbedingt erwartete. Die nahtlose Zusammenführung von Disco, Afrobeat, House und Techno funktioniert aber bestens.
Dem Anspruch “Selector” wurden allerdings nur eine Handvoll DJs gerecht. Diejenigen, die ohne Kompromisse eine Selektion von spezieller Musik zusammenstellten und der Musik ihren Raum gaben anstatt mit schnellen Übergängen zu unterhalten, waren unter anderem Mattikk, Interstellar Funk, Phuong-Dan, Robert Bergmann oder Zaltan. Ein Großteil der DJs jedoch spielt in gewohnter Routine, obwohl das Publikum ausgefallene Tracks mit viel Enthusiasmus goutierte. Hätte das nicht eigentlich ein Anreiz sein können, die musikalische Komfortzone zu verlassen?
Neben dem regulären Programm auf dem Festival-Areal und dem rund 15 Autominuten entfernten Barbarella’s Club wird am Nachmittag am Strand zur Musik von Sadar Bahar, Tako und Isabel, Volcov, Jamie Tiller und Orpeu The Wizzard (die spontan sechs Stunden B2B spielten) im Meer geschwommen oder im Sand gedöst. Spätestens um 16 Uhr jedoch wird schon wieder ausgiebig getanzt, bis um 18 Uhr die großen Stages öffneten. Der Golden Pudel-Resident Phuong-Dan steckt am Samstagabend auf der Voodoo Stage das Publikum voll in die Tasche: Er spielte ein eklektisches schweres Set, welches neben denen von Interstellar Funk und Helena Hauff zweifelsfrei als eines der besten in Erinnerung bleibt.
Das Dekmantel Selectors ist die gelungene Zusammenführung von einem nerdigen Musikfestival und einer ausgelassener Strandparty. Auf dem Festivalgelände trifft man Leute, die für die Musik den Weg nach Kroatien auf sich genommen haben und die Bereitschaft, auch anstrengende Sets aufmerksam bis zum Ende zu verfolgen, ist ebenso spürbar wie die gehörige Portion Freude, wenn der DJ einen ganz besonderen Schatz präsentiert. Hier sind schließlich alle der Auswahl wegen gekommen, auch wenn nicht jeder DJ ein Selector ist.