Protokoll: Florian Sievers, Foto: Marie Staggat
Erstmals erschienen in Groove 154 (Mai/Juli 2015).

Westbam ist kein Plattensammler. Er besitzt nur jede Menge davon, weil er damit arbeitet. Mehr als 30 Jahre schon. Ein Großteil seiner Sammlung, die er nie gezählt hat, ist im Zuge der Auflösung des riesigen Low Spirit-Studios in irgendeinem Lager gelandet. Die Platten, die ihm etwas bedeuten, wohnen unter seiner eigentlichen Wohnung in einem 40-Quadratmeter-Appartment. 1979, mit vierzehn Jahren, hat Westbam angefangen, aktiv Musik zu hören. Gerade ist er 50 geworden, hat seine Autobiografie veröffentlicht und arbeitet am neuen Album (unter anderem mit Drake und Kendrick Lamar). Wie gehabt ist Westbam ein enorm anregender Gesprächspartner, mit viel zu selten gehörten Großthesen zum Zustand von Techno heute, wozu er auch mal – passend und gar nicht so posig, wie sich das jetzt liest – Goethe und Nietzsche zitiert.

 

6. Sex Pistols ‎– The Great Rock ‘N’ Roll Swindle (Virgin, 1979)

Sex Pistols ‎– The Great Rock 'N' Roll Swindle

„Das war meine allererste Platte, die hat mir mein Freund William Röttger, mit dem wir später Low Spirit gegründet haben, 1979 zu Weihnachten geschenkt. Ich mochte gleich, dass hier der Popzirkus vorgeführt wird – die Platte thematisiert, dass sich das jemand ausgedacht hat, um die Gesellschaft zu irritieren. In dieser Tradition sehe ich auch unsere Mittneunziger Erfindung ‘Ravende Gesellschaft‘. Ich habe nie geglaubt, dass da jetzt das Land hinter dem Regenbogen anfängt, selbst wenn das natürlich auch ernstgemeinte Aspekte hatte. Sid Vicious’ Version von ‘My Way’ habe ich übrigens 1983 als letzte Platte meines allerersten DJ-Abends gespielt.“


Video: Sex PistolsJohnny B Goode / Road Runner

 

5. Television Personalities – I Know Where Syd Barrett Lives (Rough Trade, 1981)

Television Personalities - I Know Where Syd Barrett Lives

„Hiermit will ich sagen: Man sollte nicht alles aus der eigenen musikalischen Vita tilgen, was von heute aus betrachtet nicht mehr reinpasst. Man stellt sich die Vergangenheit ja immer aus der Gegenwart vor, und dabei wird dann oft nachträglich alles stromlinienförmig gemacht. Ich könnte jetzt auf Kraftwerk verweisen und dann eine Linie durchziehen bis zu meinem Techno von heute. Aber es hat doch niemand so eine Linie im Leben. Dieser charmant-verpeilte Irgendwie-Punk, in diesem Fall ein Stück über den verschwundenen Bassisten von Pink Floyd, hat bei mir nirgendwo hingeführt. Aber ich habe es als 15-Jähriger geliebt.“


Stream: Television Personalities ‎– I Know Where Syd Barrett Lives

 

4. DAF – Alles ist gut (Virgin, 1981)

DAF - Alles ist gut

„DAF haben eine Brücke gebaut zwischen Punk und Techno. Und auch sie zeigen, wie Geschichtsschreibung funktioniert: Heute ist frühe elektronische Musik aus Deutschland quasi gleichbedeutend mit Kraftwerk. Ich halte aber DAF in vielerlei Hinsicht für näher an dem, was später Techno werden sollte. Kraftwerk waren nicht Party, sondern eher aseptisch und zurückhaltend. Dagegen haben DAF, wie sie damals sagten, ‘die Synthies zum Schwitzen gebracht’. Und das war viel näher an der Krassheit und Energie von dem, was etwa Jeff Mills bald darauf machen sollte. In England oder den USA kamen Kraftwerk mehr an, und diese Sichtweise hat man hier übernommen.“

 


Video: DAFDer Mussolini

 

3. Liaisons Dangereuses – Los Niños Del Parque (Roadrunner, 1981)

Liaisons Dangereuses - Los Niños Del Parque

„Chrislo Haas, der früher bei DAF gespielt hat, hat hier mitgemacht, und diese Platte lief dann von Frankfurt am Main über Belgien und Spanien bis zu, wie mir Green Velvet mal erzählte, Chicago, wo es DIE Jack-Platte wurde. Glaube ich sofort, denn als ich House zum ersten Mal bewusst wahrgenommen habe, war das für mich eine Fortsetzung von dieser Platte hier, und von so Sachen wie ‘Film 2’ von Grauzone, ‘Hot On The Heels Of Love’ von Throbbing Gristle oder ‘Lady Shave’ von Fad Gadget. Also eben auch eine Fortsetzung von New Wave und Post-Punk, selbst wenn natürlich immer Disco dabei war.“


Stream: Liaisons DangereusesLos Niños Del Parque

 

2. Adonis – We’re Rocking Down The House (Trax, 1986)

Adonis - We’re Rocking Down The House

„Das Instrumental hier zum Beispiel könnte ja auch eine NDW- oder New-Wave-Sequenz sein. Der Gesang ist zwar irgendwie soulful, aber er hat auch schiefe Noten, und die gibt es bei Soul eigentlich nicht. Das hat mich immer eher an Seltsamkeiten wie Der Plan erinnert. Zugleich war es natürlich auch afroamerikanische Musik. Dieses Zusammenführen war ja gerade das Revolutionäre an House. Der stumpf-soziologische Hintergrund dazu: Das war ja schwule Musik, sie stammte also von einer unterdrückten Subkultur innerhalb der afroamerikanischen Community – und für die lag europäische, ‘weiße’ Tanzmusik vielleicht manchmal näher als Soul.“


Video: AdonisWe’re Rocking Down The House

 

1. Westbam – Monkey Say Monkey Do (Low Spirit, 1988)

Westbam - Monkey Say Monkey Do

„Als das hier in England rauskam, haben die das mit einem Hitler-Smiley präsentiert. Damals hat man dort noch vor allem an den Zweiten Weltkrieg gedacht, wenn man an Deutschland dachte. Das hat Technokultur weltweit verändert: wie Deutsche wahrgenommen werden und sich selber wahrnehmen. Vorher hatte ich „Disco Deutschland“ veröffentlicht, das sich sehr theoretisch mit deutscher Identität auseinandersetzte. Da habe ich den ‘Disco!’-Schrei von Afrika Bambaataas ‘Death Mix’ mit einem ‘Deutschland!’-Schrei von Adolf Hitler kombiniert, das klang fast wie aus einem Munde. Aber ich habe mich nie getraut, dazu zu tanzen.“


Stream: WestbamMonkey Say Monkey Do


Stream: WestbamDisco Deutschland

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