Den Klang des Universums, die Harmonie der Sphären wahrzunehmen, das ist ein uralter Menschheitstraum, der von Pythagoras über Goethe bis zu Rudolf Steiner die diversesten Gemüter bewegte. Abseits jeder Esoterik gibt es einen Ton, der seit 150 Jahren zur Grundstimmung immer weiterer Teile unserer Welt wurde: die Schwingung des Wechselstroms von 50 Hertz, als Note ein Gis (in Amerika sind es 60 Hertz, es schwingt in H). Die Musik, die sich dem unbewussten wie allgegenwärtigen Brummen der Transformatoren verschrieben hat, ist Drone, die Variation von Obertönen, Klang und content:encodedur entlang der stetigen Basis einer einzelnen Note. Cluster, neuer Abkömmling des jüngst wiedererstarkten Mille-Plateaux-Labels, beschäftigt sich mit den akustischen Effekten derart geschichteter statischer Sounds. Die erste Laufnummer füllt <b>Craig Vear</b> mit dem Gesang der Oberleitungen. Summerhouses (Intergroove) ist ein atmosphärisch aufgeladener Trip durch karge, sirrende Klangräume, allein das letzte Stück bricht die eisblaue Ästhetik schweigender Maschinen mit einem opulenten Tonbad aus warmen Streichern. Die unartige Schwester von Drone ist die Psychedelik. Das Eintauchen in Sound mit bewusstseins- oder zumindest stimmungsverändernder Wirkung ist der Fokus von Aguirre Records (A-Musik). Das belgische Label veröffentlicht Vinylalben von Künstlern der psychedelischen DIY-Tape-Szene. Eine Basisarbeit, die Einblicke in das erstaunliche Qualitätsniveau einer internationalen Musikszene gibt, die über eine verschworene Gemeinde von Kassettenrecorder-Besitzern hinaus kaum bekannt ist. Aguirres erste Alben, Prana von <b>Josh Burke</b> und Live Anywhere von den <b>Caboladies</b>, überzeugen mit pulsierenden, warmen Sounds an den Schnittstellen von Drone, Ambient und Folktronica.<br/><br/>
Deftiger zur Sache geht es bei <b>Fennesz Daniell Buck</b>. Knoxville (Thrill Jockey/Rough Trade), Mitschnitt eines Konzerts beim Big-Ear-Festival in Tennesee, dokumentiert das improvisatorische Wechselspiel dreier Altmeister der experimentellen Elektroakustik. Ihre klangliche Bandbreite ist weit, geht von leise suchenden Phasen zu kreischenden Gitarren-Rückkopplungen und kleinteiligen Schlagzeug-Parts. Ein stets präsenter feiner Drone führt die auseinanderstrebenden musikalischen Elemente immer wieder zusammen und gibt dieser freien und ziemlich wpoperspenstig lärmenden Musik innere Ruhe. Eine ähnlich versöhnende Funktion hat der Drone in der Musik des amerikanischen Trios <b>Cristal</b>. Dessen drittes Album, Homegoing (Flingco/CTD), schichtet düstere Klassikklänge unter körnige Umweltgeräusche. Cristal arrangieren diese Sounds jedoch nicht zu instrumentalen Songs sondern zu einem gleichmäßig schwermütigen Fluss aus Klang, einer originellen Variante von Dark Ambient.<br/><br/>
Dass die klassische Electronica in dieser Kolumne nicht mehr so oft die Hauptrolle spielt, mag auch an einer gewissen Sättigung liegen, die das – bei aller Liebe, die in den Klängen stecken mag – eher konservative Genre inzwischen erzeugt. So schielen manche der bewährten Protagonisten nach anderen Fleischtöpfen, von House bis Dubstep. Doch es gibt sie noch. Seit Jahren in beruhigender Konstanz und Substanz vom japanischen Label Noble. Vent, das zweite Album des Tokioter <b>Serph</b> (Noble/A-Musik), ist da keine Ausnahme. Freundlich jazzige Pianominiaturen über quirligen kleinen Beats und dazu eine Begleitung aus glitzernden Spielzeug-Instrumenten. Unverwüstlich wohlgelaunt und positiv. Das Debüt der Römerin <b>Elisa Luu</b>, Chromatic Sigh (Hpopden Shoal), nutzt dieselben musikalischen Mittel in einer deutlich weniger euphorischen Stimmlage. Elegische Soundminiaturen als sehnsuchtsvoller Blick übers Meer. Es bleibt noch der freudige Ausblick auf das im Oktober erscheinende Foreign Landscapes (FatCat/Rough Trade) von <b>Hauschka</b>: opulente Popklassik mit etwas weniger präpariertem Piano als vom Künstler gewohnt – aber wie immer von verschwenderischer Schönheit.