Es ist schon erstaunlich, wie viel Landschaft Techno inzwischen durchfahren hat. Im Rückspiegel weht die Staubfahne einer langen Vergangenheit. Im Kofferraum liegt ein schwerer Kanon. Und im Handschuh-Fach findet sich ein dickes Handbuch der Regeln und Traditionen. Bei der holprigen Fahrt sind einige Subsubszenen zu Bruch gegangen, die heute nebeneinander rumliegen. Und unterwegs sind natürlich auch ein paar kurzlebige Mikrotrends von der Ladefläche gefallen und wurden unter dem Schutt der Zeit begraben. Umso mehr kann man sich über Menschen freuen, die sich von Staubfahnen, Kanons und Regelbüchern nicht den Überblick nehmen lassen, die gern im Schutt wühlen und die einige Splitter noch mal in die Hand nehmen, um sie vielleicht sogar wieder zusammenzufügen.
René Pawlowitz ist so einer. Der 1975 geborene Ostdeutsche mit seiner sehr speziellen Sozialisation zwischen Brighton- und Birmingham-Techno, Gabba, UK-Hardcore, Dubtechno und schließlich Dubstep hat in den vergangenen Jahren immer etwas außerhalb des Rahmens gedacht, selbst wenn er dabei den Floor mit Futter belieferte. Die Ergebnisse dieser stets Breaks mit einbeziehenden Denkprozesse zeigten sich beispielsweise in den bislang drei rumpeligen, aber satt pulsierenden „Equalized“-Platten, im Techstep seines Pseudonyms STP oder bei den fetten, trägen Electrobass-Kröten seines The Panamax Project. Und dann ist da natürlich noch Shed. Shedding The Past, das Debütalbum unter diesem Namen, feierte vor zwei Jahren noch die allmächtige gerade Bassdrum – mit eher hakeligen Tracks. „It feels so much the emotional feeling of the intensity and purity of club and rave in the early days“, wie Pawlowitz auf der Platte etwas umständlich mit schwerem deutschen Akzent schwärmte.
„Shedding the past“, die Vergangenheit abstreifen, das jedoch tut Pawlowitz eigentlich erst jetzt, mit seinem zweiten Shed-Album. Denn er ist für The Traveller tatsächlich zu einem Reisenden geworden, der durch die lange Vergangenheit von Techno streift, alte Grenzen niederreißt und Genres wieder neu entdeckt. So gibt es hier – auf der Basis von zeitgemäß wuchtigen Bassdrums – die klappernden Snares von Breakbeat-Techno wiederzuentdecken, altehrwürdige Ambientflächen-Konstrukte erstrahlen in neuem Glanz, Dub ohne „Step“ wird einen Schritt weiter gedacht, Acid blitzt einmal böse summend auf, und sogar Jungle hat einen kurzen Gastauftritt. „44A (Hard Wax Forever!)“ ist eine halbgerade Frühneunziger-Elegie, „Mayday“ eine introvertierte Träumerei. Das sind Ansagen! Nur echtes DJ-Futter, das findet sich hier fast gar nicht. Das Ergebnis ist darum nicht ganz so ehrfurchtgebietend wie das industrialdüstere Debütalbum von Pawlowitz’ Labelkollegen Marcel Dettmann neulich. Es ist ein Album, das man nicht mal guten Gewissens überhaupt „Technoalbum“ nennen könnte. Es ist eine Hymne an die gesamte lange Geschichte von elektronischer Clubmusik an sich.