Alle Ohren auf Leipzig! Mit seinem Debütalbum empfiehlt sich Gunnar Wendel alias Kassem Mosse als einer der großen House-Produzenten hierzulande. Und mit einem unorthodoxen Ansatz, der Deepness nicht als Abspulen konditionierter Reflexe versteht, sondern den eigenen Entwurf gern noch einmal durchkreuzt, in Frage stellt oder auf seine Belastbarkeit hin testet. So bekommt man zu Beginn der Platte ein E-Piano zu hören, doch das liefert nicht etwa entspannt synkopierte Akkorde, vielmehr erklingen ein paar wie verirrt über die Tastatur streunende Einzeltöne, als wolle da jemand erst einmal herausfinden, was das Instrument überhaupt zu bieten hat. Erst langsam, wenn die anderen Spuren zugeschaltet werden, bekommt man dieses relative Chaos als durch und durch jazzigen Auftakt in den Blick, umgeben von hektischen Toms und Rimshots, deren Miteinander einen völlig stimmigen, aber keinesfalls vertrauten Groove ergibt. Und sogar wenn Kassem Mosse, wie in A2, die Kräfte des Tracks um eine stoische Bassdrum konzentriert, schleppt sich die Hi-Hat mühsam hinterher, während verkrüppelte Arpeggien und Melodiepartikel ein wenig desorientiert um die geordnete Mitte schwanken, durch deren Zentrifugalkraft sie effektiv in Schach gehalten werden. Wer meinen sollte, dazu nicht tanzen zu können, hat womöglich selbst Gleichgewichtsstörungen.
Dass seine Produktionen trotz sparsamer Auswahl von Zutaten beinahe barock wirken können, liegt genau an dieser beherzt querulatorischen Herangehensweise, mit der Gunnar Wendel seine Rhythmen produziert. Es sind nie einfach Beats im geradlinigen Sinne, auch wenn tragende Elemente ziemlich selbstverständlich bei ihm vorkommen. Drumherum jedoch zerrt manchmal jeder einzelne Klang in eine andere Richtung. Besonders beim Schlagwerk herrscht oft Anarchie, sodass schon mal ein Crash-Becken zum Einsatz kommt, das konsequent gegen alle anderen beteiligten Parteien anscheppert. Im Mittelteil des Albums wird der Tanzboden dann vorübergehend verlassen, um die Schönheit sich scheinbar selbst überlassener Analogsynthesizer (oder dem, was sehr danach klingt) in einigen kürzeren Zwischenspielen zu erkunden. Auch darin erweist sich Gunnar Wendel als stilsicher im Verfertigen reduzierter, diskret vertrackter Gewebe. Die größten Stärken dieser geschickt choreographierten Platte liegen gleichwohl in den Clubstudien, bei denen einem garantiert nie langweilig wird – egal, ob man sich dazu jetzt bewegt oder nicht. Hier weht ein sehr frischer, gelegentlich böiger Wind.