Schon lange vor der Veröffentlichung wirbelte die Nachricht von einer ganz speziellen Ausgabe der Mix-CD-Reihe des Londoner Clubs Fabric durch die Club- und Internetwelt. Die Fabric-Macher wünschen sich schon seit Jahren einen Beitrag ihres Resident-DJs Ricardo Villalobos. Nun sollte es, auf seinen Wunsch hin, etwas anderes als das Übliche werden: ein Mix aus ausschließlich eigenen, bisher unveröffentlichten Stücken. Man kann also sagen: ein neues Ricardo-Villalobos-Album, getarnt als Fabric-Mix-CD.
Zwar verkündete er im Vorfeld, dass man dies auf keinen Fall als Künstler-Album betrachten soll, aber wie es eben so ist: Man kann den öffentlichen Diskurs als Künstler kaum steuern. Und Fabric 36 ist eines der besten Alben des Spätsommers geworden. Insgesamt 15 Stücke gibt es darauf zu hören. Auch wenn das Tempo bei konstanten 128 BPM bleibt: Monoton ist das Set keineswegs ausgefallen. Villalobos blendet minutenlang die Stücke übereinander, einzelne Elemente lässt er verschwinden und später wieder auftauchen – er schafft es scheinbar mühelos, ein Konzentrat seiner besten DJ-Sets zu präsentieren: Man möchte sich sofort komplett der Musik hingeben.
Dabei fängt Villalobos mit einem Intro an, bei dem sämtliche Minimal-Müden schon abwinken werden. Abwarten, denn nach zwei Minuten fadet der nächste Track ein, auf dem „echt“ klingende Perkussion und Drums zum Einsatz kommen – ein gerade an allen Ecken zu hörender Weg aus der Klangsterilität der vergangenen Jahre. Der erste von mehreren potenziellen Hits kündigt sich mit einer klassischen House-Bassline an: Auf „Farenzer House“ fackelt Villalobos ein ganzes Arsenal an Sci-Fi-Effekten über einen leichtfüßig pumpenden Track ab. Neben einem Stück mit dem chilenischen Sänger Jorge Gonzales, das an die futuristischen Popentwürfe von Thomas Dolby denken lässt, fallen vor allem „Won’t You Tell Me“ mit seinem upliftenden Vocal und seinen Noise-Kaskaden, sowie „Primer Encuentro Latino-Americano“ auf. Letzteres lässt den Gesang eines chilenischen Freiheitschors zu einem ekstatischen House-Track aufblühen, der so ungebrochen optimistisch klingt wie kaum etwas in Villalobos’ Œuvre.
Der ungewöhnlichste Track ist jedoch „Andruic & Japan“: das Dokument einer Studio-Session, in die sein Freund Andrew Gillings platzt. Villalobos fordert ihn mit hochgepitchter Frauenstimme auf, etwas ins Mikrophon zu erzählen. Eine Geschichte, „but nothing dirty“. Über einen Zeitraum von zehn Minuten entspinnt sich ein Dialog über anstrengende Familienfeste, und irgendwann singt Villalobos schief und anrührend ein trauriges Liebeslied über den krassesten japanischen Trommel-Break in der Geschichte der Tanzmusik. Das ist natürlich alles total gaga. Aber Villalobos ist nun mal an einem Punkt in seiner Karriere angelangt, an dem er im Prinzip alles machen kann. Und der Unterschied zu einem Großteil seiner DJ-Kollegen ist, dass er diese Freiheit auch nutzt.