burger
burger
burger

DIYNAMIC Die neue Hamburger Schule

- Advertisement -
- Advertisement -

Text: Tobias Staab, Fotos: Miguel Martinez
Erstmals erschienen in Groove 136 (Mai/Juni 2012)

Oberste Reihe: Christian Hilscher (Kollektiv Turmstraße); Manuel Garcia (Uner); Holger Behn (H.O.S.H.); Adrian Shala (Adriatique); Mladen Solomun (Solomun); Nico Plagemann (Kollektiv Turmstraße); Adriano Trolio (DIY_Booking). Mittlere Reihe: Henning Besser (DJ PHONO); Martin Stimming (Stimming); Nils Hansen (POOL); Emmanuele Nicosia (Hunter/Game); Adrian Schweizer (Adriatique); David Nattkemper (David August). Vordere Reihe: Daniel Husten (POOL); David Stoltzenberg (POOL); Lars Krug (Liem); Martino Bertola (Hunter/Game).

 

Diynamic brennt. Nicht genug, dass die popaffinen Hamburger eine neue Romantik in die Clubs tragen. In gerade mal fünfeinhalb Jahren hat die Truppe um Mladen Solomun eines der erfolgreichsten internationalen House-Labels aus dem Boden gestampft. Dem DIY-Prinzip treu, verbuchen sie sich gleich selbst über die hauseigene Booking-Agentur und betreiben mit dem Ego den vielleicht sympathischsten Club Hamburgs.

Egal wo Solomun, Stimming, H.O.S.H. oder David August in diesen Tagen auftauchen, man rennt ihnen die Bude ein. Der Label-Showcase im Amsterdamer Westerunie war bereits Wochen vorher ausverkauft, die Panorama Bar platzte anlässlich des Stelldicheins der Hanseaten aus allen Nähten und bei den Resident-Nächten in ihrem eigenen Hamburger Ego-Club bilden sich Schlangen bis auf die Reeperbahn. Das Diynamic-Team ist in der Champions League angekommen. Ihr Trademark-Sound steht für House mit Hang zu großen Bewegungen der Seele, für eingängige Melodiestrukturen und jede Menge Pop-Appeal: Selbstbewusst, sexy und catchy as fuck. So was kommt nicht nur bei den Mädels an. Gut, Hamburg war immer schon irgendwie House, doch die neue Ästhetik schmeckt nicht mehr nach demütiger Verbeugung vor den altehrwürdigen US-Vorbildern. Bei Diynamic weiß man um die eigenen Qualitäten. Obwohl das 2006 gegründete Label von der allgegenwärtigen House-Renaissance genauso profitiert hat wie viele andere, zogen es die Mannen um Mladen Solomun stets vor, auf der eigenen Welle zu reiten. Ob nun der perkussiv klöppelnde Rhein-Main-Sound den Beat der Stunde diktiert oder fette Disco-Basslines und runtergepitchte Soul-Vocals von der Insel die Clubs überschwemmen. Hypes kommen und gehen. Diynamic hat sich vorgenommen zu bleiben. Leichte Trend-Affizierungen sind zwar nicht zu leugnen, am Ende setzen die Hamburger aber doch auf die Beständigkeit der eigenen Werte, die ihnen jetzt – nach sechs Jahren kann man durchaus mal Bilanz ziehen – ein verdammt sicheres Standing im House-Diskurs der Stunde verschafft haben. In diesen Tagen scheint die Hamburger Soundschmiede jedenfalls omnipräsent. Das Schwesterlabel 2DIY4 wächst und gedeiht, das Roster wird größer und größer und eine Ibiza-Residency für den Sommer – jeden Dienstag im Sankeys – steht auch schon. Außerdem rollt in den kommenden Monaten eine Lawine von Compilations an, die den bisherigen Lauf noch einmal auf ein neues Level heben wird: eine Watergate-Mix-CD von Solomun, H.O.S.H.’s Ego-Mix zum hauseigenen Club und schließlich, wenn auch mit einem halben Jahr Verspätung, die Charity-Label-Compilation zum fünfjährigen Bestehen.

 

Realness innen wie aussen

Ich treffe die Diynamic-Truppe im Herzen St. Paulis, wo der Pferdemarkt sich in Richtung Schanzenviertel erstreckt. Fünf Herren und ein Hund kommen hinter einem der rot geziegelten Backsteinhäuser um die Ecke. Ihr Erscheinungsbild verrät nichts über ihr Tun. Keine sichtbaren Spleens, keine übermäßigen Modebekenntnisse. Ganz normale Jungs, würde man meinen. Mladen Solomun streckt mir als Erster die Hand entgegen. Er ist die väterliche Galionsfigur von Diynamic, ein freundlicher Grizzly, der Kumpel, aber auch Chef ist und der gerade in solch offiziellen Situationen, die eine gewisse Form erfordern, das Wort zu übernehmen weiß. Er stellt die Runde vor: Martin Stimming ist mit dabei, Holger Behn alias H.O.S.H. mit angeleinter Labrador-Dame, sogar David August ist extra aus Berlin angereist. Und natürlich: Adriano Trolio (links im Bild, mit Solomun), Mitbegründer von Diynamic, der die hauseigene Booking-Agentur leitet und alle administrativen Strukturen im Blick hat. „Hunger?“, fragt Solomun. Klar, in Hamburg muss es Fisch sein. Die Diynamic-Posse sucht für derlei Begehrlichkeiten bevorzugt das La Sepia auf. Ein portugisisch-spanisches Fischrestaurant direkt im Schanzenviertel, das durch rustikale Holzmöblierung, Flaschenkerzen und eine imposante Fischtheke genau den Seemannsspielunken-Authentizismus versprüht, den man sich als Hamburg-Tourist wünscht. Jeder bestellt sich ein Gericht, Solomun bestellt für sich drei. Scampi und Tintenfisch jeweils vom Grill, dazu hausgeschnitzte Kartoffelchips.

 

„Verträge mit Künstlern? Brauchen wir nicht, unsere Basis ist Vertrauen.“

 

Der Diynamic-Chef hat einen gesunden Appetit und er hat allen Grund, die Gegenwart zu genießen. 2011 war schließlich sein Jahr: Eine Unmenge von Veröffentlichungen und Remixen auf unterschiedlichen, meist kleinen Labels wurden dank seines Händchens zu großen Hits und untermauerten seine Stellung in der A-Riege internationaler House-Prodzenten. Aber auch als DJ ist er gefragter denn je: Derzeit arbeitet er an der neuen Watergate-Mix-Compilation, die im Sommer erscheinen wird. Zu seinen Gigs pilgern die Fans quer durch Europa und seine beiden Labels Diynamic und 2DIY4 könnten nicht besser laufen. Auch wenn er mittlerweile zu den Besserverdienern der Clubszene gehört, zählt realness nach wie vor zu seinen zentralen Tugenden. Innen wie außen: In verbeulten Jeans und Strickpullover, ausgelatschten Adidas-Sneakern und marineblauer Kapuzenjacke wirkt der breitschultrige Bosnier jedenfalls gänzlich undivenhaft. Wenn sein Lachen durch den Dreitagebart bricht, schwindet augenblicklich jede Distanz. „Bei Diynamic ist es wichtig, dass wir den selben Humor teilen“, bemerkt Solomun gleich zu Beginn, „bei uns wird viel gelacht.“ Dennoch berühren ihn auch Leidenschaften, die er extrem ernst nimmt. Wenn er von der Musik spricht, die ihn bewegt, kommt es vor, dass er den Arm seines Gegenübers greift, dass er jemanden an der Schulter fasst, um die Vehemenz seiner Aussage zu unterstreichen, als wäre es für ihn nicht zu ertragen, wenn ihn jemand in dieser wichtigen Sache falsch verstehe. Solomun ist zweifellos das Herz von Diynamic. Einer, dem seine Freunde gerne zu folgen bereit sind.

 

Ein Kollektiv aus Freunden

Im Aquarium des Fischrestaurants, direkt unter dem von der Decke hängenden Ruderboot, tummeln sich Hummer mit verknoteten Scheren und erwarten ihr sicheres Ende im Kochtopf. Bei Diynamic dagegen ist nach sechs Jahren die Zukunft offener denn je. Beim Essen erzählen die fünf Jungs wie das Label entstand. Jeder trägt seinen Teil bei, gegenseitig werfen sie sich Bälle zu, ohne dass das Gespräch zum Durcheinander gerät. Jeder kennt den anderen genau. Ein eingespieltes Team. Am längsten bekannt sind Solomun und Adriano. Auch H.O.S.H. war bereits vor der Gründung des Labels mit den beiden befreundet. Stimming kam erst etwas später dazu. Sie bilden den Kern von Diynamic. Die tragenden Säulen. Keine neue Veröffentlichung, ohne dass die vier diese nicht miteinander durchgesprochen hätten. Kein neuer Künstler im Roster, ohne deren ungeteilte Zustimmung. Im Verlauf des Gesprächs wird schnell klar: Diynamic funktioniert als Kollektiv aus Freunden. Vor allem zwischenmenschlich muss es passen. Verträge mit Künstlern? „Brauchen wir nicht“, meint Adriano knapp, „unsere Basis ist Vertrauen.“ Sein Blick strahlt Ruhe und Bestimmtheit aus. Als Mann im Hintergrund ist er die gute Seele des Teams und zugleich eine Art Anwalt der Interessen der Firma. Solomun ergänzt: „Wir sind eben Romantiker.“ Kein Wunder also, dass so verschiedene Künstler wie die Osloer Freakpopper Ost & Kjex, Deichkinds DJ Phono oder das verträumte Kollektiv Turmstrasse sich extrem wohlfühlen in dieser Familie. So auch David August (Bild rechts), das Wunderkind der Stunde. Mit gerade mal 21 Jahren ist er der jüngste im Kader: Ein gut aussehender Hipster von zierlicher Gestalt, dessen adrette Erscheinung bis auf den streng konturierten Rahmen seiner havannafarbenen Persol-Brille perfekt abgestimmt ist und der sich über einen Mangel an Groupies bestimmt nicht beklagen kann. Doch während die knabenhaften Gesichtszüge seine Jugend verraten, zeugt sein aufrechter Blick zugleich von großen Ambitionen. In Hamburg aufgewachsen, absolviert er derzeit in Berlin an der Universität der Künste einen Studiengang zum Tonmeister. Dafür wurde er als einer von vier unter knapp hundert Bewerbern ausgewählt. Ohne klassische musikalische Ausbildung wäre solch ein Werdegang kaum denkbar. Nicht zuletzt dieses Understatement sichert ihm das Ansehen seiner Diynamic-Kollegen, denn auch wenn er Martin Stimming – sehr zu dessen Freude – den Kükenstatus genommen hat und Mladen Solomun ganze 15 Jahre mehr auf dem Buckel trägt, so fällt doch der äußerst respektvolle Ton gegenüber dem Youngster von Anfang an auf. David August ist festes Mitglied der Familie geworden. Sein Wechsel von Oliver Koletzkis Label Stil vor Talent zu Diynamic war nicht ganz unproblematisch. Koletzki hatte damals auf Davids Wunsch hin die Verbindung zu Solomun hergestellt, mit dem sich die Gespräche über ein Release über Monate hinzogen. „Wir wollten ihm natürlich David nicht wegnehmen, zumal Oliver große Stücke auf den Jungen hielt“, erzählt Solomun nachdenklich, „aber es ging ja letztendlich darum, was David selbst wollte.“ Und David wollte verdammt noch mal zu Diynamic wechseln.

 

Das DIY-Prinzip

So funktioniert das Labelkonzept: „Wenn wir jemanden in die Familie aufnehmen, dann geschieht das auf ganzer Länge“, erklärt Adriano, „wer bei uns releast, spielt bei unseren Label-Partys und landet idealerweise auch in unserer Booking-Agentur.“ Die Gründung der hauseigenen Booking-Plattform war ein kühner Schritt für das damals gerade mal anderthalb Jahre junge Label. Der gängige Weg führt eigentlich zu etablierten Agenturen, die bereits über die nötigen Kontakte und Netzwerke verfügen, von denen vergleichsweise unbekannte Künstler besonders am Beginn ihrer Karriere profitieren sollen. Bei Diynamic jedoch gab man sich von Anfang an ziemlich selbstbewusst. „Wir dachten: Wer uns aufgrund unserer Releases buchen will, der findet uns auch“, grinst Solomun siegesgewiss, „anfangs hat uns das vielleicht ein paar Gigs gekostet, aber auf lange Sicht gewinnen wir mit dieser Strategie.“ Do it yourself, klar. Da ist es, das DIY-Prinzip, das in jeder Facette ihres Schaffens aufscheint. Gerade hier in St. Pauli, in unmittelbarer Nähe zur Roten Flora, hätte man angesichts dieser drei Buchstaben ja durchaus die Verbindung zur autonomen Szene oder eine Punk-Referenz vermuten können. Bei Diynamic jedoch fallen derlei Bezüge nicht ins Gewicht. Man hat sich stattdessen auf den Wortsinn kapriziert: „Wenn du willst, dass es so gemacht wird, wie du es haben willst, dann mach es selbst.“ So explizit formuliert das zwar keiner der Jungs, aber im Subtext all ihrer Aussagen scheint es genau darum zu gehen. Man ist stolz auf den Erfolg, vor allem aber auf die selbst erarbeitete Unabhängigkeit. Entsprechend mussten die drei signifikanten Lettern auch in jedem Projekt der Crew vorkommen. Bei den legendären DIY-Partys im Uebel & Gefährlich genauso wie im Titel des frisch gebackenen Schwesterlabels 2DIY4, der experimentellen Spielwiese der Diynamic-Crew. Den Anfang des DIY-Wahns machte das RO.DIY, ein improvisierter Club im ersten Stock eines baufälligen Gebäudes in der Bartelstraße, mitten im Schanzenviertel. Da man keine Ausschankkonzession hatte, lief das Ganze halblegal unter dem Etikett „Kulturverein“, was zwar gewisse Freiheiten, aber auch Limitationen mit sich brachte. Irgendwann lief der Verein einfach zu gut und die Freunde und Helfer in Grün waren regelmäßig vor Ort, um die zugelassenen Besucherzahlen zu kontrollieren. Nicht die Nachbarn, andere haben sich beschwert. Neider, Hater, Konkurrenten. Anfang 2006 war Schluss. Man zog als Veranstalter ins Uebel & Gefährlich, bis 2009 mit dem Ego wieder ein eigener Laden am Start war.

Allerdings sind nicht alle Verbindungen zum RO.DIY gekappt. H.O.S.H. (im Bild links) richtet derzeit in einem Zimmer neben den ehemaligen Clubräumlichkeiten sein neues Studio ein. Kabel liegen verstreut auf dem Boden rum, Dämmmaterial lehnt an den Wänden und allerlei Hardware wartet darauf, endlich angeschlossen zu werden. Stimming und August machen sich über den etwas überdimensionierten Flatscreen lustig, der über allem thront und vom Hersteller wohl eher für große Kinofilme denn als Schreibtischmonitor gedacht war. Holger Behn lacht mit. Für ihn ordnet sich in diesem Chaos gerade ein Neuanfang, zurück in urbanen Gefilden: Er hatte viereinhalb Jahre lang eine gute Stunde von Hamburg entfernt auf dem Land gewohnt, war nur Wochenende für Wochenende zu seinen Gigs in die Städte dieser Welt gependelt. Das sei für ihn auch kein Problem gewesen. „Ich mochte das, so ein bisschen abgeschottet in der Natur zu leben“, erzählt der erst kürzlich Heimgekehrte, „gerade mit Hund. Für meine Exfreundin war das schwieriger. Die hatte aber auch nicht die Abwechslung, an den Wochenenden mal rauszukommen.“ Ein schmerzvoller Ausdruck huscht fast unmerklich über sein Gesicht. Die Beziehung ist zu Ende und H.O.S.H. ist zurück in Hamburg. Er wohnt jetzt mit Labrador-Dame Una Rosa in Solomuns ehemaliger Wohnung, einen Steinwurf vom Ex-RO.DIY und seinem jetzigen Studio entfernt.

 

Blinklichtmassaker in allen Farben

Das nächste Ziel unserer Reise durch den Diynamic-Kosmos ist das Ego, seit drei Jahren der Club der Diynamic-Posse, der von Adriano, Mladen und dessen Schwester Magdalena geführt wird und mittlerweile einen Ruf genießt, der weit über Hamburgs Grenzen hinaus wahrgenommen wird. H.O.S.H. arbeitet derzeit an der ersten Club-Compilation, die in diesem Sommer veröffentlicht werden soll. „Wir werden immer wieder nach Mitschnitten von Sets gefragt, was total schwierig ist, da von uns viel unreleastes Zeug gespielt wird“, erklärt Behn, „deshalb wollen wir jetzt einen Mix herausbringen, der den Ego-Sound wiedergibt und der dann auch direkt dort an einem Club-Abend aufgenommen werden soll, mit ein paar Raummikros, die die Reaktionen des Publikums für die Atmosphäre mitnehmen.“

Kurz bevor die schmale Talstraße in den bunt blinkenden Neon-Wahnsinn der Reeperbahn zu münden droht, sind wir angekommen. Das Ego. Solomun weist mit der Hand stolz auf ein bunt getagtes Rolltor, zwischen Freedom-Bar und Heilsarmee, gegenüber eines Sex-Kinos, in dem auch am Nachmittag reger Betrieb zu herrschen scheint. Die große Werbetafel des Vorpächters, auf der seinerzeit in riesigen Lettern „Last Minute Dance Club“ prangte, ist mittlerweile geschwärzt. Neben den Clubräumlichkeiten vereint das Gebäude auch Adrianos Booking-Headquarter sowie die Studios von Stimming und Solomun unter einem Dach. Von außen im Sonnenlicht wirkt das Ganze doch eher unscheinbar. Keinerlei Zeichen dafür, dass hinter dieser Fassade Wochenende für Wochenende die derzeit mächtigsten Raves der Stadt abgehen, in einer Location, die offiziell gerade mal 250 Gäste fasst. „Und wie viele gehen tatsächlich rein?“, will ich wissen. Solomun lacht laut auf, legt seinen Arm um meine Schulter und führt mich durch eine Seitentür ins Innere. „Du willst doch bestimmt die Anlage hören?“, fragt er und befindet sich schon auf dem Weg hinter die Decks.

Kristallklar dringen Synthstabs aus den an der Decke angebrachten Tops, während eine warme Bassdrum durch die Subs unter dem DJ-Booth in Richtung Floor schiebt und die Eingeweide massiert. Die Tanzfläche wirkt tatsächlich ziemlich klein, die Decken sind nicht allzu hoch. Alles ist konzentriert auf wenige Quadratmeter. Bereits mit 100 Gästen rockt hier eine amtliche Party, ohne dass sich irgendwer einsam auf der Tanzfläche vorkommt. Es ist leicht, sich diese enge Zone getränkt von Schweiß und Wahnsinn vorzustellen. Die Spuren, die sich in die hölzernen Bodenplatten eingeschrieben haben, erzählen stumm von den Kräften, die hier regelmäßig wirken sind. Von der rechten Wand her schiebt sich eine nicht allzu große Bar in den Raum, ein paar Meter weiter das DJ-Booth. Eckpfeiler ziehen eine unsichtbare Linie und grenzen die Tanzfläche vom hinteren Teil des Raumes ab, der mit kleinen Sitzecken ausgestattet ist. Auf Kopfhöhe läuft eine Linie waagerechter Leuchtröhren die Wände entlang, die mit LEDs ausgestattet und daher einzeln ansteuerbar sind. Solomun hat es inzwischen geschafft, die Lichtanlage anzuwerfen. Ein gleißendes rotes Leuchten wandert um mich herum, dann ein blaues, ein grünes; ich merke, dass auch die Decke mit den Leuchtröhren bestückt ist. Blinklichtmassaker in allen Farben. Durch den rauhen Charme des Raumes läuft das Gesamtbild tatsächlich nie Gefahr, mit den cleanen Neonkitschabsurditäten ländlicher Flatrate-Diskotheken verwechselt zu werden, die in den vergangenen Jahren bekanntlich die Magie von LED für sich entdeckt haben. Das Ego beweist: Weniger ist auch hier mehr.

 

Der Club als Familienbetrieb

Für Geschmackssicherheit in Booking-Fragen sorgen Mladen und Adriano selbst, und mit lokalen Fremdveranstaltern wie etwa den Smallville-Jungs ergibt sich ein ausgewogenes Programm, das alle Facetten von House bedient, geradezu von selbst. Das schlagende Argument, warum das Ego den zurzeit heißesten Scheiß in Hamburg darstellt, ergibt sich allerdings aus dem Umstand, dass die Diynamic-Mitglieder, die überall sonst auf der Welt für teures Geld als Main-Act gebucht werden, sich im eigenen Hause gewissermaßen als Residents verstehen. Und Hamburg feiert seine Helden mit Inbrunst. Solomun zieht den Regler wieder nach unten, sichtlich zufrieden mit der klanglichen Demonstration seines Reiches. Nahezu unmerklich hat sich währenddessen eine ältere Frau dem DJ-Booth genähert und geduldig abgewartet, bis der Sturm sich gelegt hat und man sein eigenes Wort wieder versteht. Sie beginnt mit Solomun Kroatisch zu sprechen. Stimming stößt mich in die Seite und lächelt: „Das ist Mladens Mutter.“ Der Welt präsentiert wurde sie bereits auf Solomuns letzter Diynamic-Veröffentlichung, auf der sie in gebrochenem Englisch ein Intro sprach: „Hello people, I am mother from Solomun and he makes really good bum bum.“ Als ich ihr vorgestellt werde, spreche ich sie auf ihren neuen Ruhm an. „Spaß muss sein“, gibt sie lachend zur Antwort. Die familientypische Herzlichkeit ist unmittelbar zu spüren. Auch wenn einem auf den ersten Blick Kaffeekränzchen und Musikantenstadl in den Sinn kommen mögen, Mama Solomun bewegt sich völlig selbstverständlich auf subkulturellem Terrain. Längst hat sie sich an den Club als Familienbetrieb gewöhnt und besucht ihre Kinder dort, ohne wirklich die ekstatischen Mächte und Begehrlichkeiten an sich heranzulassen, die hier bei Nacht am Werk sind. Einen Stock höher in der Ego-Lounge, einer Art Chill-out-Area mit Kuschelecken für Verliebte, treffen wir Mladens Schwester Magdalena, die Mitbesitzerin des Egos, deren ungezwungene Lässigkeit perfekt im Bild zwischen Clubfamilie und Familienclub aufgeht. Es scheint, als habe Solomun das Prinzip Familie auf allen Ebenen seines Schaffens und Lebens etabliert.

 

„Das ist wie beim Fußball. Im Team macht das Arbeiten einfach mehr Spaß.“

 

So ergibt es auch Sinn, dass Solomuns und Stimmings Studios ein Stockwerk höher gewissermaßen Tür an Tür liegen. Man tauscht sich aus und prüft sich gegenseitig. „Martins Meinung bedeutet mir unglaublich viel“, erklärt Solomun, „wenn ich ihm etwas Neues vorspiele, bin ich richtig nervös. Oft weiß ich schon, bevor er etwas gesagt hat, dass er ein vernichtendes Urteil fällen wird. Seine bloße Anwesenheit reicht aus, damit ich den Track mit anderen Ohren höre.“ Wenn er etwas sagt, dann meint er es auch. Eben diese „gnadenlose Ehrlichkeit“, wie Solomun es nennt, wissen seine Labelkollegen sehr zu schätzen. Vor allem aber als Produzent genießt Stimming ein hohes Ansehen. Der Stimming-Sound, da sind sich alle einig, ist völlig eigen und unkopierbar. „Dadurch, dass Stimming selbst nicht auflegt, denkt er unabhängig von aktuellen Moden und Trends“, erklärt H.O.S.H., „DJ-Charts interessieren ihn nicht.“ Zudem ist er ist kein Mann vieler Worte. Er hält sich in Gesprächen eher zurück, hört zu, überlegt. Nicht nur die ergrauten Schläfen lassen den 28-Jährigen weit reifer wirken, als sein Alter es vermuten lässt. Ihm haftet eine seltsame Melancholie an und man ahnt, dass hinter den nachdenklichen Augen große Gedanken und Emotionen verborgen liegen. Auf eine seltsame Art und Weise fügt sich Stimming mit all seinen Ecken und Kanten perfekt in das bunt zusammengewürfelte Familienbild. So unterschiedlich die Charaktere auch sein mögen, so gut funktionieren sie zusammen. „Das ist wie beim Fußball. Im Team macht das Arbeiten einfach mehr Spaß“, erklärt Solomun, der als Teenager für die deutsche U16-Nationalelf im Gespräch war. Er lehnte jedoch ab. Wenn, dann hätte er damals für Jugoslawien spielen wollen. „Alles fügt sich und ergibt am Ende doch Sinn. Ich bin eben einen anderen Weg gegangen“, fügt Solomun gelassen hinzu. Ein Teamspieler ist er geblieben. Ein Familienmensch.

 

Pop is king

Entsprechend lässt Solomun in naher Zukunft erst einmal Raum für Veröffentlichungen der Jungen im Kader: Adriatique aus Zürich, Hunter/Game (im Bild unten) aus Mailand, der Mönchengladbacher Thyladomid oder der Hamburger Liem, der auch im Ego seine eigene Partyreihe hat. Außerdem wird es darum gehen, das frisch gebackene Sublabel 2DIY4 weiter zu etablieren. „Alles, was stilistisch nicht auf Diynamic passt, kommt auf 2DIY4, unser Experimentierfeld“, sagt Solomun, „auf diese Weise haben wir auch Raum für Acts wie die Hamburger Indie-Band Pool geschaffen, die wir alle ganz groß finden und die dort jetzt ihr Album releasen.“ Die Romantiker von der Alster können sich solche Experimente leisten. Der große Erfolg der vergangenen Jahre schafft aber auch Möglichkeiten, auf anderen Ebenen etwas zu bewegen: „Als Nächstes kommt die Fünf Jahre Diynamic Charity-Compilation, die uns sehr wichtig ist, da der gesamte Erlös an das Kinderhospiz Sternbrücke hier in Hamburg gespendet wird. Ein Musikzimmer soll dort eingerichtet werden, was ja ein Thema darstellt, zu dem wir einen direkten Draht haben“, erklärt Solomun. Dieses Projekt nehmen die Jungs, die sonst so gerne miteinander scherzen, extrem ernst. Darüber hinaus deutet die Doppel-CD auch musikalisch in eine Richtung, die möglicherweise paradigmatisch für die Entwicklung von Diynamic ist. Während sich eine der beiden CDs aus exklusiven Stücken der hauseigenen Produzenten zusammensetzt, wurden für die andere dezidiert Künstler wie Hot Chip, WhoMadeWho, Cassius oder The Teenagers angefragt; Künstler also, die sich musikalisch außerhalb des Diynamic-Kosmos bewegen, um erfolgreiche Stücke der Labelhistorie zu remixen. Der Pop-Appeal, der immer irgendwie Teil von Diynamic-Veröffentlichungen war, ist mehr und mehr zum bestimmenden Charakteristikum des Labelsounds geworden. „Wir verkaufen mittlerweile manche Tracks besser auf iTunes als auf Beatport“, bestätigt Solomun. Intuitiv hat man die Zeichen der Zeit richtig gedeutet: Die einstmals diametral entgegenstehenden Pole „Club“ und „Pop“ sind zu einer Ununterscheidbarkeitszone verwachsen. Es verwundert daher nicht, dass das Albumformat bei Diynamic ein ganz neues Gewicht erhält. Neben David August, Pool und Stimming sind allein für dieses Jahr noch Alben von Uner und Ost & Kjex geplant. Letztere natürlich, genauso wie Pool, auf 2DIY4. Die Losung heißt: Mehr Vocals, mehr Melodien, mehr Ausdruck. Pop is king. Und der Erfolg gibt ihnen recht.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND2024]: So feiert die Post-Corona-Generation

Die Jungen feiern anders, sagen die Alten – aber stimmt das wirklich? Wir haben uns dort umgehört, wo man es lebt: in der Post-Corona-Generation.

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.