Foto: Jaara Lange (Acidfinky)
Gut vier Jahre ist es her, dass sich Acidfinky auf einen nicht unbedingt legalen Trip begab, um sich zwei Plattenspieler zu organisieren. Seitdem ist viel passiert: Die in Berlin lebende DJ und Produzentin hat das Kollektiv BLVSH mitbegründet, wurde Resident im Golden Pudel sowie dem Berliner Community-Radio THF und gründete zuletzt ihr eigenes Label Twisting Knobs gegründet. Auch ihr Beitrag zu unserem Groove Podcast ist ambitioniert: In seinen zwei Stunden Laufzeit bringt sie bassige Sounds aus dem Hardcore Continuum mit Techno Berliner Mundart zusammen.
Deine ersten Schritte als DJ hast du im weltweiten Stillstand getätigt: Im Lockdown hast du dir Plattenspieler zugelegt. Wieso war und ist es dir ein Anliegen, mit Vinyl aufzulegen?
Als der Lockdown angekündigt wurde, begann ich, mit den Leuten, mit denen ich während des Lockdowns zusammen war, auf einem sehr kleinen Controller zu spielen, dem Hercules DJ Control Instinct. Er ist so winzig, dass er nur über den USB-Anschluss vom Computer mit Strom versorgt wird. Wir haben jeden Tag gespielt, da wir Studierende waren und nichts zu tun hatten. Ich habe meinen ersten Mix damit aufgenommen, und er ist immer noch online verfügbar. Zunächst hatte ich Plattenspieler besorgt, weil ich im Februar 2020 an einem Anfänger-Workshop mit Ena Lind über den FLINTA-Workspace SPOON teilgenommen hatte. Sie ist diejenige, die mir beigebracht hat, wie man Platten mischt. Ich habe dann relativ lange hybrid gespielt. Inzwischen spiele ich ausschließlich Vinyl, weil es mir einfach mehr Spaß macht. Ich finde es auch cool zu wissen, dass die Platte, die ich gerade auflege, wahrscheinlich schon auf vielen anderen Partys gespielt wurde. Eine (gebrauchte) Platte hat viel Geschichte! Außerdem bin ich frei von Algorithmen und Bildschirmen, ich kaufe Dinge nur in Plattenläden. Fun Fact: Ich habe meine Plattenspieler, zwei Reloop 4000, über eBay Kleinanzeigen von einem Typen in Magdeburg bekommen. Das Land war zu der Zeit noch fast komplett im Lockdown, daher waren die Grenzen zwischen den Ländern geschlossen. Ich musste illegal nach Magdeburg fahren, um sie zu bekommen. Ich war wirklich hoch motiviert!
Als DJ wie auch als Produzentin hast du viel von Support-Netzwerken und Workshop-Programmen profitiert. Welche Einsichten waren in deiner Anfangszeit für dich besonders zentral und was würdest du Anfänger:innen selbst heutzutage raten?
Ich brauche Leute, die mir zeigen, wie man Dinge macht, bevor ich es selbst versuche. Ich bin schlecht darin, YouTube-Tutorials zu folgen, weil meine Aufmerksamkeitsspanne nicht besonders gut ist. Die Teilnahme an all diesen Workshops hat mir wirklich geholfen, meine Fähigkeiten auf eine Weise zu verbessern, die meinem Lernstil entspricht. Darüber hinaus waren fast alle diese Workshops für Frauen, Trans- und Non-Binary-Personen. In männlich dominierten Räumen fühle ich mich nicht immer wohl, daher war es super, sich darum keine Sorgen machen zu müssen. Außerdem habe ich durch diese Workshops und Programme viele andere Anfänger:innen kennengelernt, und viele von ihnen sind heute meine Freund:innen. Wir sind gemeinsam gewachsen und können nun Erfahrungen und Chancen teilen. Also ja, ich würde auf jeden Fall raten, an solchen Programmen teilzunehmen. Lerne neue Fähigkeiten, finde deine Leute und wachse mit ihnen!
Du bist Mitbegründerin des Berliner Kollektivs BLVSH, das neben Workshops regelmäßig im SchwuZ Veranstaltungen organisiert und in Kürze seinen vierten Geburtstag feiert. Euer Ziel ist ein “increase in the visibility of women, trans and non-binary folks” innerhalb der Clubszene. Wie ist dein Fazit nach vier Jahren: Welche Erfolge konntet ihr erzielen, wo ist noch viel Arbeit zu erledigen?
Das ist ein sehr umfangreiches Thema. Was ich sagen kann, ist, dass es uns gelungen ist, eine ziemlich große Community aufzubauen. Ich kann nicht genau sagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir über 100 FLINTAs das Auflegen beigebracht haben und etwa 40 Veranstaltungen – Partys, Radio-Showcases usw. – nur mit unterrepräsentierten Geschlechtern durchgeführt haben. Wir haben auch zwei Compilations mit aufstrebenden Produzent:innen veröffentlicht und planen die nächste. Durch unsere Open Decks geben wir vielen FLINTAs die Möglichkeit, zum ersten Mal vor anderen Menschen zu spielen, auf eine stressfreie Weise, weil es eine Bar-Nacht mit Drag-Shows ist, sodass sie nicht den Dancefloor voll halten müssen und ihr Ding machen können. Wir stellen die Open Decks auch auf Resident Advisor, damit diese neuen DJs ihr Profil erstellen können. Letztendlich ist das Kollektiv in Berlin jetzt gut bekannt und auch ziemlich respektiert. Wir versuchen, es als Kollektiv zu halten, das Anfängern Chancen bietet, anstatt ein Kollektiv zu sein, das ständig Partys mit berühmten Leuten macht. Was wir als Kollektiv und die Szene im Allgemeinen als Nächstes verbessern müssen, würde ich sagen, ist die Erhöhung der Vielfalt nicht nur in den Line-ups, sondern auch in Machtpositionen, das heißt Clubbesitzer usw. Meinerseits freue ich mich darauf, mehr Produktions-Workshops anzubieten und an der Labelseite von BLVSH zu arbeiten.
Mittlerweile bist du als Produzentin sehr aktiv und hast neben vielen Compilation-Beiträgen auch Solo-Releases veröffentlicht. Wie gestaltet sich dein Workflow im Studio?
Mein “Studio” ist mein Zimmer. Ich stecke einfach meine Kopfhörer in meinen Computer und fange an, herumzuspielen. Weder habe ich eine Organisation noch einen Workflow. Ich entscheide mich einfach sehr zufällig, etwas zu produzieren. Ich benenne Dinge nicht wirklich, ich färbe sie nicht ein. Ich mache nicht einmal Loops. Ich bereite einfach ein paar Drums vor und arrangiere sie bereits zu einem Track. Dann höre ich mir den Track fast von Anfang bis Ende an, jedes Mal, wenn ich ein Element hinzufüge. Manchmal dauert es zwei Tage, um einen Track zu beenden, manchmal sechs Monate. Es kommt wirklich darauf an. Ich beende auch nie einen Track vollständig, bis er unter Vertrag steht. Ich schicke das Material, das etwa 80 % fertig ist, an Labels. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum. Ich denke, ich mag es einfach, meine Sachen kurz vor dem Mastering zu optimieren. Das ist irgendwie lustig. Auf der einen Seite arrangiere ich meine Platten sehr sorgfältig mit Aufklebern, persönlichen Notizen, Farben usw. Auf der anderen Seite nehme ich mir keine Mühe, in der Art und Weise, wie ich Tracks produziere, irgendeine Ordnung zu schaffen. Ich denke, ich sehe mich einerseits als DJ/Sammlerin und andererseits als Produzentin/Künstlerin mit einem chaotischen “Studio” – meinem Computer.
Im Vorjahr hast du mit Twisting Knobs dein eigenes Label an den Start gebracht, bisher sind dort zwei Compilations sowie eine Solo-EP von dir erschienen. Aus welcher Motivation heraus hast du es gegründet und welche Absichten verfolgst du damit?
Ehrlich gesagt wollte ich Tracks auf meine Art veröffentlichen, um selbst darüber entscheiden zu können, wie die Promotion gemacht wird, die visuelle Gestaltung, wer das Mastering macht usw. Ich wollte auch einen bestimmten Sound fördern, von Artists die ich mag. Ich beschreibe es immer als “crispy” in jeder Promo und jedem Interview, das ich mache: kräftige Basslines, scharfe Percussions und “Ear Candy”. Das Ziel ist, dass es ein Label wird, das auf Vinyl veröffentlicht, aber das ist im Moment zu teuer für mich.
Benannt ist das Label nach deiner Residency beim Berliner Sender THF. Worauf legst du bei der Programmierung der Sendung Wert?
Mit der Programmierung der Show lasse ich gerne Freund:innen spielen. Ich frage normalerweise nach non-dancefloor-oriented Musik. Ich mache es nicht zu kompliziert. Radio ist für mich einen Ort, um einfach Spaß zu haben, mit einigen Kumpels abzuhängen, Musik zu spielen und ein Bier zu trinken.
Neben all dem bist du Resident im Golden Pudel in Hamburg. Wie kam es dazu und wie gehst du deine Sets dort im Vergleich zu Gigs in anderen Clubs an?
Hendrik von der Warning-Crew hatte mich mal mit Richard Schulenburg in Kontakt gesetzt damit ich dort spiele. Wir hatten eine tolle Party und dann kam die Anfrage, Teil des Teams zu sein. Ich kann es irgendwie immer noch nicht so richtig glauben, es ist wirklich eine Ehre. Tatsächlich bereite ich meine Sets im Pudel nie vor, ich muss da eh immer lange spielen, also nehme ich die Platten mit, die ich zu Zeit mag, und habe Spaß. Nach jedem Pudel-Gig bin ich weniger verklemmt, wenn es um Track-Selection geht. Wie viele habe ich manchmal die Tendenz, zu verkopft zu sein, statt einfach den Vibe zu fühlen.
Was war die Idee hinter deinem Mix für unseren Groove-Podcast?
Dieser Mix ist eine zweistündige Reise ausschließlich auf Vinyl durch UK Bass und Berlin Techno. Ich habe versucht, ihn perfekt zu planen – wie ich es normalerweise mache –, aber nach einigen Versuchen entschied ich mich, meine aktuellen Lieblingsplatten zu nehmen und einfach das zu spielen, worauf ich Lust habe. In den letzten Jahren habe ich mich darauf konzentriert, perfekte, flüssige und lange Übergänge zu gestalten, und das hat mir manchmal den Spaß am DJing genommen. Als Ergebnis ist dieses Set nicht perfekt, aber viel authentischer für mich und das, was ich im Club spielen würde. Viel Spaß! Großer Dank übrigens an Slin (BCCO) und kyly (Shockwerk), bei denen ich mein Set aufnehmen konnte. Meine Reloop 4000 aus Magdeburg sind nämlich für Aufnahmen nicht gut genug.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Ich habe viele Pläne und Wünsche! Einer davon wäre, mit mehr Vocalists zu arbeiten. Hit me up, people!
Stream: Acidfinky – Groove Podcast 411
01. ??? – ???
02. E-Unity – Duo Road
03. Terror Danjah – Acid
04. Cosmin TRG – Siberian Poker
05. Cassius Select – Who Teh
06. Suh+Moon – Pagoda (45 rpm)
07. Awo Ojiji – Mud (45 rpm)
08. Design Default – Eta Aquariids (Sputnik One Remix)
09. Sys – Spiralizsa
10. LCY – Believe
11. Premis – Adobo (All Purpose Mix)
12. Kombé – Taarab Fragments
13. Pugilist – Flip Trix
14. Atrice – Nulspace
15. Sha Ru – Just a Few Timez
15. Cressida – Same Dance
16. Hodge – Prototype Fear
17. Marijn S – Arctic Flora
18. Coco Bryce – Mordechai
19. Arkajo – Earth (Ebende Remix)
20. Machine Woman – I Received Your Email Today
21. DJ Haus – Tek Houz
22. Mosca – Swann Morton
23. Dave Tarrida – Flotsam
24. Ben Mono – Juggling (Volsocs’s Macrosound Remix)
25. Darren Price – Instigator
26. DJ SPACEBEAR – Crush Punch
27. The Scan (aka Mathys Lenne) – Stripped
28. NOT A HEADLINER – DUMMY SYSTEM
29. Gerald VDH – We Fight Dirty
30. Habgud – F That Feelin’
31. Henry Greenleaf – Dive
32. Porter Brooke – Second Shift
33. Al Wootton – Maenads
34. PTDD – Blauwe Reus
35. Louie Balo & Tommy Bones – You Are There