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April 2023: Die essenziellen Alben (Teil 2)

E-Unity – BBB<3 (TEMƎT)

E-Unity drückt mit seinem Albumtitel nicht die Liebe zu den Berliner Bäder-Betrieben aus, er sympathisiert auch nicht mit der Biotic Baking Brigade und teilt mit dem Bayerischen Brauerbund höchstens das Bekenntnis zum Reinheitsgebot. Der Franzose knüddelt für sein Nicht-mehr-EP-aber-noch-nicht-Album schließlich sieben Nummern raus, die für Big-Bass-Beats und nichts als Big-Boom-Bänger stehen. Das heißt nicht, dass man die Dinger unbedingt durch die Clubanlage schleifen muss.

Auf TEMƎT, so etwas wie dem französischen Pendant zu weißbrötlerischen Label-Alternativen wie AD 93 oder Hessle Audio, prescht niemand über die Temposchwelle. Auch wenn E-Unity mit einem Track wie „Zimba Frog” bergabwärts und in Russenhocke drei Sachen mehr aus dem Roller quetscht, der füßelnde Heizdecken-Vibe dieser Platte tuckert gerne im zweiten Gang durch die Begegnungszone. Bass braucht keine Hatz, wir nehmen’s gemütlich. Dafür schickt man drei Kuss-Emojis durch, alles richtig gemacht, E-Unity! Christoph Benkeser

E-Unity – BBB<3 (TEMƎT)

Eversines – Dwang (ninih)

Eversines veröffentlicht sein drittes Album auf dem Amsterdamer Label ninih von Pieter Jansen, dem dunklen Bruder (ich spreche natürlich vom Label) von yeyeh. Letzteres widmet sich Kollaborationen von Jazz- und Experimental-Musiker:innen mit jungen Elektronik-Produzent:innen (Eversines’ zweites Album Waves, eine Kollaboration mit Carolina Eyck, erschien zum Beispiel dort), ersteres hat sich konkret der Clubmusik verschrieben.

Und dort passt Dwang, auch wenn der ambiente Einstieg „Bridge” anfangs anderes vermuten lässt, perfekt hin. Zwar lässt der in sich ruhende Acid-Breakbeat von „Elev” es zunächst entspannt angehen. Doch schon das nächste Stück, „Resist”, groovt sich, konträr zum Titel, eher unwiderstehlich auf den tiefnächtlichen Dancefloor ein. Und so geht es weiter. Zumeist angetrieben von Trance-erprobten Acid-Bass-Schrauben, ergehen sich die sieben Tracks im Oszillations-Bereich von euphorischem Prog House zu dunkel-hypnotischem Acid Techno. Eversines hat dabei ganz klar die Neunziger als Inspiration im Rückspiegel, seien es Outdoor-kompatibler Psytrance oder von der Decke tropfender Warehouse-Techno-Schweiß. Die Fahrt geht jedoch konsequent nach vorne, in die Zukunft. Er kombiniert die Elemente und Referenzen nämlich gekonnt und veredelt sie mit kontemporärer Produktionstechnik, so, dass man sich niemals wie auf einer Oldies-Party vorkommt, ganz im Gegenteil.

Wer jetzt interessiert ist, sollte sich übrigens sputen: Bis auf den letzten Track, das wunderbar breakige Sonnenaufgangs-Stück „Tussen Tijd”, das via Eversines’ Bandcamp digital erhältlich sein wird, ist das alles eine auf 500 Stück limitierte Vinyl-Only-Angelegenheit. Tim Lorenz

Hans Nieswandt – Flower Hans (GMO – The Label)

​​Für Flower Hans nimmt sich Hans Nieswandt rare Songs der Hippie-Ära vor und interpretiert sie neu als Disco-Tracks, gespielt von Musiker:innen. Elektronische House-Beats bilden das Fundament des Albums. Sie glätten die Ausschweifungen der Hippie-Originale und schaffen eine angenehme Durchhörbarkeit. Aber manche der schnell wechselnden Akkordfolgen der Originale sind für Discomusik ungewöhnlich und wirken befremdlich. Sie werden eingehüllt in fluffige Sounds, und es entsteht komplexer Easy Listening.

Nieswandt begreift Hippietum als radikale Ehrlichkeit, die sich nicht scheut, Schwächen zu zeigen. In diesem Fall ist das die Menschlichkeit des Gesangs: typisch schön schräg, wie bei seinem größten Hit „From Disco to Disco” mit Whirlpool Productions. Hans Nieswandt singt auf seinem Album nur einmal selbst, und das ist der einzige auffällig mit Autotune korrigierte Gesang: auf der ersten Single, „Sweet Algorithm”. Dieser Song ist auch der einzige, dem kein Hippie-Original zugrunde liegt und der extra für dieses Album produziert wurde. „We need sweet algorithm”, singt er da. Tatsächlich ist das in Zeiten von Super-KIs wohl eines unserer größten Bedürfnisse. Martina Dünkelmann

Hörbeispiele findet ihr in den einschlägigen Stores.

Magna Pia – QUT (Counterchange)

Hüseyin Evirgen war Mitglied des Techno-Duos Cassegrain und zuvor unter seinem Nachnamen zwischen Berlin und Wien als Solokünstler aktiv. Seinen Einstand unter dem Pseudonym Magna Pia feierte er allerdings im Jahr 2016 auf Ed Davenports Label Counterchange. Für seine zweite LP QUT kehrt er nun dorthin zurück und integriert mystische Ideen in einen eklektischen Sound, der zugleich nach Patschuli und frischem Chrom riecht.

Bereits der Opener klingt, als wäre er auf der Compilation von esoterischen Dark-Ambient-Bastionen wie Cyclic Law gut aufgehoben. Doch hat Evirgen mehr als nur entfernt anklingende, flötenähnliche Melodien und grummelnde Drones parat: Der zweite Track „Qizil” entfaltet sich seelenruhig zu einem von IDM und Ambient Techno beeinflussten Stück Home-Listening-Techno und „Venus M” bietet sich für den Übergang zwischen Warm-up und Peak Time auf dem ersten Floor an. Evirgen hat indes kein Interesse am herkömmlichen Techno-Album-Narrativ nach Gauß-Kurven-Prinzip und schaltet in der Mitte des Albums eine ambiente Verschnaufpause ein.

Das Tempo steigt danach zwar wieder rapide an und die Kicks rollen, das vielschichtige – jedoch zugegebenermaßen bisweilen überbordende – Sounddesign allerdings lädt Evirgens Techno mit sehr viel Atmosphäre auf. QUT ist eine Ode an primitivere Zeiten, gesungen im Argot zeitgenössischer Produktionsmethoden, als weitgehend einnehmender Widerspruch aber eher für die Couch und vernebelte Sonntagnachmittage gedacht. Kristoffer Cornils

Mark Barrott – Jōhatsu (Reflections)

Von seiner Basis auf Ibiza aus hat sich der englische Produzent Mark Barrott für einige Jahre in die insularen Balearic-Klänge vertieft. Während der Pandemie schien es damit dann erst einmal gut zu sein, oder es war eine Pause vom streng tropischen Entspannen angezeigt. Mit seinem Album Jōhatsu vollzieht Barrott zumindest einen dezenten Stilwechsel. Ursprünglich als Soundtrack für den japanischen Dokumentarfilm Jōhatsu…  the art of evaporation, entstanden, bringt Barrott die Platte jetzt heraus, ohne dass klar ist, ob der Film selbst jemals veröffentlicht werden wird.

Die zugewandte Leichtigkeit von Alben wie Sketches From An Island ist im Grunde geblieben, Barrott kanalisiert sie bloß anders. Bis auf zwei Ausnahmen kein sanfter Beat, kein bedächtig anbrandender Funk, dafür luftige elektronische Melodien, die sich, ähem, gleich kunstvoll gefaltetem Papier ineinanderschieben. Mitunter kommen Instrumente wie Klavier, gestopfte Trompete, Flöte oder Gitarre hinzu. Die Inspiration war mutmaßlich das freie Ambient-Schaffen in Japan aus den Achtzigern, gefiltert durch die Erfahrung der Balearen. Barrott hat gut daran getan, sich die Rechte an der Musik zu sichern. Sie besteht in ihrer freundlichen Flüchtigkeit auch ohne Bilder. Tim Caspar Boehme

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