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Mein Plattenschrank: Luomo / Vladislav Delay

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Erstmals erschienen in Groove 132 (September/Oktober 2011)

Vladislav Delay, Sistol, Uusitalo, Conoco, Luomo: Seit den späten Neunzigern lebt der Finne Sasu Ripatti unter diversen Pseudonymen seine Kreativität als Produzent von elektronischer Musik aus. Er veröffentlichte auf Labels wie Chain Reaction, Mille Plateaux, Force Tracks, Honest Jon’s oder seinem eigenen Huume und verschrieb sich dabei nie einer einzelnen Ästhetik. Ambient, Glitch, Dub, Microhouse und zuletzt ätherischer Jazz dienten ihm als Projektionsfläche für Neues. Als Folie für Experimente, um die Klischees gegen den Strich zu bürsten. Auch Ripattis Remixe für Künstler wie Rhythm & Sound, Massive Attack oder die Scissor Sisters biederten sich nie an und spielten zuweilen sehr eigen mit Pop. Im Zentrum seiner Musik steht der Rhythmus, den der studierte Schlagzeuger gern in kleinste Teile zerhackt, um ihn tanzbar oder entspannt mit Gesang, Dub, Jazz oder Soul zu verbrüdern.

Nach intensiven wilden Jahren in Berlin lebt der 36-jährige Ripatti heute zurückgezogen auf einer Insel im Norden Finnlands und fokussiert sein Leben auf die Natur, die Familie und die Musik. Seine Plattensammlung hat er verkauft und über die Jahre durch sein Lieblingsmedium CD ersetzt. Einige essenzielle Alben sind geblieben, wie ein Blick in seine digitale Sammlung offenbart.

 

Napalm DeathFrom Enslavement To Obliteration (Earache, 1988)

„Mit 14 verfiel ich der Musik von Napalm Death total. Damals hatte ich meine ersten Bands und war schon Drummer. Ich liebte das Schlagzeugspiel von Mick Harris. Zu der Zeit lernte ich bereits klassische Perkussion und ein wenig Klarinette und Piano. Dank Napalm Death hinterfragte ich all die Regeln, die ich dabei lernte, und spürte zum ersten Mal totale Freiheit in der Musik. Die brutale Vitalität ihrer Musik, ihre Physis haben mich sehr fasziniert. Ich war zwar damals noch ein Teenager, aber ich mag Napalm Death noch heute. Durch sie wurde alles anders. Das hatte natürlich auch mit der Wut des Teenagers zu tun: Dank Napalm Death konnte ich meinen Frust radikal am Schlagzeug rauslassen.”

 

Miles DavisKind Of Blue (Columbia, 1959)

„Bei dieser Platte habe ich erstmals Jazz gefühlt und verstanden. Ich hörte sie über ein Jahr fast ausschließlich. Dank ihr wollte ich der größte Jazz-Schlagzeuger der Welt werden. Dafür habe ich die Schule geschwänzt und allein zu Hause nur zu dieser Platte auf meinen Drums gespielt. Ich habe alle Schlagzeug-Noten aufgeschrieben und gelernt. Ich habe sogar Privatunterricht genommen. Meine Mutter nahm mich dann mit 16 mit nach New York, und ich bin sofort zum Blue Note Jazz Club und zum Village Vanguard gepilgert. Dort musste ich feststellen, dass die Magie, die mir Kind Of Blue geschenkt hatte, nicht mehr lebendig ist. Meine Idee, der größte Jazzdrummer zu werden, wurde zerstört, und ich war sehr lange schwer deprimiert.”

 

Red Hot Chili PeppersBlood Sugar Sex Magik (Warner, 1991)

„Als die Platte erschien, probierte ich gerade alle möglichen Formen und Stile des Schlagzeug-Spielens aus. Sie korrespondierte für mich mit meiner Napalm-Death-Phase, auch wenn die Musik nicht so brachial ist. Ich liebte sie vor allem wegen der Art, wie sie produziert worden war. Der Sound und das Elektronische in der Musik. Das war die erste Platte, die die Band mit Rick Rubin gemacht hat. Zu der Zeit hatte ich von elektronischer Musik überhaupt keine Ahnung. Ich kannte nicht mal Kraftwerk. Mir imponierte, wie nonkonformistisch sich die Red Hot Chili Peppers in der Öffentlichkeit gaben, obwohl sie schon Stars waren. Ich hörte die Platte nur für kurze Zeit. Dafür aber äußerst intensiv.”

 

Frank ZappaYou Can’t Do That On Stage Anymore Vol. 3 (Zappa, 1989)

„Dann kam Frank Zappa, und ich habe nichts anderes gemacht, als Frank Zappa zu hören! Zwei Jahre lang! Ich hatte zu dieser Zeit kaum noch Freunde. Das war für mich das erste Mal, dass ich spürte, dass man in der Musik alles machen kann. Ich mochte seine Livealben immer mehr als die Studioplatten. Bei Zappa kam meine Liebe zum Hardcore mit der zum Jazz zusammen. Nie war ich so zufrieden mit Musik wie zu dieser Zeit. Mir wurde klar, dass ich nur noch meinen Vorstellungen nachgehen will und etwas Eigenes kreieren möchte, ohne jemanden zu kopieren. Zappa hatte eine große musikalische Vision, die mich bis heute beeinflusst. Ich erlernte all seine Drumpatterns. Zudem mochte ich ihn auch als Mensch. Er erweitert deinen Horizont.”

 

Massive Attack v. Mad ProfessorNo Protection (Wild Bunch)

„Als die Platte erschien, war ich zwanzig. Ich bin daraufhin für zwei Monate nach Jamaika gereist und voll in Reggae und Dub eingestiegen. Für mich bringt sie Dub, Pop und Elektronik perfekt zusammen. Mit ihr reifte bei mir der Wunsch, elektronische Musik zu produzieren. Ich verdiente damals mein Geld als Perkussionist für Studios und Bands. Aber ich habe dann einfach meine Drums und Perkussionsinstrumente verkauft und mir ein elektronisches Basis-Set-up zugelegt. Mich nervte das demokratische Bandkonzept. Es wurde nur diskutiert. Jetzt konnte ich alles so machen, wie ich wollte. Kurze Zeit später veröffentlichte ich meine erste EP, „The Kind Of Blue“. Ich hörte auch Chain Reaction und Mike Ink. Aber leider gab es aus dieser Richtung nie ein Album, das mich umhaute.”

 

Kanye WestMy Beautiful Dark Twisted Fantasy (Roc-A-Fella, 2010)

„Ich habe wirklich lange kein Album mehr entdeckt, das mich so fasziniert. Ich mag die Art der Produktion. Kanye West macht es niemandem mehr recht, und er wagt musikalisch viel. Zudem sind seine Raps ehrlich. Ich würde gern mal eine HipHop-Platte produzieren. Kanye West bringt auf diesem Album alles zusammen, was ich an HipHop schätze. Aber jenseits aller Analytik muss ich sagen, dass mich die Platte direkt umgehauen hat. Das ist immer das Entscheidende. Denn das führte immer dazu, dass ich mich entwickelte, hinterfragte. Musik ist Leben und Tod für mich. Ich kaufe mir immer noch sehr viel, denn wenn ich jeden Tag das Gleiche esse, wird mir schlecht. Aber es gibt immer weniger, das mich wirklich umhaut.”

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