Aroent – Say (Infinite Machine)
Nach seiner sehr guten EP Eleese auf Awkwardly Social vor knapp zwei Jahren legt Vagelis Tsatsis a.k.a. Aroent jetzt endlich nach – und zwar auf dem nicht weniger coolen Label Infinite Machine, dessen Netz sich mittlerweile ausgehend von Kanada über Mexiko und New York bis nach Bukarest spannt. Und ähnlich kosmopolitisch und unvoreingenommen klingen die vier Stücke auf Say. Was sich Aroent vor allem im zweiten Track namens „Rolling Oddities“ an Beat-Variationen, und, nein, nicht Breaks, sondern wirklichen Brüchen im Groove-Flow erlaubt (die aber trotzdem den Fluß erhalten, nur eben ungewöhnlich umleiten), das hört man absolut selten. Dazu braucht es – neben Einfallsreichtum als Grundvoraussetzung – ein gutes Umfeld ohne Kontrollwahn und ohne kurzsichtige Trendfixierung, und das scheint im Hause Infinite Machine gegeben zu sein. So mischen sich auf dieser EP Erinnerungen an smarte IDM-Tracks aus den 90ern mit aktuellen UK-Techno- und Funky-Einflüssen, endlos morphenden Percussions und liebevoller Synthie-Programmierung, was eine permanente und positiv aufgeladenen Atmosphäre der Unruhe entstehen lässt. Apropos IDM: Autechre-Fans könnte interessieren, dass Aroents Idee der drei kontinuierlichen Clap- und Snare-Sounds im Titeltrack von Autechres „LCC“ inspiriert ist – ein Stück, in das Tsatsis, wie er selbst sagt, „in seinen frühen 20ern verliebt war.“ Ploys Remix von „Say“ lässt den Beat dann schließlich durchgehend rollen und swingen und überführt die Wildheit des Originals in breit grinsende Entspanntheit. Mathias Schaffhäuser
Konduku – Gelgit EP (Nous’klaer)
Ein feinmaschiges Netz an körniger Perkussion groovt polyrhythmisch zu Beginn des Titeltracks der Gelgit EP des in Berlin ansässigen DJs und Produzenten Konduku. Dem für seine vielschichtigen Sound- und Rhythmus-Studien bekannten Künstler gelingt auch hier das feinfühlige Wechselspiel von Percussion und Melodie. Schleichend schält sich dieses langsam heraus, um in einem endlosen Klang- und Rhythmusfeld mit nur unmerklichen Veränderungen zu zerfließen.
Der zweite Track mit dem ungewöhnlichen Titel „Antippen” beginnt hingegen mit einem markanten Drum-Pattern, jedoch liegt der Fokus nun vermehrt auf der Verbindung von Bass und Bassdrum, die von Hihat und Snare ergänzend begleitet werden. Dazu gesellt sich ein technoider, konstant erklingender und unmerklich verändernder Synth-Bass, der das Zentrum des Stücks bleibt, auch wenn um ihn herum die Drums florieren und sich zunehmend gewohnten Techno- und House-Drum-Sequencing annähern. Die gesamte Soundpalette auf dieser EP klingt wunderbar klar und frisch und die Drums ungeheuer dynamisch und menschlich – fast schon so, als hätte Altmeister Ricardo selbst die Drums per Midi-Schlagzeug eingeklopft. Vincent Frisch
Parris – South of South West Waves/ Dreaming of Sunflowers (Peach Discs)
Der Londoner Produzent Dwayne Robinson alias Parris hat in seiner Musik, wie sein Kollege Call Super, mit dem er das Can You Feel the Sun-Label betreibt, die Clubkonventionen gern mit Ideen angereichert, die auf den ersten oder zweiten Eindruck verwirren können. Rhythmen der Bassmusik, an sich schon vertrackt, haben bei ihm meistens einen sonderbaren Dreh extra. Da mag seine EP für Peach Discs überraschen, stürmt sie doch mit „South of South West Waves“ ziemlich geradeaus voran. Wobei das bei genauerem Hinhören eine komplexe Herangehensweise an den Beat keinesfalls ausschließt, vermutlich ist dies einfach ein Beispiel für Parris in dezidiert sommerlicher Stimmung. Ein zu der Platte von ihm veröffentlichtes Gedicht legt das nahe. Eine ansteckend euphorische Wirkung lässt sich zudem nicht bestreiten. Und wer das trotzdem zu „normal“ finden sollte, findet auf der B-Seite die Dinge wieder stärker in der gewohnten scheinbaren Unordnung. Tim Caspar Boehme
Stelios Vassiloudis – Saudade EP (Apparel Tronic)
Seit den frühen Nullerjahren veröffentlicht der griechische DJ, Musiker und Produzent Stelios Vassiloudis elektronische Musik. Mit Pseudonymen wie Stel oder in Gemeinschaftsprojekten wie Tannen widmete er sich meist progressivem House und Trance. Unter seinem bürgerlichen Namen schaute der Athener in den letzten Jahren über den Tellerrand seiner Lieblingsgenres hinaus und addierte Acid, Ambient, Breakbeat oder Techno zu seiner Formel. So auch auf Saudade, seiner jüngsten EP für das italienische Label Apparel Tronic. Nach Weltschmerz der lusophonen Form klingen seine Produktionen nicht. Der EP-Opener „Back To“ zieht eher sonnig mit 2Step-Rhythmen an, bevor er in einen Garage-Tune voller klassischer Breaks, Samples und Synthlines zusammenfließt. Es folgt „Longing For Nothing“, der der klassischen Dramaturgie einer Breakbeattune folgt: ein langsamer Ambient-Aufbau gleitet spielerisch in sanft pulsierende Bassschleifen, die sich an einer dubbigen Klang-Atmosphäre aufreiben und zum Ende in einem Amen-Break-Inferno soulig untergehen. Es folgt Downbeat unter dem Titel „No Answer“, ein Track, der an den Lemon-D-Tune „Urban Style Music (90 BPM Reprise)“ vom 1997er Metalheadz Boxset erinnert. Dann „W5“, ebenso Downtempo, aber fruchtiger, mit durchgehend lässiger Dub-Glasur. Der epische Tune „Waves“ markiert das Ende einer Retro-EP, die durch und durch modern klingt. Erneut pulsierender Tech-Downbeat-Dub. Diesmal mit Rhythmen, die an die ruhigen, jazzverliebten Arbeiten von Ricardo Villalobos erinnern. Was alle Tracks eint, ist der fesselnde Spannungsbogen der EP, die handwerklich exzellent produziert ist, ohne menschliche Impulse auszuradieren. Michael Leuffen
Viikatory – Based On Your Listening History (RAIDERS)
Schon ihre Maiden-Voyage-EP im vergangenen Jahr war ein Wunderhorn knalliger Electro-Tracks, nun legt die belarussische, in Berlin lebende Viikatory nach. Auf Based On Your Listening History geht es weiter mit „Lesson 1“, einem Orgelbanger, der wahrlich Geschichtsklitterei betreibt. So hat nie etwas geklungen und so darf auch nichts klingen: ein samtiger Orgelgroove, eingebettet in einen Uptempo-4/4-Beat, der jedoch immer wieder durchquert wird von Breaks. Dann das Titelstück mit Boom-Bass, Handclap, Aufforderung zum Hinternschütteln. Alles wie aus dem Booty-Bausatz, und doch alles niederschmetternd fonky! „Assigned To Main Mix“ peitscht weniger durch, sucht die Wahrheit eher in den Räumen zwischen Clonks, hochgepitchten Anfeuerungsrufen, und all den schönen 808-Klängen. Diese HiHats! Die beschleunigte EP endet mit „From 00“ und, weil es so schön ist, wieder mit Breaks, die 4/4-Beats überqueren – und einem samtigen Orgelsound. Christoph Braun