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Bei der vierten Ausgabe des Epizode Festivals auf der vietnamesischen Insel Phu Quoc feiern Raver*innen aus 96 Nationen. Aber ist das Backpacker-Paradies wirklich der richtige Ort für den Exzess? Philipp Cerfontaine war für GROOVE vor Ort und hat sich über Struktur und Geschichte des elftägigen Festivals informiert.
Eine kleine Insel im Süden von Vietnam, weit ab vom Techno-Schuss, und von Metropolen wie Bangkok oder dem ehemaligen Saigon, wo zumindest eine kleine Szene der elektronischen Musik vorzufinden ist. Das weckt Befürchtungen. Verirren sich am Ende nur ein Haufen Backpacker nach Phu Quoc, die zufällig in der Nähe sind und Elektro für House halten? Wer aus Europa kam und den Jahreswechsel hier feiern wollte, der musste eine immens lange Anreise auf sich nehmen. Der erste Gang über das Festivalgelände, das nicht mehr und nicht weniger ist als ein wunderschöner Strand, zerstreut die Sorgen, dass die Crowd allenfalls aus einem bunten Haufen von Zufallsgästen besteht.
Wer da ist, und das fällt sofort auf, kam nicht nicht trotz der Musik, sondern wegen ihr. Manch einer saß dafür 20 Stunden im Flieger ab, Brasilien oder Ecuador liegen eben nicht um die Ecke. Ein paar Deutsche, vor allem Berliner, haben auch den Weg gefunden. Wie Max und Katja. Das Pärchen überwintert in Südostasien, die Anreise war also verhältnismäßig kurz. 430 Euro haben sie jeweils für einen 11-Tage-Pass hingelegt, für ein Tagesticket werden mal eben 80 Euro aufgerufen. Das ist die Hälfte des durchschnittlichen Monatsgehalts eines Vietnamesen, was erklärt, warum Einheimische hier nicht auf dem Dancefloor tanzen, sondern an der Bar daneben arbeiten. Die Longdrinks, die sie mixen, können sie sich kaum leisten, sie kosten umgerechnet sieben Euro, die Falafel-Pitas, Hummus-Sandwiches und Cheeseburger an den zwei Essensständen liegen auf einem ähnlichen europäischen Niveau.
Max und Katja finden die Preise in Ordnung. Um ihre Unterbringung mussten sich die beiden selbst kümmern, eine Camping-Area wie man sie von Festivals in Europa kennt, gibt es nicht. „Wir haben ein ruhiges Hostel gefunden, das rund acht Kilometer entfernt liegt.”, sagt Max. „Pro Nacht zahlen wir umgerechnet um die 20 Euro, was ok ist. Nervig ist nur die Fahrerei.” Vereint im Pendeln, muss das Paar wie alle anderen erst ins Taxi steigen oder einen Motorroller leihen, was angesichts des Zweirad-Meers vor dem Eingang die offensichtlich gängigste Variante ist. Einen Shuttlebus gibt es nicht. Ebensowenig Hotels in unmittelbarer Nähe des Festivalgeländes, dafür viele Baustellen.
Das Gros der Besucher ist schwer einzuschätzen. Am Ende der elf Festivaltage werden auf dem Epizode Menschen aus 96 Ländern nebeneinander getanzt haben. Und miteinander. Das Gefühl in einer Feier-Enklave am Ende der Welt gestrandet zu sein, lässt Gruppen entstehen, die so spontan wie international sind. Europäer treffen auf Asiaten treffen auf Latinos. Das Epizode kreiert Vielfalt, die für so ein kleines Festival beeindruckend ist, und die in dem Paradies-gleichen Ort die Stimmung zu potenzieren scheint. Mit der Konsequenz, dass man sich nicht wie auf einem Festival fühlt. Sondern wie auf einer ausgeuferten Strandparty, auf der endlich vernünftige Musik läuft.
Auch viele Russen sind gekommen, was wenig überrascht, wenn man sich die Geschichte des Festivals näher anschaut. Herausgeschält hat sich das Epizode aus dem Kazantip-Festival, jenem vier Wochen-langen Dauer-Rave, der bis zur Annexion der Krim durch Russland allsommerlich in der Ukraine abgehalten wurde. Ein Versuch, mit dem Kazantip in der Folge auf eine Insel in Kambodscha umzuziehen, wurde in letzter Sekunde von den lokalen Behörden verhindert.
Ein Teil der Veranstaltergruppe tat sich daraufhin mit dem inzwischen geschlossenen Moskauer Club Arma17 zusammen. Das Ziel: etwas Neues aufziehen. Das Setting sollte dabei möglichst kongruent sein mit dem des Kazantip: das Meer in Tanzweite, Palmen und Party ohne Pause. Die Insel Phu Quoc in Vietnam brachte all das mit sich, das Epizode fand ein Zuhause – mit einer Kulisse, die man schöner nicht malen kann, dazu elf Tage nonstop Musik auf vier Bühnen.
Und dann trommelt diese kleine Strandparty solch große Namen zusammen: Ricardo Villalobos, Jamie Jones, Carl Craig, Moodymann, Loco Dice, Apollonia, dazu ein Giegling-Showcase, bei dem die Französin Molly eines der besten Sets des Festivals spielt. Auch wenn die 12.000 Besucher dieses Jahr einen Rekord darstellen, man fragt sich, wie die Veranstalter*innen die Kosten für ein dermaßen großes Staraufgebot amortisieren wollen. Eine Frage, die ich gerne den Macher*innen gestellt hätte. Für ein Interview stand Natascha Rogal, Epizode-CEO, während des Festivals aber zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung. Dafür erfahren wir hinter vorgehaltener Hand, dass das Geld aus der Event-Kasse eines reichen russischen Unternehmers kommen soll, dem in der Heimat angeblich eine Reihe von Clubs gehören. Das Credo: Verlust heute – als Investition für morgen.
Das Potenzial des Epizode ist unbestritten, und mehr Kapazität hätte das Gelände problemlos. Die vier Bühnen werden bis auf die Silvesternacht kein einziges Mal gleichzeitig bespielt. Dafür fehlen schlichtweg die Massen, was besonders tagsüber sichtbar wird, wenn das Festival trotz Nonstop-Musikprogramm an einen verlassenen Badestrand erinnert, in dessen Sand man höchstens über ein paar Raver*innen von gestern stolpert. Voller wird es, wenn überhaupt, lange nach Sonnenuntergang. Aber selbst dann ist der Weg zu den WCs, die in großen Containern untergebracht sind, nie eine Qual, sondern überraschend entspannt. Und dennoch könnte der Ort, der das Epizode so einzigartig macht, dem Festival gleichermaßen zum Verhängnis werden. Die Insel liegt einfach nicht auf dem Weg, es dürfte schwierig werden, im fünften Anlauf ein größeres Publikum anzuziehen.