Foto: Stanislav Tolkachev (Dasha Rush)
Anfangs noch unter dem Namen Dasha Russia unterwegs, machte sich Dasha Rush bereits ab den Neunzigern als Techno-DJ einen Namen. Besonders bemerkenswert an der Künstlerin, die in der Sowjetunion aufwuchs und den Systemwechsel sowie den Fall des Eisernen Vorhangs in Moskau hautnah miterlebte, ist ihr unermüdlicher Arbeitseifer auf verschiedensten Gebieten. Zwischen psychedelischen Kunstprojekten und energetischen DJ-Sets deckt sie eine kaum vergleichbare Bandbreite ab. Wieso sie sich in mehreren Disziplinen versucht, wie ihre Periode mit ihrer Kreativität zusammenhängt und wo sie die Trennlinie zwischen Kunst und Anbiederung zieht, erklärte sie uns in einem Park in Friedrichshain.
Auf die klassische und wenn überhaupt mäßig kreative Einstiegsfrage, wie Künstler*innen das erste Mal mit elektronischer Musik in Berührung gekommen sind, erhält man in der Regel auch entsprechend erwartbare Antworten. Deren Gehalt speist sich dann in der Regel aus obskuren musikalischen Genres und nicht aus derem Entdeckungsprozess. Die gut sortierte Plattensammlung der Eltern oder der näheren Verwandtschaft war verantwortlich dafür, dass man schon als Kind mit Funk und Soul in Kontakt gekommen sei, antworten aufstrebende House-DJs etwa gerne. Beliebt auch: Abhängen oder Arbeiten im Plattenladen während der Adoleszenz. Bei Dasha Rush verhält sich das aus zwei Gründen grundlegend anders: Im Moskau der Sowjetunion hat sie in ihren Teenagerjahren keinen freien Zugang zu westlicher Musik, und als der Eiserne Vorhang schließlich fällt, geht es ohne Abtastphase sofort ins Epizentrum der Raves, die nach und nach wie Pilze aus dem Boden schießen und für die russische Jugend Musik und Körperlichkeit auf eine vollkommen neue Weise verbinden.
„Das war etwas Neues, was ich noch nie zuvor gehört hatte. In meinem Bezirk in Moskau hatten wir eine kleine Diskothek, wo wir Tapes spielten. Ich legte da halt Sachen von Björk auf oder so. Als ich mit 14 aber auf meinen ersten Rave ging, es gab ja keine Altersbeschränkung, war das komplett neu und anders. Das war der erste große Einschlag. Wir waren einfach erschlagen von der schieren Masse an Sounds”, konstatiert sie in einem Park in Friedrichshain nahe ihres Studios. Das physische Moment dabei war für die Bevölkerung extrem wichtig, mussten während der Sowjetunion schließlich selbst die Besucher von Rockkonzerten möglichst regungslos auf ihren Sitzen verharren. Die Konzertszenen im Film Leto, der die russische Rock-Ikone Wiktor Zoi porträtiert, verdeutlichen diese skurrilen Umstände eindrucksvoll, obwohl der ansonsten gar nicht so gut sei. „Es war einfach ein Freiheitsgefühl. Die ersten Raves waren so eine befreite und romantische Erfahrung für viele Leute, die ich kenne – mich natürlich eingeschlossen. In Russland wegen der ganzen Unterdrückung wahrscheinlich noch mehr als beispielsweise im UK.”
Für das Interview nimmt sie sich eine Auszeit von ihrem neuesten Projekt, Aurora Cerebralis, in dessen Rahmen sie gemeinsam mit dem Bildenden Künstler Alex Guevara versucht, Hirnaktivitäten und neuronale Abläufe audiovisuell zu verarbeiten. In ihrem Schaffen vereint sie ohnehin verschiedenste Register. Druckvollen, doch mit bedacht gespielten Techno bei der letzten Ausgabe des Nachtdigitals, noisige Dronescapes, die eine Cello-Improvisation begleiten, zum Opening des Krake-Festivals oder die basslastige, grollende Untermalung einer alten islamischen Traditionen entlehnten Tanzperformance in der Halle am Berghain. Dasha Rushs Hunger nach Neuem ist unersättlich. Immer wieder experimentiert sie in verschiedensten musikalischen Bereichen. „Manche ballern gerne ihr Set auf den Floor, haben keine weiterführenden Interessen und das reicht ihnen dann. Ihre Entscheidung. Generell glaube ich aber, dass es als Mensch schon wichtig ist, offen für Kultur zu sein. Das muss kein intensiver Prozess sein, aber hin und wieder etwas zu lesen oder in eine Ausstellung zu gehen, ist sicher nicht schlecht.”
„Ich glaube nicht, dass wortlose Musik politisch sein kann. Es gibt keine politischen Basslines.”
Obwohl sie diesen Satz sehr zurückhaltend und mit dem gebotenen Respekt gegenüber ihren Kolleg*innen formuliert, merkt man doch, dass ihr Anspruch an eine*n Künstler*in sich nicht im Hin-Und-Wieder-Etwas-Lesen erschöpft. Entgegen kulturchauvinistischer westlicher Vorstellungen profitierte die junge Dasha nämlich gewissermaßen durchaus von ihrer teilweise ärmlichen Kindheit in der Sowjetunion. „Manchmal hatte ich eben kein Essen, aber das war nicht unüblich. In der Schule gab es ja was. Meine Eltern kündigten das dann an und es wurde akzeptiert. Wenn es im Geschäft nichts gab, half dir auch Geld nichts.” Trotz gelegentlicher Hungerleiden und einer starken Zensur kultureller Inhalte erschloss sie sich mit anderen Jugendlichen nämlich kreative Freiräume. Diese waren von monetären Aspekten stets entkoppelt, weil diese schlicht nicht existierten. Dasha und ihre Freund*innen widmeten sich früh Performancekunst und Musik, weil ihnen – so dogmatisch es klingen mag – ihr Entstehungsprozess am Herzen lag. „Materialismus blieb mir immer fremd. Sachen zu besitzen lag mir fern. Ich bin, ehrlich gesagt, schon dankbar dafür, dass mir diese Einstellung eingeimpft wurde.”
Politik und Menstruation
Logischerweise ändere sich das mit dem Alter und dem Damoklesschwert, das über allen gefragten DJs schwebt: dem stressigen Touralltag. Das Verlangen nach Komfort manifestiert sich bei ihr aber eher nicht in Bedingungen, die den zuständigen Bookern die Schweißperlen auf die Stirn treiben, wie zugebuchten Spa-Aufenthalten oder Suiten, sondern etwa in gut organisierten Taxifahrten zum Flughafen. Solche störenden Nebenkriegsschauplätze ordnet Dasha Rush rigide ihren künstlerischen Erzeugnissen unter. Ob die Zeit in der Sowjetunion sie auch darin beeinflusst habe? „Nein, das kann ich nicht sagen. Das liegt vor allem auch daran, dass meine Musik in keiner Weise politisch ist, vielleicht irgendwie unbewusst, das bemerke ich aber nicht. Ich glaube auch nicht, dass wortlose Musik politisch sein kann. Es gibt keine politischen Basslines, wie ich gerne sage.” Musik mit politischen Botschaften zu füllen, funktioniere nur über Vocals, Samples oder auch die Titel der Tracks. Und der Produktionsansatz von Underground Resistance und das ewige Musterbeispiel für rücksichtslose kapitalistische Verwertung seitens der Musikindustrie, Knights Of The Jaguar? „Klar, dem Track wird im Nachhinein einiges an politischer Bedeutung beigemessen. Da geht es aber um die Stimmungslage, die er danach erzeugt hat. Diese Sachen haben ja funktioniert, weil man die Philosophie dahinter betont und das so kommuniziert hat. Ihre Musikalität wird aber kaum politisch sein.”
Wenn die Kindheit im sowjetischen Moskau diesbezüglich überhaupt Auswirkungen auf Dasha hatte, dann vielleicht in der Art, wie sie sich Kunst generell annähert. Obwohl sie das Politische ex- und implizit im Gespräch immer wieder thematisiert und darüber gerne zu reden scheint, widmet sie sich in ihrer Musik vorzugsweise inneren Prozessen. Diese erkunden vor allem biologische und emotionale Aspekte, zeichnen ein „umfassenderes Bild”, haben mit etwas Metaphysischem zu tun. Sätze, die, so skizzenhaft ausgestoßen, erstmal etwas beliebig, womöglich gar prätentiös klingen. Hört man sich aber stichprobenartig durch ihre extensive Diskografie, durch etliche EPs und drei Alben, versteht man, was die Russin damit meinen könnte. Ihre Veröffentlichungen schwanken zwischen durchdachtem wie marschierendem Techno und teilweise zahmen, immer die Bewusstseinserweiterung anstrebenden Ambient-Epen. EPs wie Relativismi von 2011 auf der einen Seite, Veröffentlichungen wie Timid Ocean Drawings von 2014 oder das programmatisch betitelte Album Sleepstep. Sonar poems for my sleepless friends von 2015 auf der anderen.
Besonders letzteres, das dem Begriff des Konzeptalbums tatsächlich gerecht wird, beschäftigt sich mit den von Dasha Rush immer wieder als Inspirationsquelle genannten inneren Prozessen. Das Album orientiert sich am Zustand des Wachschlafs und thematisiert eingehend die Träume der Interpretin, die laut eigener Schilderung in großer Häufigkeit und ungewöhnlich lebhaft auftreten. Auch sonst eignet sich das zurückgenommene Werk als knapp 75-minütige Spiegelfläche der Arbeitsweise Dasha Rushs: literarische und popkulturelle Bezüge wie etwa die zu Edgar Allan Poe oder drogenaffinen Beatles-Songs, allerlei surrealistische Welten, die sie aus dem Nichts entwirft und eindringlich geflüsterte und gesprochene Sentenzen auf Englisch und Französisch. Vocals tragen für sie einen wichtigen Teil zur Atmosphäre bei, insbesondere wenn ihnen ein lyrischer Charakter innewohnt: „Ich schreibe gerne kleine Gedichte. Singen kann ich allerdings nicht. Ich kann Sachen nuscheln, für mehr fehlt mir allerdings die Stimme. Deswegen nutze ich das gesprochene Wort. Das kann Lyrics aber auch interessanter machen, weil da mehr Intimität im Spiel ist.” Überhaupt verleihe die Stimme, das Menschliche, Tracks eine ganz neue Dynamik, weil Leute darauf nunmal stärker reagierten. „Die Tram hinter dir wird nicht das auslösen, was eine Stimme vermag”, gestikuliert Dasha ruckartig in Richtung Straße.
Auch die biologische Facette der inneren Prozesse dient ihr bei der Musikproduktion als Triebfeder. Schon in früheren Interviews erklärte sie, dass die weibliche Psyche sie extrem fasziniert. Das liege vor allem an der Kopplung mit dem Menstruationszyklus, der sich unmittelbar auf die Emotionen einer Frau auswirkt. „Da ging es mir nicht darum, zu sagen, dass ein Geschlecht besser sei als das andere. Sie sind nur verschieden. Bei Frauen gibt es ganz andere Verhaltensmuster. Eine Woche vor der Periode hasse ich beispielsweise die Welt. Ich bin extrem sensitiv und fühle mich von vielem angegriffen. Das beeinflusst auch meine Musik. Die ist zu dem Zeitpunkt noch ganz anders; dunkler, intensiver, nervöser oder so. Danach bin ich dann total friedfertig und liebenswürdig. Mich stört dann nichts mehr. Das haben Männer eben einfach nicht.” Die Periode als Gefühlsverstärker – nicht gerade eine brandneue Erkenntnis der Medizin, trotzdem aber ein oft vernachlässigter oder schlicht totgeschwiegener Fakt. Das Hermetische an diesem Zyklus, dass man aus ihm nicht ausbrechen kann, darin liegt für sie ein fundamentaler Unterschied zwischen den Geschlechtern. Diesen offensiv zu betonen, das dezidiert Weibliche als Nährboden ihrer Kunst zu verstehen, ist ein zentrales Credo Dasha Rushs.
Noch immer diskutieren wir ihren Kunstbegriff, stoßen langsam zum Kern, zur Unterscheidung zwischen Kunst und Anbiederung vor. Je länger das dauert, desto vehementer und ausladender gerät Dashas Gestik. Mit einer Hand scheint sie einen Gedanken, der im Begriff ist, ihr zu entgleiten, festzuhalten, mit der anderen malt sie hektisch konzentrische Kreise in die Luft, während sie in modellhafter Manier erklärt, was eine*n Künstler*in für sie ausmacht. „Man ist als Künstler*in ein subjektiver Filter der Information, die man aufnimmt, ganz egal, um was es sich konkret handelt. Diese Information fließt durch dich durch und nachher gibst du sie, gewissermaßen wie einen Bumerang, wieder zurück. Bei manchen Leuten, denen es beispielsweise wichtiger ist, gemocht zu werden, bleibt sie einfach im Körper stecken und es erfolgt kaum ein intellektueller Prozess, eine Verarbeitung. Das trifft auf diejenigen zu, die Techno machen, weil er gerade en vogue ist.” An dieser Stelle bröckelt die immer wieder betonte Leben-und-leben-lassen-Mentalität ausnahmsweise. Nicht viel vermag sie aus der Ruhe zu bringen, Leute, die aus den falschen Gründen – auch hier ließe sich der Materialismus wieder anführen – Musik machen, aber schon.
„Es gab immer Probleme mit mir. Manchmal bin ich nicht zum Shooting aufgetaucht, einmal hat mich Karl Lagerfeld gefeuert.”
Einen konkreten Adressaten findet ihre Ablehnung tatsächlich nur einmal; obwohl sie das Politische wiederholt meidet, kommen wir doch immer wieder darauf zu sprechen. Vom Boykottaufruf, den das antiisraelische Bündnis BDS – DJs wie The Black Madonna, Ben UFO oder Four Tet schlossen sich der Bewegung an – gegen Clubs wie Golden Pudel, About Blank oder Conne Island feuert, zeigt sie sich wenig angetan. „Das ist fürchterlich! Komm’ schon. Ich denke nicht, dass man Leute in dieselbe Schublade stecken sollte. Gerade dann nicht, wenn man die Philosophie von Raves beherzigt. Ich werde doch nicht jemanden aus Israel dafür beschuldigen, dass seine Regierung kacke ist. Dann muss ich das mit Russen und Amerikanern ebenso tun.” Auch ihren unersättlichen Hunger nach Selbstbestimmung würde der BDS unterminieren, weil er und seine Mitglieder anderen ihre politische Haltung aufzwängen. Die DJs, die sich dafür engagieren, hätten womöglich bestimmte Überzeugungen, die sie natürlich vertreten dürften. Doch: „Das ist zu viel. Persönlich glaube ich, das ist einfach nicht richtig.”
Modeln in Paris als Mittel zum Zweck
Auch musikalisch schätzt sie Selbstbestimmung als ein hohes Gut. Nicht zuletzt deswegen gründet Dasha um die Jahrtausendwende gleich zwei Labels – Hunger To Create, wieder so ein vielsagend gewählter Name, und Fullpanda – Freunde aus Japan verglichen sie häufig mit dem asiatischen Bären. Dass eine Künstlerin ihr eigenes Label gründet, ist in der Techno-Szene erstmal nichts übermäßig Besonderes; Dasha Rushs Weg dahin aber allemal. Bei einem der frühen Raves in Moskau läuft sie einem Modell-Agenten über den Weg, der ihr sein Kärtchen zusteckt. Sie habe das eher weniger gekümmert, ihre Eltern hingegen umso mehr. So kam sie im zarten Alter von 16 Jahren über My Techno Thing, wie sie es nennt, zum Modeln und zog 1996 nach Paris. Die große Liebe zwischen dem Laufsteg und der jungen Dasha wollte sich aber nie so recht einstellen. „Ich habe nie von einer Karriere geträumt – das hat mich überhaupt nicht angezogen. Mit 18 spielte ich Gabber-Partys und Hardcore und bin nach den Raves stinkend und schmutzig bei den Castings aufgetaucht. Mit absoluten Panda-Augen. Die Agenten meinten dann, dass ich das nicht bringen kann. Ich sollte frisch aussehen und die Designerklamotten nicht verschwitzt anprobieren. Es gab immer Probleme mit mir. Manchmal bin ich nicht zum Shooting aufgetaucht, einmal hat mich Karl Lagerfeld gefeuert.”
Fortan lebte sie den Traum, den viele junge Frauen in diesem Alter haben. Der aber fungierte für sie tatsächlich nur als Mittel zum Zweck: „Es hat gut funktioniert! Ich habe Geld bekommen und mein Künstler-Ding gemacht, alles lief die ganze Zeit parallel. Außerdem konnte ich andere Teile der Welt sehen und mein Land verlassen. Mit einem russischen Pass ging das ja nicht. Das hat definitiv eine Rolle gespielt.” Von Russland nach Paris und über das Modeln in die große weite Welt hinaus – klingt nach den fadenscheinigen Versprechungen einer PRO7-Castingshow, hat in diesem Fall aber tatsächlich funktioniert. Russland selbst besucht sie nur noch selten, die letzte Tour in ihrem Heimatland absolvierte sie Mitte der Zweitausender. „Ich habe da in Städten gespielt, die ich noch nie gesehen hatte”, schildert sie lachend. Ein Auftritt war sehr speziell, der in Joschkar-Ola. „In dem örtlichen Club dort waren hauptsächlich Prostituierte oder Frauen mit Highheels und falschen Brüsten, die sich nach einem reichen Mann umsehen. Das ist in diesem Fall kein Klischee. Da drinnen spielte sich dann die reinste Tragikomödie ab.” Kurz vor ihrem Gig traf sie den Besitzer, der sie fragte, ob sie nicht einen bestimmten russischen Popsong für ihn spielen könne. „Was sollte ich sagen außer Nein? Die hatten mich schließlich für ein Live-Set gebucht.”
Damit aber noch nicht genug der skurrilen Momente: „Als ich dann anfangen wollte, kam ein Typ zu mir und meinte, ich solle kurz warten, es gäbe noch eine Show. Na ja, ich fing dann an zu spielen, und plötzlich kamen diese Stripperinnen raus. Ich habe ja nichts gegen Striptease, aber das war so surreal! Da waren wohl so 50 junge Leute, die extrem abgingen. Im hinteren Teil des Clubs stand das Stammpublikum, das mit der Situation überhaupt nicht klarkam. Höchsten Respekt aber an die Damen, die versucht haben, zu meinem Set zu strippen. Irgendwie fand ich es nämlich gut, auf 160 BPM raufzugehen, die mussten also dann einen Zahn zulegen. (lacht) Die haben das aber echt eine Stunde durchgehalten, Wahnsinn. Die ganze Szenerie war einfach so komisch: das junge Publikum, diese Art regionale Mafia, die Stripperinnen – wie ein soziales Experiment!” Seitdem haben sich Dasha Rushs Bookings freilich signifikant geändert. Regelmäßig bespielt sie gut gefüllte Dancefloors in namhaften Clubs wie dem Berghain oder auf allen vorstellbaren kleinen wie großen Festivals. Diese, vor allem die Größeren, nimmt sie als nette Option wahr, die sie aber nicht für notwendig hält. Schließlich gehe dort alles Swipe, swipe, swipe, wie sie mit gesprochenem Wort einerseits, abrupten Gesten andererseits zu verstehen gibt.
Das Problem mit den Decksharks
Aus der Ruhe bringt sie der Techno-Zirkus mit all seinen unwägbaren Begleiterscheinungen aber nicht. Das vermögen nur die Haifische, die sich bei jedem Set renommierter Künstler*innen verlässlich um die Decks tummeln. „Das ID-Ding nervt mich echt, dieses ständige Nachfragen. Es geht gar nicht darum, dass ich die Musik nicht teilen will. Aber wenn jede Minute jemand kommt, echt mal! Das pisst mich vor allem an, wenn Leute richtig dreist werden. Die geben dir zum Teil ihr Handy, damit du deinen Track eintippst.” Diese Mischung aus mangelndem Respekt und unverhohlenem Kopieren lässt die Russin gegen Ende des Interviews dann doch noch leicht, aber spürbar in Rage geraten. Dieses Verhalten steht dem Naturell einer möglichst eigenständigen Künstlerin diametral entgegen. Inspiration sucht man sich in ihrer Welt nicht, man bekommt sie. Weshalb es Dasha Rush auch schwerfällt, tatsächliche Einflüsse zu nennen. Klar fände sie Oscar Mulero als DJ gut, oder auch die ambienten Klanglandschaften Kara-Lis Coverdales. Ihr Lieblingskomponist sei György Ligeti: „Der Typ ist einfach verrückt gewesen, die 100 Metronome, Wahnsinn!”
Momentan, erwähnt sie zum Abschluss noch beiläufig, versuche sie, sich das Kompositionsprinzip der Fuge beizubringen. Sie glaube fest daran, dass jede*r Künstler*in irgendwann ein Meisterwerk veröffentlichen wird, entschuldigt sich im selben Atemzug für ihr „Blabla”. In der Tat, von der Kindheit in der Sowjetunion über einen abstrakten Kunstbegriff hin zur Diskussion politischer Inhalte ist es ein äußerst kurviger Weg. Den füllt sie aber keineswegs mit leeren Phrasen oder Allgemeinplätzen. Vielmehr wirkt es so, als habe die Enddreißigerin zu wirklich jedem Thema etwas zu sagen. Als wir nach über einhundert Minuten Gesprächszeit den Park verlassen, steht jedenfalls eines fest. Dasha Rushs Ausmaß an Umtriebigkeit, Vielseitigkeit und Ideenvielfalt reicht für mehr als ein Meisterwerk.