DJ Lag & Okzharp – Steam Rooms EP (Hyperdub)
Die Südafrikaner DJ Lag (selbsternannter Gqom-King) und Okzharp (der 2018 die grandiose Crossover-LP Closer Apart zusammen Manthe Ribane veröffentlichte) haben sich auf Hyperdub zusammengetan – eine schöne Symbiose, die den klassischen Gqom behutsam innoviert. Peitschiger Start: Mit rhythmischen Rufen, zischenden Percussions und spooky Flächen verbreitet „Now What” direkt einen tooligen, schamanischen Gqom-Flair; so weit, so unspektakulär. Dann auf einmal die überraschende Steeldrum in „Steam One”. Ein tropischer Dancehall-Vibe legt sich über die einsetzenden Drums, untermauert von kräftigem Sub-Bass – eine passende Genrevermengung. Dabei bleibt der Dancefloor, ob mit knarzenden, kitschigen Synth-Melodien („Nyusa”) oder im Tech-House-Gqom-Gewand („Sambe”), stets im Sinn. Insgesamt liefert die Steam Rooms EP einen Sound für schwitzige Tanzpartien mit interessanten Ausflügen, die weiterhin mit freudvoller Spannung auf dieses noch junge Genre blicken lassen. Shahin Essam
Johanna Knutsson & Karen Gwyer – Oscillate Tracks 003 (Oscillate)
Johanna Knutsson und Karen Gwyer verstehen Techno und House nicht als fixe Formen mit universellen Vorgaben. Ihr Sound ist nicht festgelegt, auch wenn eine gewisse Vorliebe in der Kombination gegensätzlicher Klänge liegt. Doch innerhalb dieses Rahmens sind die Produktionen der beiden unterschiedlich. Auf Oscillate Tracks 003 sind die Schwedin und die Amerikanerin nun auf einem gemeinsamen Release zu hören. Die A-Seite gehört Johanna Knutsson, die bei den Oscillate-Abenden im about:blank zu Berlin zu einer Art fester Institution geworden ist und dort oft die Closings spielt. Knutsson überraschte in diesem Jahr mit ihrem auf Kontra-Musik erschienenen Album Tollarp Transmission, in dem sie behutsam Klänge zu Bildern schichtet, sodass man Blumen durchs Asphalt brechen oder das Zwitschern von brütenden Vögeln in stillgelegten Fabrikhallen zu hören meint. Erstaunlich war auch ihr Umgang mit dem Groove, in dem sie rhythmische Patterns verwendete, die kaum noch Beat genannt werden können. Davon ist auf dieser 12-inch nichts mehr zu hören. „Hassel” rummst gleich in die Vollen und auch das trancige „Lysmossa”, wenngleich introvertierter, nimmt die 135 BPM des Vorgängers locker auf. Beide Stücken wirken wie Teilstücke eines größeren Ganzen, also aus dem Zusammenhang gerissen, wenngleich die Tracks interessante Brücken in DJ-Sets schlagen sollten. Auf der B-Seite zeigt Karen Gwyer, dass sie rhythmisch per se die Versiertere ist. Schon auf Rembo hat sie 2017 bewiesen, dass sie das Rezept, Aphex Twins süße Melodien mit dem industriellen Maschinenwinter eines William Basinski zu vermengen, beherrscht. „The Way You Drive” schließt hier mit der Leichtigkeit eines Fingerschnippens an. „Caught You” setzt dem Ganzen aber die Krone auf. Gwyer verzichtet hier auf eine durchgehende Bassdrum, gibt dem Zusammenspiel von Hi-Hat und großer Trommel eher den Anschein von Jazz. Ist es aber nicht, sondern Techno. Anspruchsvoll, ohne ins Akademische abzurutschen. Sebastian Hinz
Katerina – Who Am I If I’m Not Me (Tigersushi)
Nach Veröffentlichungen auf Get Physical und vor allem Cómeme erscheint die neue EP von Katerina auf Tigersushi. Und ähnlich souverän wie ihre Labelauswahl baut die in Helsinki lebende Musikerin auch die Story von Who Am I If I’m Not Me über die Reihenfolge der Stücke auf. Wo Kolleg*innen in den meisten Fällen die clubbigen Stücke an den EP-Anfang stellen, beginnt Katerina mit einem kruden Electronica-Stück, lässt darauf eine Downbeat-Indiepop-Nummer folgen, die auch Jessy Lanza gut zu Gesicht stehen würde, und beendet Seite eins mit einem weiteren Listening-Track zwischen Yellow Magic Orchestra und Jan Jelinek. Erst die Flipside zielt dann auf das Bewegungszentrum des Rezipienten: „The White Cat” erinnert an die Geradeaus-Stücke von The Bionaut, „The Way You Are Far” ist flotter Electro’n’Roll, der Suicide- und Dark-Wave-Flashbacks verursacht, und „It’s Too Late” wandelt sich nach einem dezenten Ambient-Intro in einen Techno-Electro-Hybriden jenseits der 130 BPM-Grenze. Tolle EP mit Albumcharakter dank großen musikalischen Horizonts und erfreulicher Unangepasstheit. Mathias Schaffhäuser
Longlost – Take 8 (Honey Soundsystem Records)
Die populäre queere Party-Crew aus San Francisco vereint auf ihrer neuen 12“ die frische Kollabo aus Juan MacLean (Electro-Punk-Pionier und zwei Dekaden voller Releases auf DFA) mit dem in Berlin lebenden US-Produzenten La-4a. Dieser hat sich in den letzten Jahren besonders mit erstklassigen, ungeschminkten Acidhouse-Nummern auf Delft hervorgetan. Bei solch einer von Vorlieben für schroffe Sounds geprägten Historie könnte man eine entsprechend aufgekratzte Platte erwarten; aber schon die ersten paar Takte von Take 8, ihrer gemeinsamen Single als Longlost belehren eines Besseren. Weiche Pads führen sanft hin zu einladend angezupften Chords; alles hüpft mit einer deutlich spürbaren Leichtigkeit vor sich hin. Die zumindest prominente Acid-Reminiszenz schlängelt sich, ebenfalls dem restlichen, zurückhaltenden Tenor angemessen, dankbar und nachgiebig durch den Track. Auf dem Cover vereinen sich in einem Stillleben Blumen-Bouquet, Biker-Lederkappe, exotische Früchte und spielerisch platzierte Acid-Smileys – der Vibe von Take 8 auf den Punkt gebracht. Im Remix spielt Freund & Pianist Kevin Divine seine Instrumental-Stimme mit so viel schwelgerischem Nachdruck, dass diese ganz für sich und ohne elektronische Begleitung auskommt. Honey-Crew-Mitglied Jackie House hingegen nimmt sich das Original zusammen mit Taraval für eine deutlich energetisierendere Version vor, welche mit breiten Bassläufen und ihren zwitschernden Bleeps für eine starke Festival-Nummer sorgt. Leopold Hutter
Mike Storm – Explores The Potential (Symbolism)
Als in den späten Neunzigern aus Michael de Winde Mike Storm wurde, gab es weder Ableton noch Native Instruments. Auch heute, gut 20 Jahre später, verzichtet der Niederländer gänzlich auf digitale Sequenzer oder ähnliche Hilfsmittel, um seinen Sound möglichst authentisch zu halten. Das liegt wohl auch an seinen musikalischen Idolen, den großen Detroit Techno-Magiern Mike Banks und Jeff Mills und deren damaligen Produktionstechniken. Letzterer ist selbst großer Fan von Mike Storm und legt dessen Tracks regelmäßig auf. Verwundert einen eigentlich gar nicht allzu sehr, denn zahlreiche klangliche Parallelen zu frühen Axis-Releases finden sich auch auf Storms neuester EP Explores the Potential wieder. Allen voran die Tracks der B-Seite, „Today and Everyday” und „A Second Thought”, erinnern einen zwangsläufig an bleepy Jeff Mills’ Techno-Meilensteine. Böse Zungen würden das wohl als Stagnation bezeichnen, es sollte allerdings stattdessen als Hommage und Liebeserklärung an eine ganz besondere Zeit und ihren Sound verstanden werden. Treibende Sub-Bässe, träumerische Synth-Modulationen, 808-Handclaps und abwechslungsreiche Percussions sind die Glanzpunkte dieser Flipside. „Subsequent Actions” auf der A-Seite ist dann beinahe schon als Antithese dazu zu verstehen – träumen ist hier nämlich so gar nicht. Sehr, sehr trippy spinnt sich der Track um eine heftige Synth-Zerfrickelung, die wahrscheinlich nicht jedermanns Sache ist und ein bisschen so klingt, wie sich Klaustrophobie anfühlt. Wer diesen Stresstest jedoch überstanden hat, wird mit „Experience of Physicality” eine gelungene Dancefloor-Waffe genießen dürfen. Die packende LFO-Modulation, enthusiastische Cymbals und die generelle Reduziertheit des Stücks lassen einen unweigerlich das Wochenende herbeisehnen. Andreas Cevatli