Foto: Oli Riley (UNUM Festival)
Wie stampfe ich eine funktionierende Festival-Franchise an einem auf der Techno-Landkarte eher exotischen Ort aus dem Boden? Mit dieser drängenden Frage mussten sich die Organisatoren des UNUM Festivals, das im Nordwesten Albaniens im Badeörtchen Shëngjin stattfand, herumschlagen. Der erste Schritt war schnell getan: Eine pompöse Pre-Party in der Hauptstadt Tirana bespielte mit Loco Dice ein Act, der einerseits noch immer genügend Strahlkraft besitzt, um das angepeilte Maß an Aufsehen zu erregen, andererseits auch das musikalische Konzept des Festivals adäquat repräsentiert: Kommerziellere Spielarten von Techno und House, manchmal auch genau in der Mitte zwischen beiden Polen, die sich vordergründig auf der guten Seite des geschmacklichen Spektrums bewegen sollen.
Natürlich braucht man auch einen eingängigen Slogan, der die aus aller Herren Länder einfallenden Besucher auf möglichst simple Weise vereint: Become one erledigt diesen Job zufriedenstellend, insbesondere wenn man ihn mit pseudonaturalistischen Formeln garniert: By becoming One with the four elements of nature that characterize the concept of the festival – the sand, the pines, the sea and the mountains – we want our guests to leave the festival ground with an experience of a lifetime. So schmalzig, so gut. Im Klartext heißt das: Auf dem Festivalgelände, das durchaus malerisch an der albanischen Riviera liegt, gibt es allerhand Sand, eilig implantierte Palmen und diverse Sitzgelegenheiten. Schwimmen im angrenzenden Meer ist tatsächlich zu jeder Zeit möglich, die Berge im Hintergrund bieten eine attraktive Kulisse.
Insgesamt verteilt sich das Geschehen auf drei Bühnen. Auf der Into The Pines-Stage versammelt das UNUM die Künstler, die mit frisiertem Deep House und Big Room Techno noch am wenigsten anfangen können. Am Freitag sorgt hier von 18 bis 20 Uhr die russische Wahlberlinerin Dasha Redkina mit einem gewagt experimentellen Set bereits für ein frühes Highlight. Die Stimmung ist zwar noch lange nicht am Siedepunkt angekommen, die etwa 100 Leute vor der Bühne tanzen sich aber beharrlich warm. Um 20 Uhr ist dann der erste Besuch der Hauptbühne fällig. Wer es unbeschadet an den Aperol Spritz-Ständen mit ungemein aufdringlichem Personal, das seine knallorangen Hüte und Sonnenbrillen an den Mann und die Frau bringen will, vorbei schafft, wird mit einem Blick auf ein aufwendig bemaltes Boot belohnt, auf dem sich ein Großteil der Headliner tummelt. Gerade spielt allerdings Shaun Reeves, der mit seinem mutlosen Sound die Entscheidung für ein Shuttle durch die Hügel zum Hotel zurück und ein frühes Aufstehen für Margaret Dygas am nächsten Morgen erleichtert. Die überdachte Beach-Stage, die sich gegenüber der Hauptbühne befindet, geht leider etwas unter. Hierhin verirren sich an den drei Tagen trotz Sets vermeintlicher Schwergewichte wie Butch, Enzo Siragusa und Adriatique wohl die wenigsten Besucher.
Dygas versteht es am Samstagmorgen, den tanzenden sowie den nurmehr taumelnden Teil des Restpublikums bei der Stange zu halten. Von 7 bis 10 Uhr spielt sie konzentrierten House, den sie mit ein paar Breakbeats und – etwas überkandidelt, aber wohl dem malerischen Sonnenaufgang geschuldet – Saxophon-Samples versetzt. Besonders in Kombination mit dem etwas merkwürdigen Äußeren der Into The Pines-Stage hat das aber durchaus seinen Charme: Die Bühne weckt optisch eher Assoziationen mit einem Psy Trance- oder Goa-Festival, wozu die monströsen Holzpilze, die sie säumen, entscheidend beitragen. Abends lässt Digby vermuten, dass der Slot von 18 bis 20 Uhr, den Tags zuvor schon Dasha Redkina füllte, für die innovativsten Sets des Festivals reserviert ist. Klar gehen Breaks keineswegs mehr als Nischenphänomen durch. In einem 4/4-dominierten Umfeld, das sich musikalisch eher vor als nach 2010 verortet, freut man sich aber trotzdem über die willkommene Abwechslung.
Auch der Rest des Abends überzeugt weitestgehend. tINI meistert ihren Peaktime-Slot auf der gut gefüllten Into The Pines-Stage mit einer vorwärts preschenden Selektion, Headliner Luciano hat auf der Hauptbühne zumindest die Crowd auf seiner Seite. Der Sonntagmorgen ist dann fest in rumänischer Hand: Raresh und Petre Inspirescu wissen genau, was die geifernde Meute von ihnen erwartet und geben es ihr: tanzbare Funktionalität, die ihren Zweck erfüllt und die Grenzen des körperlichen Leistungsvermögens weiter und weiter verschiebt. Die anfängliche Skepsis verfliegt in den Morgenstunden zusehends. Wenngleich stark bezweifelt werden darf, dass die albanische Szene davon übermäßig profitiert, schaffen es die Veranstalter in weiten Teilen doch, ein lohnenswertes Erlebnis auf die Beine zu stellen. Das liegt nicht zuletzt am hohen Anteil an britischen Besuchern, die naturgemäß eine unnachgiebige Party-Mentalität ihr Eigen nennen. Insgesamt präsentiert sich das UNUM als äußerst polyglott. Franzosen, Spanier, Bulgaren, Russen und etliche weitere Osteuropäer belegen eindrucksvoll, dass sich der Techno- und Festivaltourismus jeden noch so abgelegenen Winkel zu erschließen vermag.
Von Erschöpfung ist am Sonntagabend überraschenderweise noch immer keine Spur. Gut so, schließlich stehen die designierten Highlights des UNUM an: Sonja Moonear, Franco Cinelli b2b Ricardo Villalobos, Craig Richards und Zip sollen die Into The Pines Stage für die letzten Stunden zum Kochen bringen. Erstere überzeugt mit einem stilvollen Tech-House-Entwurf – offenbar kein Widerspruch in sich. Cinelli und Villalobos, deren Set eigentlich von 0 bis 7 Uhr anberaumt ist, müssen deutlich früher abbrechen; sintflutartige Regenschauer beenden das Festival jäh. Die Bühne ist zu allem Überfluss auch noch auf abschüssigem Geläuf konstruiert, sodass das Wasser unaufhörlich auf die Tänzer zuläuft. Villalobos begegnet dem apokalyptischen Szenario mit Michael Nymans „Memorial”, während Helfer sämtliche greifbaren Schirme in die Menge tragen. Am Montagabend bringt Zip, der noch einen Tag länger bleibt, das UNUM mit einem routinierten Set im Tanzkeller des nahen Hotelressorts zu Ende, das die Mischung aus organisatorischen Mängeln und sympathischem DIY-Spirit nochmal perfekt auf den Punkt bringt. Albanien und speziell Shëngjin haben als Festivalstandort sicher Zukunft, auch wenn die offiziell kommunizierte Besucherzahl von 8000 Personen über das ganze Wochenende etwas hochgegriffen scheint. Für die zweite Ausgabe bedarf es aber definitiv der Feinjustierung einiger organisatorischer Stellschrauben, beispielsweise einem etwas gewagteren Line-Up oder einer greifbareren Bühnenkonzeption.