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September 2025: Die essenziellen Alben (Teil 1)

Die Mixe aus dem September 2025 findet ihr hier, die Compilations hier.

James K – Friend (AD 93)

Das dritte Album der New Yorkerin James K kommt pünktlich zum aktuellen Revival von Shoegaze und Trip-Hop als Update der alten Schulen, ausgestattet mit ihrer sanften wie präsenten Stimme, die sich nahtlos zwischen komplexen Breakbeats und ausgereiften elektronischen Kompositionen einfügt. Was auf ihren ersten beiden LPs noch ziemlich experimentell, oft noisig und düster-ambient klang, hat sich auf der neuen Platte zu einer Handschrift entwickelt, die ihre hypnotische Stimme in den Mittelpunkt stellt, der Instrumentierung aber genug Raum lässt. Dazu bastelt sie atmosphärische Beats im Sinne von Neunziger-Acts wie den Cocteau Twins oder Boards of Canada, die sich nie ganz linear entwickeln, sondern immer wieder Brüche im Arrangement zulassen. Diese Struktur lässt ihre poppigen, langsam geloopten Vocals durchscheinen, deren Lyrik selten ganze Zusammenhänge aufgreift, sondern eher fragmentarisch neben den Pads und Soundscapes her schwebt. Damit hat James K sich einen neuen, selbstbewussten Sound geschaffen, der auch live funktioniert und etwa auf dem diesjährigen Waking Life in einem der besten Konzerte resultierte. Auf „Idea.2” klingt das mal frickeliger, nach Half-Time-Drum’n’Bass à la Instra:mental; „Play” hingegen ist der wohl poppigste Song, mit Emotionen auf Anschlag, verzerrten Gitarren und klar definierten Vocals und Breaks.

Gerade diese Vielzahl an Ausformungen ihres neuen Stils macht Friend zu einem richtig befriedigenden Album, das von vorne bis hinten Spaß bereitet und auch beim wiederholten Hören begeistert. Leopold Hutter

Loek Frey – Nayan (Omen Wapta)

Was sich schon auf seinen EPs Volve und Avernan aus dem vergangenen Jahr abzeichnete: Der Four-to-the-Floor-Beat dominiert momentan in Loek Freys Produktionen, sein Augenmerk liegt nicht mehr auf beatfreien oder zumindest in Club-unüblichen Groove-Gefilden pulsierenden IDM-Entwürfen. Nayan lässt sich eindeutig unter Techno einordnen und hebt sich dennoch erfreulich von der Masse des Genres ab. Unüberhörbar spielen Freys Einflüsse aus dem Dubstep und dessen vielschichtigen Folgen eine große Rolle. Die Stücke sind schnell, alle überschreiten die 140-BPM-Grenze, auf Seite zwei groovt keines unter 150. Aber durch die nicht vorhandenen Hi-Hats, ergo ohne die treibende Funktion des sonst omnipräsenten Offbeats, nimmt man dieses Tempo anders wahr, gefühlt oft halftime, was den Bezug und eine Parallele zu Dubstep verdeutlicht. Auch da wird die rasende Geschwindigkeit von Jungle durch eine mal offensichtliche, mal eher subtil angelegte Halbierung des Beats modifiziert und entstresst. Wobei es Frey nicht um das Erschaffen relaxter Stimmungen geht; die Atmosphäre des Albums ist durchgehend ernst, ohne in Düsternis abzugleiten. Hier wird nichts beschönigt, aber eben auch nicht schwarzgemalt. Die Sounds sind synthetisch im positivsten Sinn, der Preset-Sound-Baukasten der Techno-Geschichte bleibt zu, die Klangwelt verweist auf dekonstruktivistische Spielarten von Ambient, IDM und Industrial – unter Auslassung des in diesen Genres oft übertrieben dystopischen Sound-Overkills. Das Album kommt auf Vinyl in schwarzem Lochcover mit Info-Sticker – ein sympathischer Verweis auf Techno-Zeiten, in denen die Musik noch im Vordergrund stand. Mathias Schaffhäuser

Lucrecia Dalt – A Danger to Ourselves (RVNG Intl.)

Wo der Name Lucrecia Dalt draufsteht, steckt immer etwas Sonderbares drin. Sogar wenn die kolumbianische Musikerin vordergründig Pop bietet wie auf ihrem aktuellen Album A Danger to Ourselves. Mehr als sonst zentriert sie die Musik um ihre Stimme, und die Nummern folgen in ihrem Aufbau weitgehend Songstrukturen, doch trotzdem kann man nicht sagen, dass die Platte konventioneller geraten sei als ihre früheren. Lucrecia Dalt schreibt ihre Musik mit der Entdeckungslust einer Forscherin, die in Vertrautem stets Unbekanntes aufspürt. Waren ihre früheren Alben vorwiegend elektronisch, verwendet sie inzwischen eine Vielzahl akustischer Instrumente, gespielt von ihr selbst oder ihren Gästen. Die Besetzung reicht von Gitarre, Bass, Perkussion und Streichern bis zum Saxofon. Diese verfremdet sie oder wählt Rhythmen, die auf kaum merkliche Weise komplex sind. So gibt es in jeder Nummer neue Überraschungen, von den eigenwilligen Kombinationen von Klängen über unerwartete Details bis zu abrupten Richtungswechseln im Song. Das alles mit einer Eleganz, die auch abseitige Einfälle völlig selbstverständlich wirken lässt. Produziert hat sie das Album mit der grauen Pop-Eminenz David Sylvian, der im ersten Stück als Gitarrist und mit einer Spoken-Word-Einlage in Erscheinung tritt. Vielleicht wäre dieser Gastauftritt gar nicht nötig gewesen: Dalt hat eine Größe ganz eigener Rätselhaftigkeit. Tim Caspar Boehme

Lukid – Underloop (Death Is Not The End)

Mit Tilt meldete sich Londoner Luke Blair alias Lukid 2023 nach ganzen elf Jahren mit einem Album zurück. Während der Corona-Zeit hatte er in den Computer-Speicher geschaut und sich lange lagernder Tracks angenommen. Tilt klang verspielt, freudig forschend. Diesen Elan nimmt Lukid mit hinein in Underloop. Die meisten Tracks sind beatlos. Die titelgebenden Underloops bestimmen das Klangbild.

Die kaum hörbaren oder zunächst als Atmosphären auftauchenden Schleifen werden durchdekliniert und –variiert, um sich am Ende mindestens einmal in Gestalt und Charakter verwandelt zu haben. Von der konkreten Naturidylle im Titelstück bleibt ein langer, loser Klangfluss. Während „New River” zunächst eine heitere Kalimba dominiert, schließen sich die im Hintergrund piepsenden Teile zu einer beengenden Skyline zusammen. Langes Rauschen, langer Nachhall. Wenn mal ein Beat auftaucht, wie in „Underhand Brokery”, dann funktioniert er nicht als Groove-Instrument, sondern verschraubt sich in den Mitten mit hochgepitchten Stimmen und Flöten zu einem Gesamtthema.

Lukid scheint sich mehr und mehr für neue Formen der Wiederholung zu interessieren. Schließlich kommt er aus dem Beatmaking und hat vor etwa 20 Jahren vor allem instrumentalen Hip-Hop der englischen Schule veröffentlicht. Ein weiter Weg; er lohnt sich weiter. Christoph Braun

Ø – Sysivalo (Sähkö Recordings)

Konstellaatio von 2014 war das letzte Album, das Mika Vainio unter seinem Pseudonym Ø veröffentlichte. Postum erschien danach noch Kiteet mit frühen Archivaufnahmen. Vainios letztes Ø-Album sollte aber Sysivalo werden, an dem er von 2014 bis zu seinem Tod 2017 arbeitete. Das jetzt veröffentlichte Material radikalisiert seinen spartanischen Ansatz auf drastische Weise. Und es führt vor, dass das Können von Musiker:innen sich mitunter vor allem darin zeigt, wie sie mit Leere und Stille umgehen. Waren die Nummern auf Konstellaatio in der Regel länger und von einem leicht knisternden Beat grundiert, reichen Vainio jetzt oft drei Minuten für seine „Etüden”, wie er einen guten Teil der Stücke nennt. Alles erscheint reduziert, Melodien oder Harmonien gibt es allenfalls in Ansätzen, stattdessen dominieren Rauschen, Drones und metallische Klänge. Dass man mit diesen selbst ganz ohne Beat weit heftigere rhythmische Wirkung erzeugen kann, zeigt er in „Etude 5”, in der die Klänge immer wieder unvermittelt abreißen, so als habe die Aufnahme zwischendurch ausgesetzt. Andere Stücke lassen ihre Sounds in stoischer Bewegung rudimentäre Patterns andeuten, die wie von fern herüberhallen. Die Frequenzen, scheinbar sich selbst überlassen, wirken wie auf der Suche, wie wortlose Fragen, die unbeantwortet bleiben. Vainio schafft daraus eine Poesie des Ramponierten, die keine Angst vor Schönheit hat. Tim Caspar Boehme

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