Ösi-Springbreak, Ćevapčići, starke Bookings und Musik rund um die Uhr – diese Assoziationskette passt nur zu einem Festival: Das Lighthouse verstand sich auch in diesem Jahr als Startschuss für die Open-Air-Saison. Maximilian Fritz war Ende Mai vor Ort und hat getreu dem Boutiquefestivalmotto Electronic Music und Vacation zusammengebracht.
Anschlussflüge sind garstige kleine Biester. Einer von ihnen ist an diesem Mittwochabend dafür verantwortlich, dass ich entnervt an der Bar des InterCityHotel Frankfurt Airport sitze und mich mit Querdenker:innen unterhalte, statt die ersten guten Vibes auf dem Lighthouse Festival aufzusaugen. Die Quintessenz unseres Gesprächs: Wasser werde in Deutschland von der Politik künstlich verknappt, um seinen Preis in die Höhe zu treiben, die von der Leyen ist eine Drecksau – und ich verpasse beispielsweise Bennets Set auf dem Beachfloor, auf das ich mich wegen seiner Podcast-Ausgabe gefreut hatte.
Den Flug nach Triest am Donnerstagmittag erwische ich mühelos, die Shuttle-Reise auf die Halbinsel Lanterna läuft bis auf ein wenig Stau reibungslos. Während des Eincheckens warte ich im Poolbereich des Hotel Valamar auf den Schlüssel zu meinem Bungalow. Unweit sitzt eine Gruppe österreichischer Herren mittleren Alters, die nicht zum Feiern, sondern zum Tennisspielen nach Kroatien gekommen sind. Augen- und ohrenscheinlich schon gut beschwipst, lassen sie den jungen Kellner mit lautstarken Kommandos Runde um Runde neue Biere anbringen, was durch und durch chauvinistisch anmutet.

Nun gilt es, meinen Bungalow zu finden. Verschwitzt schiebe ich meinen Trolli über den holprigen Gehweg, an der Pop-up-Party vor dem Bungalow-Komplex Branka vorbei, die gerade in den letzten Zügen steckt. Wo vor zwei Jahren Oliver Koletzki keine halben Sachen machte, reüssiert nun Narciss vor überwiegend jungem Publikum, das sich zwischen den letzten zu Dreck geronnenen Schaumresten vergnügt. Hier tanzt hingebungsvoll jener Feier-Nachwuchs, der den größten Teil der Besucher:innen ausmachen dürfte und der dank eigenem Equipment mit Dauerbeschallung aus den Ferienwohnungen heraus eine Grundatmosphäre zwischen Faszination und Fluchtreflex setzt.

Aus dem Ösi-Springbreak-Getümmel stolpert ein verfeiertes, aber fürsorgliches Schweizer Pärchen, das sich meiner annimmt. „Bro, brauchst du Hilfe?”, fragt mich die männliche Hälfte in ohrenbetäubender Lautstärke. Ich sei auf der Suche nach meinem Bungalow namens Gordana, entgegne ich, unter meinem viel zu warmen Kapuzenpullover inzwischen auf die Hälfte meines ursprünglichen Körpergewichts zusammengeschmolzen. Die Bungalows sind alphabetisch geordnet, meint er. Von Branka bis zu Gordana wäre es also ein kleines Stück. Das Berghain fand er gut, aber nicht so überragend, obwohl er viel von Oscar Mulero und seinem fokussierten Techno halte, erklärt er in hoher Geschwindigkeit. Gerd Janson hingegen habe bei seinem Besuch in der Panorama Bar „richtig Party” gemacht. Wie gut, dass der gleich auf der Hauptbühne spielt. Wir stehen vor meinem Bungalow, ich bedanke mich, der Schlüssel passt.

Vor Janson wärmt mit 11:68PM ein Berliner Act die direkt am Meer gelegene Hauptbühne auf, der im vorigen Jahr bereits den Hauptbühnen-Slot vor Bambounou absolvierte. Mit weißem Hemd, Sonnenbrille und einer gelegentlichen Zigarette manövriert er durch die Booth, gibt dem Festival-Slogan Electronic Music On Vacation ein Gesicht und spielt ein überaus abwechslungsreiches House-Set, dessen Dub-Schlagseite sich mit zunehmender Dämmerung intensiviert. Nach einer herzlichen Umarmung bei der Übergabe schickt sich Gerd Janson an, mit seiner allwochenendlich gleich mehrfach bewiesenen Routine abzuräumen.

Gleiches tut Marie Montexier zur selben Zeit auf dem Beachfloor, den man getrost als gleichförmig pochendes Herz des Festivals bezeichnen kann. Die Kölnerin spielt ravigen Partyhouse und kontrolliert die Crowd, in der der ein oder andere Totem wogt, mühelos. Nach ihr entert mit Dav ein kroatisches Urgestein die Bühne und schiebt für sein Live-Set Ableton-Stems hin und her. Weil eine Show aber immer das ist, was man draus macht, und das ist bei Dav viel, reißt sein funkiger, funktionaler Tech-House mit: Nicht nur sieht er sich eindeutig mehr als Performer denn als Stoiker, sein gesamter Bewegungsablauf ähnelt dem einer Cartoon-Figur mit zu niedriger Framerate: abgehackt, unerwartet, raumgreifend. Das ändert sich auch nicht nach seinem Set, als Dav die Booth unbeirrt weiter frequentiert und wie von der Tarantel gestochen um XDB herumscharwenzelt, der, Stichwort Stoiker, das exakte Gegenteil in puncto Bühnenpräsenz darstellt. Und auch musikalisch wählt der Göttinger einen gänzlich anderen Zugang: Sein Set hat Muße für Melodien, für tiefere Bewusstseinsebenen unter der Kickdrum, teils auch für Melancholie, die sich am feierlastigen Beachfloor ansonsten vor allem mit Vortages-Kater breitmacht. Auch Ateq gibt im Anschluss nicht das kompromisslose Feierbiest: Obwohl sich in sein Set einige (Speed)-Garage-Basslines schleichen, bleibt Raum für Kontemplation, so man diesen um 5 Uhr morgens noch aufsuchen will.

Der Trockenraum, die diesjährige Version der Techno-Bühne Nassraum, am Eingang des Festivalgeländes ist um diese Uhrzeit noch gut besucht. Gelegen ist er mitten in einem Komplex aus Hoteldiskotheken, einem kleinen Supermarkt und der Rezeption, überzogen mit der emotionalen Patina von Osteuropa-Urlauben im Teenageralter. Eine Treppe führt ins Untergeschoss, wo eine lange Bar mit vielen leeren Gläsern die Geschichte einer ausschweifenden Nacht erzählt. Seit 3 Uhr spielen Stenny und Tasha b2b, und nach wenigen Minuten wird klar, warum hier niemand geht. Es dröhnt Techno aus den Boxen, wie er im Idealfall klingen sollte: Zu keiner Sekunde stumpf und stets mit Potenzial zur Überraschung – auch für die beiden DJs, die, so scheint es, selbst nicht ganz glauben können, was sie hier gerade abliefern, und sich kontinuierlich in höhere Sphären peitschen. Die hektisch flackernden Neonröhren an der Decke tun ihr Übriges und verdeutlichen, dass Aufwand betrieben wurde, um eine Hoteldisse zum seriösen Technofloor umzuwidmen.

Nach dem frühmorgendlichen Walk of Shame zum Bungalow durch diesiges Licht bietet sich am Freitag ein ausgiebiger Verbleib in der Hidden Bay an. Dabei handelt es sich wie in jedem Jahr um den Floor des Münchner Radio 80.000, wo gebadet, gelegen, getrunken und meist zu späterer Stunde auch getanzt werden darf; gewissermaßen machen Raver:innen hier das evolutionsbiologische Schema der Säugetiere, vom Wasser zu Land, von allen Vieren zum aufrechten Tanz, im Zeitraffer durch. Dabei helfen Acts wie Discoschelle, die immer dem Namen nach spielt und mit Hits wie Laura Branigans „Self Control” erste Strandleichen zum Schwofen animiert. Oder das anschließende b2b von Blonde Felice und DJ Aquaplaning, während dem sich zu der ein oder anderen Nummer von Kerri Chandler oder zu Chaos In The CBDs „Coral Castle” eine stattliche Crowd versammelt – darunter angehende Breakdancer, die beim Babyfreeze auf dem Steinstrand so ihre Schwierigkeiten haben und umkippen wie Sandsäcke, oder in buntes Tuchgewand gehüllte, heteronoramtiv aussehende Hippies, einer davon mit Buttplug an der Halskette und Kimono, durch dessen mit Strass bestickten Stoff sich die untergehende Sonne prismatisch bricht.

Nach diesem seltsam einenden Moment, der Individuen aus allen soziologischen Besucher:innen-Gruppen des Lighthouse versammelt, darf auf die Bühnen ausgeschwärmt werden. Palms Trax’ Piano-House auf der Hauptbühne dringt akustisch nicht wirklich zum Publikum durch, weil, so vernimmt man es zwischen den Zeilen, die Kombination aus Meer, ungünstigen Windverhältnissen und Basslines dem örtlichen Bürgermeister gehörig auf den Zeiger geht.

Deshalb lieber der erste und längst überfällige Besuch auf dem Autodrome, einem ehemaligen Autoscooter, auf den sich seit letztem Jahr auch Deep-Techno-Acts verirren. Gleich spielt mit Gez Varley, seines Zeichens Gründungsmitglied von LFO, eine veritable Legende. Auch er schiebt Stems auf Ableton hin und her, ergänzt diese aber mit Musik von den Decks. Nach langen, geistesabwesenden Dub-Techno-Exkursen erklingt deshalb am Ende noch „LFO”, was der rappelvolle Dancefloor, der schon vom Zusehen Klaustrophobie auslöst, dankend annimmt.
Auf dem Beachfloor geleiten anschließend Alice und Apua mit einem b2b in den Morgen und richten die Kontrolliertheit ihres Tech-House an der Stärke des Morgengrauens aus, körperlose, aparte Hymnen mit Tiefgang und Interlude-Verstörung wie das grandiose „On The Highway” von Dave Barker & Brett Johnson inklusive. Die Crowd ist um kurz nach 5 Uhr morgens zwar dezimiert, aber kompakt und schunkelfreudig. Der perfekte Zustand, um nach dem Set der österreichischen Lokalmatador:innen nochmal zum Autodrome hochzustapfen.

Dort spielen Muallem und Doudou MD das nächste b2b und durchsetzen den vernebelten Scooter-Floor mit House, der weiter anschiebt. Alleine das Setting sorgt für einen Stimmungswechsel und damit neue Kraft: Kein Meer in Sicht, nur Menschen, die im Moment leben, könnte man in Abwandlung des vielzitierten Smartphone-Memes sagen. Am Ende des Sets löst Muallem die aufgekratzte Stimmung mit Isolées minimalem Gitarren-House-Klassiker „Beau Mot Plage” und überführt damit, ob absichtlich oder unabsichtlich, in Richtung Nature Playground.

Tobt hier nun endlich das Minimal-Revival, von dem alle die ganze Zeit reden? Auf jeden Fall spielen Francesco Del Garda, Zip und Margaret Dygas hintereinander – ziemlich perfekte Bookings für eine von der aufgehenden Sonne durchflutete, zweckentfremdete Paintballarena, pittoresk und leicht verwunschen in einem kleinen Wäldchen gelegen. Mich erinnert das Setting an meinen Besuch auf dem UNUM Festival 2019, genauer gesagt an den leicht hippie-affinen Floor Into The Pines. Nicht nur weil Margaret Dygas dort auch zugegen war: Auch die Bühnenkonstruktion, die beseelte, keineswegs aufgeregte Atmosphäre, in der freigeistig und benebelt – im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne – auf der Stelle getreten wird, generieren einen optimalen Afterhour-Vibe.
Es sind diese Stunden eines jeden Festivals, die man im Nachhinein wohl am meisten wertschätzt, in denen sich Musik und Gespräche die Waage halten und das Raum-Zeit-Kontinuum sich am stärksten krümmt. Del Garda spielt ein überraschend melodiöses Set und lächelt durch sein Guckloch fröhlich und leicht apathisch in die Menge. Thomas Franzmann alias Zips Grinsen fällt im Anschluss nochmal eine Spur breiter aus, sein Set hingegen kommt minimaler daher. Inzwischen ist es 11, und die immer intensiveren Temperaturen machen sich auch im Schutz der Bäume bemerkbar. Zips funktionaler Sound, aus dem er nur vereinzelt ausschert, manipuliert die Hirnwindungen dergestalt, dass an Gehen nicht zu denken ist. Margaret Dygas verlegt sich ab 14 Uhr darauf, Minimalismus in Reinform zu zelebrieren, und beginnt damit den nächsten Marathon. Das klingt kunstvoll, ein kleiner Mixingfehler ist dann aber endlich Anlass genug, den mystischsten Floor des Festivals zu verlassen und durch die vergilbten Netze der Arena den Weg ins Bett anzutreten.

Abends weckt Natalie Robinsons aufgekratzter Garage House unsanft. Erst mal etwas essen, bevor es zurück an den Beachfloor geht. Den Foodcourt spannen zwei Trucks auf, aus denen Einheimische das Geschehen vor ihnen wahlweise süffisant oder brüsk kommentieren. Burger dauern etwas, Gulasch kommt sofort. Ich lasse mich damit an einem Holztisch nieder, an dem eine uniform gekleidete Vierergruppe junger Österreicher sitzt. Einer von ihnen schläft. Oder, präziser: Er hat zur diebischen Freude seiner Kumpanen den präkomatösen Zustand des Vollrausches erreicht. Einer zieht ihm den Schirm seiner Mütze ins Gesicht, woraufhin er verdattert aufwacht. Hämisches Gegröle, das mich den Weg zum Beachfloor antreten lässt.

Dort wogen Totems und blinkende Applikationen hin und her. Die Crowd schickt sich an, die letzte reguläre Festivalnacht auszureizen. Nach Robinson, die später mehr in Richtung organische Grooves tendiert, übernimmt Tsepo, und ein nagender Gedanke fräst sich aus dem Unterbewusstsein an die Oberfläche, wird zur unausweichlichen Gewissheit: Am dritten Festivaltag hintereinander wird es langsam schwer, auf Nuancen der Sets Acht zu geben. Oder vielmehr: Ihnen noch die Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die sie eigentlich ja verdienen. Langsam klingt vieles gleich oder zumindest ähnlich, man hat sich satt gehört am unnachgiebig vibrierenden House. Auch die jungen Österreicher:innen in den Bungalows können die Anfangseuphorie nicht über die volle Distanz aufrechterhalten. Die anfangs noch zahlreichen, lautstarken Gelage bilden inzwischen eine Ausnahme, viele Gesichter, die zum Dancefloor schlurfen, hängen auf Halbmast. Was empfiehlt sich da? Wahrscheinlich, wieder ins Bett zu gehen.

Und am Sonntag geläutert und ausgeschlafen den Rückweg zum Beachfloor anzutreten, um die Sage des Rave-Sisyphos fortzuschreiben, gar zu komplettieren. Nur schwer zu verpassen: Ogazón, Sumi und Vince spielen von 9 bis 21 Uhr ihr traditionelles zwölfstündiges Set am Beachfloor. Das Publikum wogt mittags in den wenigen schattigen Flecken, Tracks dürfen atmen, die Atmosphäre erweckt den Anschein einer ewigen, wohligen Afterhour. Diese intensiviert sich über den Tag hinweg, sodass die geschundenen Beine tatsächlich noch ein letztes Mal dran glauben müssen, etwa bei Kerri Chandlers sagenumwobenem „Atmosphere”. Nach mehr als verdientem Applaus für diese Höchstleistung schwingt sich Octo Octa an die Decks und beendet das Festival mit dem Sound, den sie und Eris Drew „Motherbeat” nennen: Rave, aber mit einer Prise metaphysischer Geborgenheit. Nicht verkehrt, wenn am nächsten Morgen die strapaziöse Heimreise ansteht.