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Künstliche Intelligenz auf dem Sónar Barcelona: „Das Potenzial liegt darin, nicht faul zu sein”

Bei elektronischer Musik geht es um mehr als um Partyspaß und Kunstgenuss, nämlich um eine ganz konkrete Erkundung der Zukunft. Dieser Glaube an die Bedeutung der elektronischen Musik für die Erforschung der Technologien von morgen prägt das Sónar Festival in Barcelona seit seinen Ursprüngen in den Neunzigern. In diesem Jahr liegt – wen überrascht’s – der Schwerpunkt auf der Künstlichen Intelligenz. Sie ist Hauptthema bei Sónar+D, dem Diskursprogramm des Sónar. Antonia Folguera, als Kuratorin verantwortlich für diesen Bereich, gibt einen Einblick in ihre Sichtweise auf das Thema. Dabei versucht Folguera einen optimistischen Blick auf ein Thema zu entwicklen, das die Musik-Community eher kritisch sieht.

GROOVE: Wie fühlt es sich an, sich auf einem Musikfestival um das Außermusikalische zu kümmern?

Antonia Folguera: Tatsächlich sehr gut. Ich komme aus der Medienwelt, ich liebe es, mit Menschen zu sprechen. Ich habe zahllose Livesendungen für das Radio produziert. Als vor 30 Jahren das Internet losging, wollte ich verstehen, wie diese Technologie unsere Kultur und insbesondere die Künste beeinflusst. Dabei ist auch die Wissenschaft wichtig. Denn wenn du an der Oberfläche kratzt, weil du verstehen willst, wie die Dinge funktionieren, dann kommt immer die Wissenschaft zum Vorschein. (lacht)

Antonia Folguera (Foto: Privat)

Wie kommen da Kreativität und Wissenschaft zusammen?

Ich freue mich besonders, wenn ich eine:n Naturwissenschaftler:in, eine:n Tänzer:in, eine:n Musiker:in zusammenbringen kann. Ich will das Elitäre und das leicht Zugängliche verbinden. Vieles in der Technologie ist extrem verfeinert, Quantencomputing zum Beispiel. Die meisten Menschen können das nicht verstehen. Genauso wichtig ist mir aber Lowtech, DIY, Circuit Bending – Dinge, die roher sind.

Dinge, die mehr damit zu tun haben, wie die meiste Musik entsteht. Wie orchestrierst du diesen Dialog in einer Welt, in der alles immer spezieller wird?

Diese hochspezialisierte Welt ist sehr langweilig. (lacht) Interessante Dinge entstehen meistens, wenn sehr verschiedene Dinge aufeinandertreffen. Das passiert in der Musik. Deshalb bringen wir Vertreter:innen verschiedener Disziplinen zusammen. Wenn man bei der Wahl der Gäste auf seine Intuition hört, fühlen sich die einzelnen Spezialist:innen nicht eingeschüchtert. Das findet im Übrigen auch auf dem Sónar statt: Dort treten die bekanntesten Künstler:innen überhaupt auf – und Musiker:innen, die kaum jemand kennt, die sehr experimentell arbeiten, die ihre Zuhörer:innen fordern. Diese beiden Interessengruppen haben aber etwas gemeinsam: das Sónar. Das wollen wir mit dem Festival erreichen: Wir wollen eine Ort schaffen, an dem sich jeder willkommen und wohl fühlt, so unterschiedlich die einzelnen Besucher:innen sind. 

Wie sieht das konkret aus? 

Wenn wir zum Beispiel über KI sprechen, bringen wir Leute zusammen, die verschiedene Perspektiven auf dasselbe Thema entwickeln. Wenn wir über immersive Technologien, über VR sprechen, bringen wir einen Künstler, der konkret mit diesen Werkzeugen arbeitet, mit einer Ingenieur:in zusammen, die die Technologie entwickelt, die der Künstler nutzt. Oft wollen die Künstler:innen auch wissen, wie sich bestimmte Dinge umsetzen lassen. Da kommen dann Algorithmen, Psychologie und die Neurowissenschaften zusammen – Dinge, die unter der Oberfläche liegen.

Ausstellung und Ausstellungsbesucher auf dem Sónar+D (Foto: Presse)

Wie muss man sich diesen Austausch vorstellen? 

Manchmal sitzen sie am selben Tisch, manchmal macht jeder irgendwo seins. Wir mögen Künstler:innen, die einen wissenschaftlichen Hintergrund haben und daraus eine künstlerische Praxis entwickeln. Libby Heaney nutzt Quantencomputer als Medium für Kunst und Klang.

Was ist das Potenzial von Kunst oder Musik, die am Quantencomputer entstanden ist?

Das ist ein neues Paradigma. Elektrische Instrumente wollten am Anfang akustische Instrumente imitieren. Eine elektrische Gitarre kann das Klang einer akustischen Gitarre aber nur sehr schlecht nachahmen. Jemand hat die E-Gitarre aber gehackt und Distortion, Verzerrung hinzugefügt. Und Boom, die Rockmusik war da. Synthesizer sind auf ähnliche Weise entstanden, sie haben eine eigene Sprache erfunden, wenn man zum Beispiel an die Roland TB-303 denkt.

Wie sieht das in der digitalen Welt aus?

Wenn du eine DAW anschaust, sieht jedes Plug-in wie ein analoger Synthesizer aus. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich denke, dass durch KI Musik entstehen wird, die ganz und gar dem Computer entspricht. Bisher wird KI eher genutzt, um Arbeitsabläufe zu beschleunigen, KI wird aber etwas hervorbringen, dass wir uns heute noch nicht vorstellen können, das nur mit dieser Technologie möglich ist. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauert, bis Künstler:innen mit Quantencomputern arbeiten werden – aber ich weiß, dass der Tag kommen wird.

Antonia Folguera im Barcelona Community Radio (Foto: Privat)

Musiker:innen sehen KI heute oft negativ, sie denken, sie könnten selbst überflüssig werden. Die Streaming-Anbieter nutzen heute schon KI, um Musik zu generieren, für die sie keine Lizenzgebühren zahlen müssen. Wo gibt es da ein kreatives, positives Potenzial?

Das Potenzial liegt darin, nicht faul zu sein. Einen Generator so zu nutzen, wie es die Streaming-Dienstleister tun, ist faul, das klingt für uns als Hörer:innen faul. KI kann aber auch dazu dienen, Musik anders wahrzunehmen, auch visuell. Wir haben etwa AudioStellar aus Argentinien auf dem Festival, ein Künstlerkollektiv. Einer von ihnen, Leandro Garber, hat eine DAW programmiert, die Sounds visualisiert. So entstehen mittels einer KI Klänge, die es noch nicht gibt, die zum Beispiel zwischen Drums und einem Saxofon liegen. Manche von ihnen klingen vielleicht furchtbar, andere aber sind toll. Die kannst du nutzen, um Musik zu machen, die anders klingt als alles, was wir bisher gehört haben.

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