burger
burger
burger

Sandwell District: „Unsere Freundschaft war größer als das Internet” (Teil 2)

- Advertisement -
- Advertisement -

Am Ende des ersten Teils unseres Interviews mit Sandwell District thematisierten Function und Regis den Streit, der zur zeitweiligen Auflösung des Projekts geführt hatte. Im zweiten geht es damit munter weiter, ehe die beiden mit Maximilian Fritz über den allgemeinen Zustand der elektronischen Musik und schließlich über ihren verstorbenen Freund und Partner Silent Servant und seine Verewigung auf End Beginnings sprechen.

GROOVE: Ich habe gelesen, dass ihr in einem Flugzeug nicht zu rauchen aufhören wolltet.

Regis: Wir haben Adderall genommen und wollten eine rauchen. Das wäre fantastisch gekommen, aber natürlich wollten sie, dass wir aufhören. Ich habe nicht mal geraucht. Airberlin hat uns dann von allen Flügen gesperrt, als Dave festgenommen wurde.

Function: Wir sollten in Glasgow spielen, und ich habe die Show verpasst, weil ich festgenommen wurde. Ich wurde in Handschellen abgeführt und habe die Nacht in der Arrestzelle verbracht.

Regis: Die Polizisten und Airberlin haben ihm verboten, das Flugzeug wieder zu besteigen. Wir dachten, dass das scheißegal ist. Tatsächlich war es das überhaupt nicht: Airberlin hatte super Verbindungen, und wir kamen damit praktisch überall hin. Professionell ist das alles natürlich nicht, und die Musikindustrie war damals schon lange professionell.

Wie seht ihr die Musikindustrie denn dann jetzt?

Regis: Die Welt, von der ich gerne erzähle, existiert nicht mehr. Sie kommt auch nicht mehr zurück. Alles hat sich verändert und ist damit ein akkurates Spiegelbild der Kultur, in der wir leben. Eine schnelle Kultur mit sehr wenig Substanz.

Function: Heute leben wir nüchtern, aber damals waren wir alles andere als das. Wenn ich mir die Kids heute anschaue, sind die viel karrierefokussierter.

Regis: Social Media hat natürlich auch seine Vorteile. Aber die Hälfte der großen DJs sieht aus wie Autodiebe. Das hat nichts Unschuldiges mehr.

Wie sehen Autodiebe für dich typischerweise aus?

Regis: Das war natürlich eine Generalisierung. Früher gab es eine großartige Comedyserie namens Nathan Barley, die sich über Leute in Hoxton und Dalston in London lustig machte. So was kannst du heute nicht mehr ausstrahlen. Sie hat den Rise of the Idiots vorhergesagt. In dem befinden wir uns nun, eine selbsterfüllende Prophezeiung. Aber so ist Kultur nunmal, sie verändert sich.

Nicht nur DJs, auch junge Raver sind nüchterner denn je. Im Mixmag habe ich gelesen, dass die Sesh auszusterben scheint.

Function: Was stirbt aus?

Die britische Art und Weise, sehr lange und ausdauernd zu konsumieren.

Regis: Die Sesh ist zu Ende. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass Kids wie meine Tochter auf einen Rave gehen. Mach‘ dich nicht über den Satz lustig, aber: Als wir angefangen haben, hatten wir unglaubliche Freiheiten. Leute wie Dave und ich sollten uns aber überhaupt nicht mit dir über so was unterhalten, sondern gar nicht mehr in dieser Szene sein. Für uns als DJs ist die Welt aber nicht linear. Es könnte gerade wieder 1993 oder 2009 sein.

Sandwell District 3 by Steve Gullick
Sandwell District (Foto: Steve Gullick)

Wie wir am Anfang des Gesprächs feststellten, scheint aber ein Bedarf nach euch vorhanden zu sein.

Function: Als wir das Reissue von Feed Forward ankündigten, kommentierten Leute Sachen wie „Rettet uns!”. Karl hat da dieses tolle Zitat. Sag es schon. Das mit der Mittelmäßigkeit.

Regis: Klar: Das letzte Mal haben wir Musik von der Mittelmäßigkeit gerettet, jetzt retten wir sie vor der Dummheit.

Das habe ich schon im Interview zum RA-Mix gelesen. Was ihr mit der Dummheit meint, muss ich jetzt eigentlich nicht mehr fragen.

Regis: Das ist total offensichtlich.

Function: Während der Pandemie habe ich eine Beobachtung gemacht: Das erste Mal überhaupt habe ich eine klare Trennlinie zwischen Generationen wahrgenommen. Zuvor verschwamm sie stets. Die Jugend hat übernommen. So waren wir früher auch, das ist nicht verkehrt. Als ich anfing auszugehen, das war 1991 oder 1992, wurde die Musik im Club jede Woche schneller und schneller, bis hin zu 180 BPM und Gabber. Das wiederholt sich jetzt. Die Kids werden aber älter und reifer und entdecken Underground-Musik, die nicht reaktionär ist. Es geschieht alles erneut, und der Zeitpunkt könnte dafür nicht besser sein.

Hattet ihr im Produktionsprozess von End Beginnings alte Sandwell-District-Sachen im Hinterkopf oder wollte ihr von ganz von vorne anfangen?

Regis: Das Album ist nicht der Nachfolger von Feed Forward. Davon gab es schon zwei: Daves Album auf Ostgut Ton [Incubation, d.Red.] und Juans auf Hospital Productions [Negative Fascination, d.Red.]. Meiner Meinung nach sind das die zwei besten Sandwell-District-Platten, aber sie sind nicht auf Sandwell District erschienen. Na ja. Zum Album: Wir hatten diese ganzen Reunion-Gigs…

Ich habe euch im September 2023 auf dem Draaimolen gesehen.

Regis: Von vor der Bühne aus mag das Spaß gemacht haben. Von hinter der Bühne aus kann ich sagen, dass es einer der unerträglichsten und schwierigsten Gigs war, die ich je gespielt habe.

Wieso?

Function: Wir wussten damals schon, dass etwas Schlimmes passieren würde.

Regis: Wir hatten das Gefühl, dass es unserem Freund nicht gut geht und sich etwas Unheilvolles anbahnt. Das hatte etwas Unvermeidliches. So hatte ich ihn noch nie wahrgenommen.

Hattet ihr davor oft Kontakt?

Regis: Ich habe ihn während der Pandemie mal in L.A. besucht. Da war er sehr emotional. Aber das war kein Vergleich zu dem Gig auf dem Draaimolen. Nach der Tour flog er nach Hause, im November hatten wir noch einen Gig in Barcelona.

Function: Das war unser letzter Auftritt zu dritt. Die Release-Party für unser Album findet nun wieder in Barcelona statt. Das kannst du dir nicht ausdenken, das ist End Beginnings.

Regis: Natürlich wusste ich nicht, was passieren würde, aber als wir uns nach dem letzten Gig in Barcelona verabschiedeten, hatte ich das Gefühl, dass sich etwas verschiebt. Juan hingegen wusste es schon und hat das auf verschiedene Arten gesagt.

Tatsächlich?

Function: Wir sind von Amsterdam aus zwei Stunden zum Draaimolen gefahren. Ich saß mit Juan auf der Rückbank, Karl auf dem Beifahrersitz. Ich war kurz davor, 50 zu werden, Karl war schon in seinen Fünfzigern. Als ich zu Juan meinte, dass er bald dem Club der Fünfziger beitreten würde, antwortete er nur: „Mal sehen, ob ich das schaffe.” Das war vier Monate vor seinem Tod. Seine letzte Platte heißt In Memoriam. Ich könnte noch einiges mehr aufzählen.

Regis: Er hat den Tod in seiner Kunst stark mythologisiert und manchmal auch verklärt. Das ist nichts, was ich dahingehend besonders ernst genommen hätte. Das hatte auch mit der hispanischen Kultur und deren Todesritualen zu tun. Ich fand seine Ästhetik mit den Totenköpfen und Blumen großartig. Sein Verhalten hat aber eine neue Qualität bekommen.

„Über alles zu sprechen, während das Album herauskommt, fühlt sich für mich sehr kathartisch an.”

Function

Wie habt ihr seinen Tod aufgenommen?

Regis: Es war ein großer Schock, aber eben keine Überraschung. Am Tag, als das herauskam, habe ich realisiert, dass ich nicht nur den Tod meines Freundes betrauere, sondern dass daraus eine richtige Story wird. Es war in der L.A. Times und der New York Times. Als es sogar in der Daily Mail auftauchte, musste ich mich von der ganzen Sache abkapseln.

Es gab ein riesiges Medienecho.

Regis: Weil es eine klassische Rock’n’Roll-Geschichte ist. Drei Personen sind an einer vermeintlichen Überdosis gestorben, das ist eine attraktive Story für den Boulevard. Auch für das Internet. Aber unsere Freundschaft war größer als das Internet. Also haben Dave und ich uns rausgezogen und uns aufs Album konzentriert.

Habt ihr den letzten Track, „The Silent Servant”, als Hommage an Juan produziert oder habt ihr ihn erst so genannt, nachdem er fertig war?

Regis: Den hatten wir als Demo schon davor, wie viele andere Tracks auch. Eigentlich war das Album schon fertig, nach Juans Tod haben wir aber einiges verändert und neue Tracks hinzugefügt.

Function: Der Arbeitstitel für den Track war „For Juan”.

Regis: Wir beide wollten eigentlich gar kein Album mehr machen. Juan war derjenige, der das immer wieder angeschoben hat. Es wäre eine Verschwendung gewesen, unsere ganzen Demos nicht zu verwerten.

Das Album klingt wie eine Antithese zu aktueller Clubmusik.

Regis: Ich wusste zwar nicht wirklich, was es für ein Album sein sollte. Aber ich wusste, was für ein Album es nicht sein sollte.

Function: Die Geschichte des Albums ist so stark. Wie es entstand, ist sehr Techno-untypisch, eher Rock- oder Indie-orientiert.

Ewigkeit oder Vergessenheit, das sind die Kategorien, in denen wir uns bewegen.

Regis

Was für ein Mensch war Juan?

Regis: Extrem altruistisch veranlagt. Aber wenn du der Freund von jedem bist, wirst du irgendwann dein eigener Feind.

Function: Er wollte immer…

Regis: … schuften.

Function: Das Leben als Musiker und DJ empfand er als zu leicht.

Regis: Er rechnete sich der Arbeiterklasse zu, speziell den Leuten aus der Gastro. Er gab unverhältnismäßig viel Trinkgeld. Sein Tod stand mit Drogen in Verbindung und reduzierte ihn damit auf etwas, das er gar nicht wirklich war. Als ich ihn das erste Mal traf, war er straight edge, schon jahrelang.

Silent Servant (Foto: Presse)
Silent Servant (Foto: Presse)

Wie fühlt es sich für euch an, über Juans Tod mit der Presse zu sprechen?

Regis: Ich wollte das anfangs nicht, weil ich selbst nicht wusste, wie ich mich fühlen sollte. Ich trug keinen Trauerschleier und habe mir die Augen ausgeheult. Juans Tod hat mich auf so tiefe Art und Weise berührt, dass ich wütend, angefressen und traurig zugleich war. Ich habe versucht, dem mit Leichtfüßigkeit und sehr viel Humor zu begegnen. Das mögen viele Leute nicht verstanden haben, aber es ist meine Reise, nicht ihre.

Function: Über alles zu sprechen, während das Album herauskommt, fühlt sich für mich sehr kathartisch an.

Regis: Wir haben Glück, dass wir überhaupt darüber sprechen können.

Function: Karl wäre kürzlich fast bei einem Autounfall gestorben.

Regis: Du hättest dieses Interview um ein Haar nur mit Dave geführt. Kannst du dir vorstellen, wie scheiße das gewesen wäre? Vor etwa drei Wochen bin ich frontal mit einem anderen Auto zusammengestoßen, dessen Fahrer ohnmächtig wurde. Die Polizisten sagten mir, dass ich eigentlich hätte tot sein müssen. Ich danke den Ingenieuren von BMW, dass sie mein Leben gerettet haben. Bei uns geht es um Ewigkeit oder Vergessenheit, das sind die Kategorien, in denen wir uns bewegen. Nicht allzu viele Dance-Music-Producer denken so, wenn sie einen Track machen.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Wellen.Brecher: „Werner nimmt sich oft das Mikro und hat halt viel zu sagen”

Mit ihrem Sound aus Electro, Punk und Rave sind Wellen.Brecher mehr als ein Inklusionsprojekt. Wir haben sie gesprochen.

Meine Stadt: Vladimir Ivkovic über Düsseldorf

In seinem Meine Stadt zeichnet Vladimir Ivkovic ein vergängliches, melancholisches Bild von Düsseldorf voller subkultureller Lost Places.

Tilman Brembs: „Wir haben das Fundament gelegt, auf dem heute noch getanzt wird”

Tilman Brembs hat wie kein anderer Fotograf das Techno-Berlin der Neunziger abgebildet. Wir haben ihn zu seinem Bildband „Analog Rave” befragt.