Das dänische Electronica-Label Posh Isolation stellt seinen Betrieb ein. In 16 Jahren sind knapp 300 Veröffentlichungen von Musiker:innen wie Varg, Puce Mary oder oqbqbo erschienen. Einige davon haben die Grenzen der elektronischen Musik verschoben. Wir stellen zehn essenzielle Tracks vor, die den Sound des Labels ausgemacht haben.
Die Geschichte von Posh Isolation beginnt 2009. Loke Rahbek und Christian Stadsgaard, zwei junge Musiker, lernen sich in Kopenhagen bei einer Performance kennen. Die beiden bleiben in Kontakt und gründen schließlich das Duo Damien Dubrovnik. Stadsgaard, geprägt von abstrakten Klanglandschaften, verbindet seine Soundstrukturen mit Rahbeks Erfahrung in Industrial und Noise. Weil Avantgarde-Musik in Dänemark zu dieser Zeit kaum eine Plattform hat, starten sie auch gleich das passende Label: Posh Isolation.
Das Label entwickelt sich schnell zu einer tragenden Säule der experimentellen Musikszene in Kopenhagen. Verwurzelt in der DIY-Noise-Szene, betonen Sound und Image von Posh Isolation den Gegensatz zwischen Luxus und Entfremdung, Raffinesse und Rohheit. Die abstrakte Ästhetik steht im Mittelpunkt: gritty und doch schön.
Rahbek und Stadsgaard präsentieren ihre Musik, um eine visuelle Landschaft zu schaffen, die mit ihrer kargen und minimalen Klangwelt spielt. Neben abstrakten Albumcovern sind künstlerische Performances Teil ihrer Live-Sets, die die sinnliche Kohärenz von Klang, Bild und Raum zusammenführen – und das Label mit Showcases bis nach Berlin oder Los Angeles bringen.
Mit Posh Isolation haben Rahbek und Stadsgaard nicht nur die Karrieren von Künstler:innen wie Varg oder Puce Mary angeschoben. Unter verschiedenen Aliassen haben sie auch ihre eigene Musik veröffentlicht – als Croatian Amor, Loke Rahbeks Solo-Projekt, und Vanity Productions, das Experimentierfeld von Stadsgaard.
Wir haben uns durch 16 Jahre Posh Isolation gewühlt und stellen zehn wichtige Tracks und Releases des dänischen Labels vor.
Croatian Amor – The World (2013)

2013 veröffentlichte Mitbegründer Loke Rahbek als Croatian Amor sein selbstbewusst betiteltes Album The World und mit ihm die definitive Blaupause für den Klang des Labels. Der Opener „LA Hills Burn At The Peak Of Winter” illustriert, was Posh Isolation Zeit seiner Existenz so stark machte. Kontraste, die das Plakative nicht scheuten: zwischen Feuer und – zumindest assoziiertem – Schnee, zwischen Elektronik und zarter organischer Instrumentierung. Die Synths düdeln eine simple, aber effektive Melodie, die die Dubstep-Hypnotik einer Livity-Sound-Platte absondert, während lakonisches Gitarrenspiel das Konstrukt erdet. Oder das theatralische „New Year”, das nicht nur szenisch, sondern richtiggehend dramatisch anmutet. Zwar arbeiten Posh-Isolation-Veröffentlichungen mit dem Handwerkszeug von Ambient, beanspruchen aber zu viel Aufmerksamkeit, um ein Dasein als Hintergrundmusik zu fristen. Introvertierte, kompromisslos emotionale Musik mit einem Grundrauschen von Coming of Age, die Rahbek schon perfektioniert hatte, bevor 2017 die auf diesem Feld epochemachende PAN-Compilation Mono No Aware erschien. Maximilian Fritz
Puce Mary – The Course (2014)

Frederikke Hoffmeier alias Puce Mary zählt zu den Stammgäst:innen auf Posh Isolation. Tief verwurzelt in Kopenhagens Underground, begann sie ihre musikalische Laufbahn in der Band Body Sculptures unter anderem mit Loke Rahbek. „The Course” klingt wie ein disruptiver Traum, umschlossen von einem Schleier aus dumpfen, federnden Kicks, deren starke Verzerrung beinahe weich ertönt – eine trügerische Oberfläche, die ein alarmierender Ton durchdringt. Inmitten der dichten, flirrenden Sounds eine bizarr abgewandelte Stimme: elastisch, verformbar, schwer zu entziffern. Die Worte graben sich in das konstante Gerüst der Kickdrum und ergeben eine rastlose, gespenstische Erzählung. Die Form der Intonation, die Pausen zwischen dem Gesprochenen suggerieren eine Bedeutung, die nicht verbal verständlich, sondern körperlich wirkt.
Zwischen Industrial und elektroakustischen Kompositionen betont Hoffmeier, dass das in ihrer Musik angelegte Chaos stets nachvollziehbar bleiben soll. Selbst wenn ein Rhythmus die Hörer:innen leitet, sollen sie sich nicht völlig darin verlieren, sondern spüren, dass „ein einzelner Ton oder Beat jederzeit den gesamten Klangfluss und die Zeit selbst zum Stillstand bringen kann.” Zuletzt wurde sie für ihren Soundtrack zu The Girl With The Needle (2024) mit dem European Original Score Award ausgezeichnet. Yeliz Demirel
Yen Towers – One Look From The Boss (2016)

„One Look From The Boss” hat eine verspielte, cluborientierte Energie, die eine weitere Facette des vielseitigen Outputs von Posh Isolation zeigt. Der 27-minütige Track lebt von scharfen minimalistischen Beats und schrägen Rhythmen, die auf Trab halten. Er ist spannend, unvorhersehbar und im besten Sinne leicht desorientierend. Trotz seines experimentellen Charakters ist der Groove ansteckend und beweist, dass die avantgardistischen Neigungen von Posh Isolation auch im Club für Aufregung sorgen können.
Der Track stammt vom Kopenhagener Musiker Yen Towers. Er spielt mit Erwartungen, schafft einen Sound, der manchmal verwirrt, aber immer dazu einlädt, zu verweilen und den Groove unter der Abstraktion zu finden. Seine Produktion sprengt Grenzen und bewahrt gleichzeitig einen Sinn für rhythmische Zugänglichkeit. Jacob Hession
Croatian Amor – Sky Walkers (2017)

Analoge Wärme und digitale Präzision – das macht Croatian Amor aus. Seine Musik erkundet oft Themen wie digitale Kommunikation, Intimität und Identität im modernen Zeitalter – ein Balanceakt zwischen futuristischer Distanz und tiefer persönlicher Nähe.
„Sky Walker” verbindet ätherische Ambient-Texturen mit verzerrten, fast geisterhaften Vocals. Es ist ein Track, der nicht einfach nur läuft – er bleibt hängen, mit subtilen Schichten, die sich bei jedem Hören neu entfalten. Er bewegt sich zwischen Momenten der Verletzlichkeit und plötzlichen Ausbrüchen roher Emotionen, fängt flüchtige Erinnerungen ein, mit einem beiläufigen „Oh Shit”, das sich tief in den Sound eingräbt. Jacob Hession
Damien Dubrovnik – Arrow 2 (2017)

Dieser Track führt zu den Wurzeln von Posh Isolation zurück. Das Duo, bestehend aus Rahbek und Christian Stadsgaard, bündelt die Energie von Noise, Industrial und Power Electronics. Rauskommt: Keine Musik für die Gemütlichkeit, sondern eine Konfrontation, die volle Aufmerksamkeit verlangt. Doch inmitten der harten Texturen liegt eine seltsame Schönheit, eine Befreiung, die in ihrer Intensität fast meditativ wirkt. Sie spiegelt die Basis des Labels wider: rau, unversöhnlich und emotional aufgeladen.
So wie Posh Isolation dazu neigt, gegensätzliche Themen miteinander zu verbinden, schaffen auch Damien Dubrovnik einen Kontrast. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Bedeutung ihres Namens. Damien ist eine biblische Figur, die mit Dunkelheit und Leid assoziiert wird, während Dubrovnik eine wunderschöne Küstenstadt in Kroatien ist. Ganz im Sinne des Labels unterstreicht diese Fusion den Zusammenprall von Brutalität, Schönheit und Chaos. Jacob Hession
Varg²™ ft. AnnaMelina – Stonewall Poem (2018)

Varg²™ ist ein schwedischer Produzent im Zentrum der nordeuropäischen Experimentalszene und hegt, wie auch in diesem Track, eine Begeisterung für Sounds mit eisiger Futuristik. Unterstützt wird er dabei von AnnaMelina, deren ätherische Vocals seinen düsteren Klangwelten eine zerbrechliche, emotionale Tiefe verleihen. „Stonewall Poetry” ist kalt, unerbittlich und stellenweise brutal, doch inmitten seiner scharfen Kanten verbirgt sich unerwartete Zärtlichkeit. Die Klanglandschaft erinnert an einen nächtlichen Spaziergang durch eine Betonmetropole, hart, überwältigend und doch durchzogen von flüchtigen Momenten der Schönheit. Es ist dieses fragile Spiel zwischen Brutalität und Verletzlichkeit, das den Track so fesselnd macht. Jacob Hession
oqbqbo – Rei (2019)

Mit ihrer ersten EP für Posh Isolation bewegt sich die gebürtige Russin oqbqbo auf der ruhigeren Seite der experimentellen Musik und lädt auf eine beruhigende und zugleich düstere Reise ein. Verzerrte Stimmen, synthetische Texturen und ein gebrochener Beat verschmelzen zu einer Klanglandschaft, die in ihren Bann zieht. Unheimlich und schön, gleichzeitig präsent und entrückt – dieser Ambient-Track ist eine poetische Entfaltung von Fluidität. Jacob Hession
Varg & Bladee – Perfect Violation (2019)

Varg und Bladee erschaffen auf „Perfect Violation” eine experimentelle Begegnung von Industrial, Noise und Trap-Beats. Bladee säuselt verträumt und wehmütig über das fragile Klangbild. Seine Stimme, in Autotune aufgelöst und in einem melancholischen Surren verschwimmend, macht klar, warum er den Stil als „Schmerz” beschreibt.
Darunter flimmern sich überschlagende Hi-Hats und glockenspielartig klirrende Synths. Die reiche Textur der Sounds weist immer wieder auf neue akustische Feinheiten hin: digitale Artefakte, die im Hintergrund glimmen, als wären sie zufällig im Track gelandet, sowie flötende Sounds, die an Fantasy-Videospiele erinnern. Yeliz Demirel
oqbqbo & Scandinavian Star – Airdrops (2023)

Hinter oqbqbo & Scandinavian Star stehen die in Russland geborene Künstlerin Nastya Sipulina und der dänische Musiker Malthe Fischer, bekannt aus Lust For Youth. Der Name seines Projekts verweist auf das Fährenunglück der Scandinavian Star, die 1990 auf der Strecke zwischen Oslo und Frederikshavn in Brand gesetzt wurde. Ein anderes Unglück ereignete sich vor „Airdrops”: Der Track erschien kurz vor dem Ausbruch der Corona-Epidemie 2020.
Schimmernd, süß, aber nie überladen, baut sich die Spannung stetig auf, bleibt aber berechenbar. Es ist Musik für Momente, die von schlichter Unbeschwertheit getragen sind. Und es ist beinahe unmöglich, sie auf nicht kitschige Weise zu beschreiben. Mich erinnert der Track an Nächte, in denen man mit Freund:innen tanzt, lacht, sich im Takt verliert. Upbeat, sensibel und gefühlsgeladen, fast schon episch – ein Track, der Erinnerungen an sorglose Augenblicke für ein paar Minuten konserviert und dabei in jedem Fall tanzbar bleibt. Yeliz Demirel
Soli City – ULTRAVIOLET (2024)

„ULTRAVIOLET” erschien auf PARADOXE, Soli Citys erstem Album, und ist eine klangliche Reflexion über zeitgenössische Melancholie, die vor allem klassische Instrumentierung einarbeitet. Nach einem abrupten Start säumt eine zart tupfende Klaviermelodie den Track – filigran und lieblich. Es setzt eine kühl verfremdete Stimme ein, die mit zurückhaltender Dringlichkeit fragt: „What happened?” Währenddessen flackern Ausschnitte aus Alltagsgeräuschen auf, zaghaft, nur um dann wieder zurückzuschrecken. Die Stimme, hell und mystisch, erinnert an das geisterhafte Sirren eines Theremins – unwirklich und flüchtig, zwischen Nostalgie und Vorahnung.
Die behütenden Worte lassen das Misstrauen nicht verfliegen. Eine kühle Brise zieht durch das Stück, ein paar Vögel singen, ganz leise, als stehe man vor einem offenen Fenster, den Blick über eine weite, ockerfarbene Landschaft schweifen lassend. Yeliz Demirel