Maschinelles Drumming, grainy Kicks und eine erfinderische Fusion von Industrial und Reggaeton. So klingt die von EBM und Noise geprägte Interpretation lateinamerikanischer Clubsounds von Luis Garbàn, besser bekannt als Cardopusher und Safety Trance.
Bekannt wurde Garbàn mit Breakcore-Releases auf Tigerbeat6, zwischenzeitlich produzierte er Dubstep. Sein eigenwilliger Hybrid aus Industrial und Clubsounds machte ihn mit einer Reihe von Alben auf Boysnoize zu einem der experimentellsten global gefragten DJs. Sein bis dato letztes Kapitel schlug er mit dem Alias Safety Trance auf, unter dem er pop-affine Songs mit Gast-Acts wie Dorian Electra oder Arca mit den Sounds seiner Heimat Venezuela verbindet. GROOVE-Autorin Yeliz Demirel wollte von Garbàn erfahren, wo in diesem unwahrscheinlichen Stilmix der rote Faden steckt.
Etwas wackelig begrüßen wir einander über den Bildschirm. Luis Garbán, besser bekannt als Cardopusher und Safety Trance, grinst mit einem breiten, warmen Lächeln in seine Handykamera und schwenkt sie. Zu sehen: Die vertrauten Wände seines kleinen Homestudios in Barcelona, in dem er jeden Tag, wenn er nicht auf Tour ist, Tracks produziert oder, falls gerade nicht vom Flow gepackt, zumindest an kleinen Loops bastelt, um nicht die Routine zu verlieren. Er schmunzelt leise, seufzend: „Jeden Tag. Ich höre nie auf. Es ist wirklich verrückt.”
Zwischen schalldämmenden Matten, unzähligen Vinyls, Büchern und einem schlichten Keyboard lugt Aphex Twins Platte Come To Daddy, leicht gegen die Wand gelehnt, hervor und taucht ab und zu im Bild auf. Ein subtiler Hinweis auf einen der Künstler, die einst seinen musikalischen Weg inspirierten. Ein Hauch von kreativem Chaos, simpel, aber mit Bedacht geschmückt.
Es ist Dienstagabend, nur noch drei Tage bis zum Release seines Tracks On 1 mit Dorian Electra, gelobt als „Liberace des Fantasy Pop” und bekannt für philosophische, tiefsinnige Lyrics und Kollaborationen mit Charli XCX. Euphorisch, erwartungsvoll und erleichtert, freut er sich darauf, den Track nach zwischenzeitlichen „Testdurchläufen” auf Gigs und anschließendem Feilen endlich mit der Welt teilen zu können. „Das Stück ist ziemlich tanzbar. Es ist momentan einer meiner Lieblingssongs”, verrät er verschmitzt. Die Zusammenarbeit mit Dorian Electra war für Luis ein kreativer Glücksgriff: „Wir haben uns über Boys Noize in L.A. direkt im Studio kennengelernt, und die Chemie stimmte sofort.”
Im dazugehörigen Musikvideo beobachtet man Dorian durch eine wattige, verworrene Linse inmitten blitzender und flackernder Animationen beim Singen und Tanzen. Begleitet wird die düstere, desorientierende visuelle Ästhetik von einer brummenden Bassline und gechoppten Jungle-Sequenzen, die sich um einen rauen Reggaeton-Beat ranken, verziert von finsteren Synths; abstrakt, aber doch schlicht und simpel, wie er es nennt. Genau das liegt Luis nämlich in einer oft unzugänglich scheinenden Musiklandschaft besonders am Herzen: Musik, die Spaß macht, ohne übermäßig zerdacht oder elitär zu wirken.
Komfortzone Privatleben
In seiner Musik auf der Flucht vor Komfortzonen und auf der Suche nach Neuem, in seinem Alltag schätzt er allerdings das Gewohnte. „Die letzten Jahre waren wirklich heftig. Es ist ein Balanceakt: die Wochenenden in Clubs, den Großteil der Woche im Studio – da muss man auf sich aufpassen.” Mittlerweile versucht er, jeden Moment, den er findet, bewusst für Selfcare zu nutzen. „Das ist mein Trick.” Dinge tun, die ihm Ruhe geben: am liebsten Zeit mit seinem Hund verbringen und durch die Stadt spazieren, „oder einfach zu Hause zu sein, kochen, lesen oder zocken. Ich mag es, ein simples Leben zu führen”, erzählt er und dreht sich in seinem Sessel herum.
Denn wenn er nicht gerade arbeitet, verbringt er seine Wochenenden lieber nicht auf Partys – außer es spielen Freund:innen. Dann versuche er natürlich, vorbeizuschauen. Wichtig ist ihm, auch Zeit mit Freund:innen außerhalb der Musikszene zu verbringen: „Man braucht Abwechslung, um sich inspirieren zu lassen”, sagt er dazu. Nach vielen Jahren im kreativen Geschäft wirkt Luis in seiner persönlichen Welt im Einklang mit einem Selbst, dessen Leidenschaft nicht in den Exzessen des Partylebens liegt, sondern in der Neugier am Klang selbst. „Ich liebe es, nerdy vor dem Computer zu sitzen”, unterstreicht er.
In seinen Sets agiert Luis ähnlich introspektiv. Während die Tanzenden ausrasten und sich über die Tracks freuen, bleibt er zurückhaltend und überlässt die Kommunikation seiner Musik. Nur selten ertappt man ihn bei einem flüchtigen Blick ins Publikum oder einem Lächeln, das über sein Gesicht huscht. Stattdessen bleibt er fokussiert und friedlich, ein spannender Kontrast zur Intensität seines Sounds.
Luis Garbán, 1981 in Caracas geboren, erinnert sich an ein Zuhause, in dem im Hintergrund immer Musik lief, seine Eltern jedoch, wie er es formuliert, keine fanatischen Musikfans waren: „Sie mochten Musik eher generell.” Die MTV-Ära weckte früh seine Neugier – besonders Metalbands der frühen Neunziger vertonten die aufgewühlte Energie seiner Jugend und inspirierten ihn. „Ich sagte mir, eines Tages möchte ich wie diese Leute sein. Ich will Musik machen.” Gestikulierend und ergriffen versetzt er sich in den lebensverändernden Moment zurück, als er die Band Korn entdeckte: „Ich dachte: ‚Was ist das für eine Gitarre? Sie ist so tief.’ Das hat mich total umgehauen.” Die raue Energie, die ihn damals so faszinierte, ist bis heute in vielen seiner Produktionen spürbar – verknüpft mit einer Sensibilität für catchy Pop-Elemente.
Seine Eltern zeigten sich eher besorgt als begeistert von seinem Berufswunsch. Ein sicherer, bodenständiger Beruf schien ihnen wichtiger als ein Leben im Kreativbereich, zumal niemand im familiären Umfeld aus der Kreativszene kam. „Wenn du unbedingt Musik machen willst, unterstützen wir dich – aber erst, nachdem du etwas Richtiges studiert hast”, schmunzelt er milde.
Um seine Eltern zu beschwichtigen, begann er also in Caracas Informatik zu studieren – merkte jedoch schnell, dass ihm diese Welt fremd blieb. „Ich habe es versucht. Aber ich habe es einfach nie gefühlt”, sagt er. Nachdem sich seine Familie nach langem Zögern mit seinem Studienabbruch abgefunden hatte – „irgendwann meinten sie: ‚Dann lass uns eben diese Musik-Sache ausprobieren’” –, schrieb er sich, damals 19 Jahre alt, in einer nahe seinem Elternhaus gelegenen Audioschule ein.
Jeder, der etwas Ambitioniertes machen wollte, versuchte irgendwann, wegzuziehen – denn in Caracas würde es nicht passieren.”
Cardopusher
Eine Zeit voller Begegnungen, in der er viele Freund:innen kennenlernte: „Wir entdeckten die ganzen Musikprogramme: Fruity Loops, Ableton Live und so weiter”, wodurch Luis schließlich Schritt für Schritt mit dem Produzieren begann. „Manche meiner Freund:innen hatten Studios, da haben wir den ganzen Tag Musik gemacht, gekifft, das war das Leben damals.” Musikalisch fesselte ihn besonders die Welt der experimentellen Elektronik: „Für mich begann es mit der ganzen Warp- und Rephlex-Ära. Aphex Twin, Squarepusher, Autechre, Luke Vibert, Boards of Canada – ich bin total in dieses Rabbit Hole abgetaucht. Dann begann ich mich immer mehr für Breakcore zu interessieren, besonders für Kid606 und Venetian Snares.” Zu der Zeit, in den Zweitausendern, war Laptop-Musik der absolute Hype: „Die haben einfach Musik mit einem Laptop gemacht”, erinnert er sich verblüfft, bewundernd. „So startete ich dann auch mit Cardopusher.”
Man traf sich immer an denselben fünf Orten der Stadt – kleine Bars, die nicht unbedingt auf Musik, geschweige denn auf experimentelle elektronische Musik spezialisiert waren. „Man hing mit Leuten ab, die Reggae mochten, Rock oder Electronica. Am Ende war man mit allen befreundet.”
Nach Abschluss der Audioschule folgten einige Gigs in Venezuela, wo er seit 2004 als Cardopusher, damals hauptsächlich auf Breakcore fokussiert, auftrat. Nebenbei arbeitete er in einem Studio, das Musik für Werbung produzierte – nicht gerade seine Traumvorstellung. Doch in Caracas blieb die Szene für elektronische Musik bescheiden und nicht sonderlich populär, erinnert er sich: „Nur wenige Leute mochten diese Art von Musik wirklich. Manchmal haben wir versucht, Partys zu organisieren. Die waren aber winzig und fanden unregelmäßig statt.”
Zwar konnte Luis seine Leidenschaft für IDM und Breakcore mit Freund:innen aus der Audioschule teilen, doch blieb das Gefühl, ziemlich weit entfernt von der Musik zu leben, die ihn wirklich begeisterte. Nachdenklich und etwas resigniert betont er das aufkommende Dilemma: Jeder, der etwas Ambitioniertes machen wollte, versuchte irgendwann, wegzuziehen – denn in Caracas würde es nicht passieren.”
Als ihm das französische Breakcore-Label Peace Off 2006 anbot, eine Platte zu veröffentlichen und eine Europa-Tour anzutreten, änderte sich plötzlich alles. „Es war surreal für mich. Ich sah, dass Musik eine echte Lebensgrundlage sein kann. Ich wollte das schon immer, dachte aber, ich würde für immer in der Werbewelt arbeiten und meine Gigs als Hobby machen.”
Durchschlagen in Barcelona
Luis fühlte sich ermutigt, einen klaren Schnitt zu machen und sein Leben ganz der Musik zu widmen. Einer seiner Gigs führte ihn nach Barcelona: „Ich habe die Stadt sofort geliebt. Ich sagte: In sechs Monaten werde ich hier leben. Und das habe ich dann auch geschafft.” Seit dieser Lebensentscheidung sind nun schon 16 Jahre vergangen.
„Ich unterstütze nicht, wie dieses Land mit unseren Menschen umgeht. Ich will kein Teil davon sein.”
Cardopusher
Raue, zerstörerische Geräuschgewebe, die noch heute in seinen Tracks hervorschimmern, kann man auf seiner ersten Platte für Peace Off in verdichteter, explosiver Form, mit noch ein wenig mehr Distortion, hören. Breakcore mit punkiger Haltung. Aufbrausend und unpoliert: diesem Klangbild fühlt sich Luis seit jeher verbunden: „Als ich begann, Musik zu machen, war Venezuela ein sehr chaotisches Land. Ist es immer noch. Wir hatten mit politischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. All diese Schwierigkeiten musste ich irgendwie kanalisieren. Die Wut, die ich verspürte, ist in meinen Sound geflossen – das Düstere, das Aggressive.”
Die ersten Jahre in Barcelona blieben eine Herausforderung – geprägt von schlecht bezahlten Gigs. „Am Anfang musste ich mich jede Woche aufs Neue durchschlagen”, sagt er. Dennoch schätzte er das Umfeld, das ihn zur Neuorientierung zwang, denn für ihn stand früh fest, dass er sich nicht auf Breakcore beschränken wollte: „Als Produzent will ich viele musikalische Genres beherrschen. Man lebt nur einmal: Ich möchte eine Geschichte über die Dinge erzählen, die ich wirklich mag. Und die sind sehr vielfältig”, erklärt er entschieden.
Angesichts seiner Vorliebe für finstere, verzerrte Klänge zeigt sich Luis’ musikalische Wandelbarkeit besonders in seinen Sets: Da schleicht sich zwischen elektrisierenden Reggaeton-Gabber-Sequenzen plötzlich ein quietschig überdrehter Donk-Track ein und löst sich in einem befreiten Lachen im Publikum auf.
Zusätzlich bestimmt nämlich ein unerwarteter Wesenszug seine Sets – sein Sinn für Humor, der tief verwurzelt in der Kultur seiner Heimat ist. „Wenn du ein Problem hast, löst du es, indem du auf eine Party gehst. Humor ist Teil meiner Kultur und steckt in allem, was ich tue.” Humor als Ventil, sich von Problemen zu lösen und das Leben leichter zu nehmen. Das war für Luis auch ein Grund, sich von der EBM-Szene abzuwenden, in der er einst aktiv war. „Die Leute nehmen nicht nur ihre Musik ernst, auch ihre Einstellung ist irgendwie ernst. Die bräuchten eher etwas, was sie da rausreißt.”
Fremder in der eigenen Stadt
Erst kürzlich kehrte Luis erstmals nach 14 Jahren in seine Heimat zurück, um beim Boiler Room für Arca in Caracas zu spielen – eine herausfordernde Reise. Wieder dort zu sein, beschreibt er als Schock, seine Stimme wird ernster: „Ich fühlte mich wie ein Fremder in meiner eigenen Stadt.”
Die politische und wirtschaftliche Lage Venezuelas hatte ihn lange von einem Besuch abgehalten. „Ich unterstütze nicht, wie dieses Land mit unseren Menschen umgeht. Ich will kein Teil davon sein. Jede:r, der sich gegen die Regierung stellt, gerät ins Visier. Es macht mir wirklich Angst.”
Vor allem nach den Wahlen, die vor einigen Monaten stattfanden, fürchtet er sehr um die Zukunft seines Herkunftslandes. „Aber dann dachte ich: Ich muss mich dem stellen. Das ist meine Heimat – und schließlich leben meine Eltern noch dort.” Teil dieses Boiler Rooms zu sein, war am Ende eine der besten Entscheidungen, die er je getroffen hat, findet er „Es war ein unbeschreiblicher, hoffnungsvoller Moment. In Venezuela passiert im Allgemeinen nicht viel im Nachtleben. Alles ist aufgrund der politischen Situation verschwunden.” Dennoch bleibt ein schmerzhafter Nachklang. Nach 14 Jahren im Ausland war die einstige Heimat für ihn fremd. „Ich kenne nicht einmal mehr den Slang”, fügt er enttäuscht hinzu.
Die komplexen Emotionen und die innere Zerrissenheit sind spürbar, und dennoch empfindet Luis eine tiefe Verbindung zu seiner Heimat, die sich auch in seiner Musik ausdrückt. Die Rhythmen, die er von dort kennt – „Überall lief Reggaeton”, ob auf Haus-Partys oder in Clubs, ein unumgänglicher Teil des sozialen Lebens –, haben erst spät ihren Weg in seine Produktionen gefunden, wenn auch oft in abstrahierter, weniger geschliffener Form als in den kommerziellen Varianten der Charts. Lange Zeit interessierte er sich nämlich nicht für Rhythmen aus Lateinamerika: „Ich war jung. Ich mochte härtere Sachen.” Mit der Zeit begann er jedoch sich auf die Musik einzulassen und die Rhythmen zu studieren. „Ich dachte mir: Okay, da steckt etwas Interessantes drin. Warum nicht perkussive Elemente, zum Beispiel Congas, auch in meine Musik einbauen? So begann ich eine echte Liebe für diese Sounds zu entwickeln.”
Stets aufmerksam bleiben und, wie Luis betont, „wirklich alles hören”, lautet seine Maxime. Schließlich weiß man nie, was man entdecken könnte; denn selbst wenn einem die Melodien bestimmter Genres nicht gefallen, enthüllt sich möglicherweise ein cooles Pattern, das man in der eigenen Musik nutzen kann. So entstand auch Safety Trance – sein zweiter Alias, der sich zwischen Reggaeton und EBM bewegt. „Ich mache oft Musik, die ich selbst hören möchte, aber nirgendwo finden kann”, sagt er zu diesem Alter-Ego, das auch durch Kollaborationen mit Sega Bodega oder Arca internationale Bekanntheit erlangte.
Luis’ ehrliche, bescheidene Art prägt unser Gespräch: keine inszenierten Floskeln oder Worthülsen. Er erzählt humorvoll und herzlich und alles andere als „too cool” über sich und seine Arbeit, die durch ihre stilistischen Sprünge auf den ersten Blick einschüchternd wirken kann.
Witzelnd neigt sich das Gespräch dem Ende zu, und wir sprechen über Musik, die wir am liebsten nie gehört hätten – jene Stücke, die unweigerlich Erinnerungen abrufen, von denen wir uns schon längst gerne verabschiedet hätten. „‚Mambo No. 5’ – immer wenn ich dieses Lied höre, erinnere ich mich an eine Zeit, in der ich so unglücklich war. Vielleicht wegen des Jobs damals. Wie auch immer – den Song kann ich wirklich nicht hören”, erklärt er kopfschüttelnd. Und dennoch ist Musik für Luis ein sicherer Ort, sein Ruhepol und seine tägliche Routine – ob in Barcelona oder irgendwo auf der Welt, wo er gerade auflegt. Und so also doch eine Komfortzone, dafür aber wohl „die schönste”, sagt Luis und lächelt dabei friedlich.